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Wissensplatz
Das «Network on Libraries in Urban Space»
Eine lehrreiche Geschichte über Kooperationen im Wissenschaftssystem

Eine lehrreiche Geschichte über Kooperationen im Wissenschaftssystem

In diesem Beitrag möchten wir die Geschichte des Netzwerks Network on Libraries in Urban Space (NLUS) im Bereich Forschung erzählen. Sie zeigt die Grenzen und die notwendigen Infrastrukturen erfolgreicher internationaler Kooperationen auf.

Text: Dr. Karsten Schuldt, Prof. Daniel A. Walser / Bild: FH Graubünden

Gründungsfoto des Netzwerks NLUS anlässlich der Präsentationen in Chur im November 2014.
Die Mitglieder des Netzwerks NLUS diskutieren in Oslo Fragestellungen zu einem gemeinsamen Forschungsantrag für Horizon 2020.

Das Netzwerk Network on Libraries in Urban Space (NLUS) entstand über indirekte Kontakte im Bereich der Bibliotheksforschung zwischen Ländern, die oft zusammenarbeiten. Die Forschenden suchten nach Wegen, diese Zusammenarbeit auszuweiten. Es entstand der Wunsch, ein grösseres, gemeinsames Forschungsprojekt anzustossen. Auf europäischer Ebene gibt es EU-Förderbeiträge für Forschungsprojekte, die von einem möglichst grossen Netzwerk – d. h. möglichst vielen europäischen Staaten und Fachdisziplinen – getragen werden. Dann haben sie eine Chance auf eine der Forschungsförderlinien der EU. Doch wie baut man ein derartiges Netzwerk auf?

Es wurden persönliche Kontakte genutzt, unter anderem zu einem Professor der Fachhochschule Potsdam. Dieser wiederum hatte indirekte Kontakte zur FH Graubünden. Er fragte Rudolf Mumenthaler an, damals Professor des Fachbereichs Bibliothekswissenschaft der FH Graubünden. Dieser wiederum wurde 2014 von der Universität Antwerpen bezüglich seiner Mitarbeit an einem EU-Projekt angefragt: Es ging dabei um die Schnittstellen im Zusammenhang mit der städtebaulich strategischen Rolle öffentlicher Bibliotheken für die zukünftige Entwicklung von Städten in Flandern und Holland. Parallel dazu wurde auch Daniel A. Walser vom Institut für Bauen im alpinen Raum (IBAR) der FH Graubünden von der Architekturabteilung der Universität Antwerpen eingeladen, an diesem Projekt mitzuarbeiten. Das Projekt wurde bei der EU eingegeben, kam aus verschieden Gründen jedoch nicht zustande. Den Mitgliedern der FH Graubünden war jedoch rasch klar, dass es sich lohnen würde, den Schwung beizubehalten und die Kontakte zu pflegen bzw. im Hinblick auf mögliche weitere Projekte auszubauen.

FH Graubünden-interne Gruppe: gemeinsame Fragestellung

An der FH Graubünden bildete sich daraufhin eine kleine Gruppe von vier Personen: zwei arbeiteten im Departement Lebensraum, zwei im Departement Angewandte Zukunftstechnologien. Diese Gruppe traf sich ohne jede Finanzierung – also praktisch in ihrer Freizeit –, um eine gemeinsame Fragestellung zu erarbeiten. Bibliotheken und Architekturbüros sind von der Aufgabenstellung fasziniert, neue Bibliotheksgebäude zu bauen. Die neuen Gebäude sollen moderne Bibliotheken beherbergen. Aber was das genau heissen soll – was eine moderne Bibliothek ist und welche Aufgaben sie zu erfüllen hat –, ist nicht geklärt. Es gibt zum Beispiel immer wieder Kommentare seitens des Personals in neu gebauten Bibliotheken: Die Mitarbeitenden beanstanden bestimmte Entscheidungen, die offenbar aus rein architektonischen Überlegungen getroffen worden sind.

Das gemeinsame Interesse der neu gebildeten Gruppe bestand in der Untersuchung der unterschiedlichen Ziele und Wahrnehmungen beim Bau von neuen Bibliotheken – nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität.

International Exploratory Workshop

Es ist nicht so, dass die Fördereinrichtungen die Forschenden vollständig alleine lassen bei der Gründung von Netzwerken. Beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gibt es eine Förderlinie, die auf die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit von Forschenden abzielt, die sogenannten International Exploratory Workshops. Diese werden finanziert, damit sich Forschende treffen und an der Erstellung gemeinsamer Projekte arbeiten können.

Das FH Graubünden-Team konnte 2014 einen solchen Workshop durchführen. Es nahmen Kolleginnen und Kollegen aus Dänemark, Norwegen, Schweden, den Niederlanden, Belgien, Deutschland und der Schweiz daran teil. Es wurden verschiedene Projekte und Forschungsarbeiten vorgestellt und man begann, sich Gedanken über ein grösseres, gemeinsames Netzwerk zu machen. Das gemeinsame Interesse an verschiedenen Fragen rund um Bibliotheken im städtischen Raum – wobei die Fragestellungen bibliothekswissenschaftlicher, architektonischer, soziologischer und medienwissenschaftlicher Natur waren – war der treibende Faktor und «gemeinsame Nenner» aller Beteiligten. Der Workshop wurde ein Erfolg, es entstand ein Netzwerk. Es folgten weitere Treffen, z. B. 2015 in Oslo und 2016 in Antwerpen. Sie wurden jeweils vor Ort organisiert und finanziert, sind jedoch auch dem Engagement der Mitglieder während ihrer Freizeit zu verdanken.

