Weltfrauentag und nachhaltige Entwicklung: Interview mit Ulrike Zika und Livia Somerville
Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Bereits seit mehr als 100 Jahren wird an diesem Tag weltweit auf Frauenrechte, die Gleichstellung der Geschlechter und bestehende Ungleichheiten und Diskriminierungen aufmerksam gemacht. Die Hochschulen in der Schweiz haben den Auftrag Chancengleichheit und die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern und umzusetzen. Zudem sind Geschlechtergleichheit (SDG 5) und der Abbau von Ungleichheiten (SDG 10) wichtige Ziele in der Agenda 2030 der UNO mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals).
Im Interview berichten Ulrike Zika, Leiterin des Departementes Entwicklung im alpinen Raum, Hochschulleitungsmitglied und Beauftragte für die Nachhaltige Entwicklung an der FH Graubünden und Livia Somerville, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Verantwortliche für das Nachhaltigkeitsprogramm der FH Graubünden über ihren Beitrag zu Chancengleichheit, Inklusion und Diversität an der FH Graubünden und beantworten Fragen im Zusammenhang mit Geschlechtergerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung.
Wie hängen die Themen Chancengleichheit und nachhaltige Entwicklung eurer Meinung nach zusammen?
Ulrike Zika: Ohne Chancengleichheit gibt es für mich keine nachhaltige Entwicklung. Denn wenn es ein Ungleichgewicht und zu grosse Unterschiede gibt, kann man sich nicht nachhaltig entwickeln. Das kann man ja auch in der Natur oder Gesellschaft beobachten; zurzeit gerade am tragischen Beispiel der Ukraine. Denn die meisten Kriege oder Revolutionen entstehen wegen sozialer Gefälle.
Livia Somerville: In der Schweiz bringen wir Nachhaltigkeit mit sehr vielen Themen wie Umweltschutz oder Klimawandel in Verbindung. Da wir einen der höchsten Lebensstandards global haben und dieser immer noch auf Kosten der Umwelt getragen wird, liegt für uns die grösste Herausforderung darin, mit den vorhandenen Ressourcen schonend umgehen zu können. Viele Leute vergessen jedoch, dass die nachhaltige Entwicklung auch gesellschaftliche und soziale Aspekte umfasst. Dazu haben wir ja die Agenda 2030 mit ihren Zielen für die nachhaltige Entwicklung. Darin enthalten ist das Ziel Nr. 5, welches die Geschlechtergleichstellung adressiert, wodurch ein besseres Gleichgewicht erreicht werden soll und auch Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung verholfen wird.
Laut Bundesamt für Statistik liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Schweiz bei 36%. Der Frauenanteil in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten nimmt zwar weiter zu. International liegt die Schweiz jedoch zurück. Auch im Bereich der Hochschulen ist die Vielfalt in Führungsgremien noch nicht erreicht. Die FH Graubünden hat deshalb ein Strategieziel zur Förderung von Vielfalt in Führungs- und Dozierendenpositionen definiert. Wie können die Hochschule und die Departementsleitungen, resp. du, Ulrike, als Departementsleiterin Chancengleichheit und Gleichstellung fördern?
Einerseits muss bei den Anstellungen vermehrt darauf geachtet werden, dass bei gleicher Qualifikation das untervertretene Geschlecht bevorzugt wird. Weiter müssen wir aber auch unbedingt gut darauf achten, dass wir die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit gewährleisten können. Das heisst, möglichst flexible Arbeitszeiten und ortsungebundene Arbeitsplätze. Natürlich hängt das vom jeweiligen Job ab, aber als Arbeitgeberin und Ausbildungs- und Weiterbildungsinstitution sollten wir so gut wie möglich versuchen, diese Voraussetzungen zu ermöglichen. Auch wenn wir das nun in der Pandemie weitestgehend erlebt haben, denke ich dennoch, dass wir auch in Zukunft besser darauf schauen können, flexible Arbeitszeiten und ortsungebundene Arbeitsplätze zu gewährleisten. Denn gerade in der Schweiz liegt ein Problem darin, dass das Schulsystem unregelmässige Unterrichtszeiten hat, was es den Eltern erschwert, ihrem Beruf regelmässig nachzugehen.
Welche Themen siehst du in der Wissenschaft, Forschung und Führung bezüglich Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion?
Als Möglichkeit in der Forschung finde ich z.B. zu überlegen, ob in einem Forschungsantrag der Name weggelassen werden kann. Oftmals ist das jedoch sehr schwierig, weil ja auch berücksichtigt werden muss, ob eine Person überhaupt dazu in der Lage ist und die Anforderungen erfüllt. Eine entsprechende Überprüfung erfolgt gewöhnlich über den CV, welcher jedoch wiederum Rückschlüsse auf die Person und damit auf ihr Geschlecht, Alter, Herkunft etc. zulässt. Also es ist nicht so einfach. Man weiss heute, dass wenn bei Schulaufsätzen oder Aufnahmeprüfungen der Name weggelassen wird, die Noten resp. die Ergebnisse ganz anders ausfallen, als wenn der Name bekannt ist. Zudem sehe ich schon auch eine Dringlichkeit darin, ein Bewusstsein für die Themen von Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion in der Wissenschaft, Forschung und Führung zu schaffen. Dazu braucht es noch eine Menge Arbeit. Livia hat mir diesbezüglich ein schönes Zitat gegeben: «Privilegien sind unsichtbar für diejenigen, welche sie bereits haben.» Für mich heisst das, wir uns wieder bewusster über unsere Privilegien Gedanken machen sollten und z.B. bei Entscheidungen überlegen, ob sich diese auf Privilegien abstützen, welche uns, aber nicht allen gegeben sind. Wir sind hier alle gefordert, vermehrt den Finger bei diesen Themen draufzuhalten und kontinuierlich darauf aufmerksam zu machen. Ganz konkret denke ich da beispielsweise auch an Sitzungen, wo man sich mal wieder überlegen sollte, wie man miteinander umgeht und wem man z.B. wie viel Redezeit gibt.