SNF-Antrag: «Landmark Libraries in Urban Space»

Der Aufbau des grossen Netzwerks sollte über kleinere, gemeinsame Projekte angestossen werden. Kleinere Projekte liefern zum einen die benötigten Forschungsmittel, um gemeinsame Treffen, Planungen und Arbeiten rund um das betreffende Forschungsthema zu organisieren, zum anderen werden bei kleinen Projekten die Kompetenzen aufgebaut, die dann für ein grosses Projekt nachgewiesen werden müssen.

Die FH Graubünden-interne Gruppe tat sich mit einer losen Gruppe an der Fachhochschule Potsdam zusammen, um beim Schweizerischen Nationalfonds einen Antrag einzureichen. Thema des Antrags waren Bibliotheken, die in den letzten Jahren explizit gebaut worden waren, um als architektonische «Leuchttürme» die jeweilige Umgebung positiv zu beeinflussen. Es sollte untersucht werden, mit welchen Hoffnungen solche Bibliotheken projektiert, wie sie gebaut und eingerichtet werden – und wie sie nach einem Zeitraum von rund zehn Jahren tatsächlich wirken. Dabei galt es, verschiedene Forschungsmethoden zu kombinieren. Zugleich sollte eine bestimmte Anzahl von Städten mit unterschiedlichen Herausforderungen untersucht werden. Der Antrag versprach neue Erkenntnisse zur Wirkung von Architektur und Kultureinrichtungen und zur Wirkung von Bibliotheken auf sich verändernde Gemeinschaften.

Der Antrag wurde 2015 mit internen Mitteln der FH Graubünden erarbeitet. Erst diese Finanzierung machte ihn möglich. Im Rahmen dieser Finanzierung unternahm das FH Graubünden-Team auch einen Ausflug nach Spiez in eine neugebaute Bibliothek, um die unterschiedlichen Herangehensweisen der jeweils anderen Parteien bei der Analyse eines solchen Baus kennenzulernen. Dieser Ausflug war für beide Seiten sehr lehrreich und unterstrich eine unterschiedliche Sichtweise. Letzten Endes wurde der Antrag jedoch abgelehnt.

COST-Action

Anlässlich weiterer Treffen wurde beschlossen, gemeinsam einen Antrag auf eine sogenannte COST-Action zu stellen. Dies ist ein Instrument der EU-Forschungsförderung, welches die Zusammenarbeit von Forschenden in der EU und in assoziierten Staaten finanzieren soll. Das Erstellen von Anträgen ist umständlich. COST wird über eine eigene Stiftung mit eigenem Regelwerk und eigener Terminologie abgewickelt. Nur, weil sich in einigen Ländern eine kleine Finanzierung und in anderen Ländern engagierte Kolleginnen und Kollegen fanden, die ihre Freizeit opferten, konnte der gemeinsame Antrag gestellt werden. Bei der Antragsstellung ging es immer weniger um den eigentlichen Inhalt, also das Forschungsthema selbst, sondern erst einmal darum, überhaupt eine Finanzierungschance zu erhalten.

Und das Netzwerk?

Auch dieser Antrag wurde 2016 leider abgelehnt. Es gab Überlegungen, ihn noch einmal einzureichen. Zurzeit scheinen die Dinge jedoch im Sand zu verlaufen. Immerhin wurde eines der kleinen Projekte in Norwegen angenommen und wird derzeit von einem Team der ehemals Beteiligten durchgeführt. Ansonsten gibt es weiterhin sporadische Kontakte, beispielsweise gegenseitige Einladungen zu Lehrveranstaltungen. Es scheint, als ob das Netzwerk innerhalb kurzer Zeit wieder aktiviert werden könnte, falls sich ein Grund dafür findet.

Das FH Graubünden-interne Team ist sich durch die gemeinsame Arbeit näher gekommen. Es gibt gemeinsame Interessen und es wäre auch sinnvoll, gemeinsam weiter zu forschen.

Fazit: Netzwerke müssen nachhaltig gefördert werden

Für die Beteiligten war die Arbeit am Netzwerk gewinnbringend. Das Zusammentreffen mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern und die Diskussionen mit ihnen halfen zum Beispiel bei der gedanklichen Analyse und Erkenntnis, was Bibliotheken in der Schweiz besonders auszeichnet (z. B. die überdurchschnittlich hohe Sicherheit) und was nicht (z. B. der Wunsch, modern zu sein). Auch die Arbeit an den letztlich gescheiterten Anträgen lieferte neues Wissen, das unter anderem in den Unterricht mit einfliesst.

Zugleich zeigte das Netzwerk auch die Grenzen der aktuellen Forschungsförderung auf. Es wurde klar, wie unterschiedlich die Förderinstrumente und die Wahrnehmung von Kooperationen über die eigene Institution hinaus in den verschiedenen Ländern sind. Die Arbeit am Netzwerk erfolgte in einigen Ländern im Rahmen der normalen (mitfinanzierten) alltäglichen Arbeit, in anderen nur aufgrund des Engagements seitens der Kolleginnen und Kollegen. Auch das FH Graubünden-Team musste zuerst seine Freizeit investieren. Ein Unterschied: In einigen Ländern wird der Besuch von Konferenzen offenbar als Kontaktmöglichkeit wahrgenommen und deshalb finanziert. Nur so kam es überhaupt zum Versuch, ein Netzwerk zu gründen. In der Schweiz gilt dieser Besuch nur als Weiterbildung und wird auch nur als solcher finanziert.

Das Fazit dieser Geschichte: Kooperation funktioniert immer nur, solange sie aktiv betrieben wird. Dies muss auch nachhaltig ermöglicht werden.