UN Women schreibt, dass die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter im Zusammenhang mit der Klimakrise und der Reduzierung des Katastrophenrisikos eine der größten globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist. Würdest du dem zustimmen? Weshalb, weshalb nicht? Was sind entscheidende Faktoren?
Ich habe dazu gerade etwas für meine Studierenden vorbereitet. Es ist ja auch heute noch so, dass alleine die Tatsache eine Frau zu sein, in manchen Ländern, ein höheres Risiko extremer Armut für diese birgt. Extreme Armut bedeutet mit weniger als 2.- USD pro Tag auskommen zu müssen, keinen Grundschulabschluss zu haben oder auch keinen Zugang zu minimalen Gesundheitseinrichtungen. Ich glaube, in der Schweiz haben wir diese Herausforderungen bereits überwunden. aber auch wir stehen noch vor einer Menge Herausforderungen, welche sich nicht einfach so in Luft auflösen. Z.B. haben wir nicht die volle und wirksame Teilhabe von Frauen in Führungsrollen, auf der Ebene von Entscheidungsfindungen z.B. in politischen Ämtern und auch sonst im wirtschaftlichen, öffentlichen Leben ist die Gleichstellung noch nicht ganz sichergestellt. Ich glaube, wir machen Fortschritte, aber man muss ehrlicherweise auch sagen, dass diese Fortschritte sehr, sehr klein sind und wir nur langsam voranschreiten. Frauen haben auch heute noch nicht die gleichen Chancen und Möglichkeiten wie Männer. Auch nicht in den sehr entwickelten Ländern, wo auch wenn die Probleme von Land zu Land sehr variieren können, sie dennoch überall bestehen und das, finde ich, ist ein Problem.
Inwieweit, denkst du, kann die Geschlechtergleichstellung dazu beitragen, eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben?
Hier kann ich die genannten Punkte von Ulrike nur bestätigen. Es gibt diesbezüglich ja genügend Studien, welche uns zeigen, dass ausgeglichene Teams besser unterwegs sind; weil sie vielleicht mehr Entwicklungen antizipieren, weil sie vielleicht nicht einfach alle ins gleiche Horn blasen und sich somit nicht gegenseitig bestätigen, sondern Fehler oder Schwachstellen oder blinde Flecken aufzeigen, die man mit Heterogenität übersehen oder auch nicht erreichen kann. Das macht es vielleicht in der Diskussion etwas schwieriger, also ein heterogenes Team, aber gerade diese Heterogenität in einem Team bringt sehr viele Chancen mit sich und macht einem auch resilienter für die Zukunft. Mehr Ausgeglichenheit führt auch dazu, dass man besser in der Lage ist das Weltgeschehen zu erfassen und am Puls der Zeit zu sein, Trends zu erkennen; was gerade für eine Fachhochschule etwas sehr Wichtiges ist. Denn als Fachhochschule gehört es ja auch zu unseren Aufgaben, der Zeit stets einen Schritt voraus zu sein.
Was ist euer Beitrag in eurer Funktion, damit die FH Graubünden eine chancengleiche und vielfaltsfördernde Hochschule ist?
Ulrike Zika: Als Hochschulleitungsmitglied schaue ich, dass wir auch in den Kernprozessen ein Bewusstsein für die Themen der Vielfalt und Chancengleichheit schaffen und konkret die Anliegen der Frauen in der Hochschulleitung Gehör finden. Ganz konkret schaue ich auch bei Anstellungen darauf, dass bei gleicher Qualifikation die untervertretene Gruppe bevorzugt wird; das kann natürlich beide Geschlechter betreffen. Zudem schaue ich bei der internen Mittelvergabe darauf, dass alle gleichbehandelt werden und die Mittel anhand von inhaltlichen und fachlichen Kriterien und nicht willkürlich verteilt werden. Zudem schaue ich gemeinsam mit dem Personal darauf, dass es bei Lohnerhöhungen und Einstellungen keine Unterschiede nur aufgrund z.B. des Geschlechts gibt.
Livia Somerville: Vielfalt und Chancengleichheit sind für mich persönlich sehr wichtige Themen und ich versuche das auch in meinem Entscheidungsraum zu leben. Ich moderiere beispielswiese die Sitzungen der Nachhaltigkeitskommission, wo ich Wert darauflege, dass alle Teilnehmenden ihre entsprechende Redezeit erhalten, wodurch ich versuche, für eine Ausgeglichenheit zu sorgen. Zudem schaue ich in unseren Projekten darauf, dass wir ausgewogene Teams haben und bei gleicher Qualifikation auch Projektleiterinnen haben, da wir bisher nur Projektleiter hatten.