Interview mit Jürg Kessler, Rektor der Fachhochschule Graubünden zum Thema Respekt
Im dritten Beitrag von #diversityFHGR_meinBeitrag berichtet Jürg Kessler, Rektor der Fachhochschule Graubünden über seinen Beitrag zu Chancengleichheit, Inklusion und Diversität an der FH Graubünden.
Die Hochschulen haben den Auftrag, für Chancengleichheit und die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau zu sorgen. Die FH Graubünden setzt sich seit vielen Jahren auf verschiedenen Ebenen dafür ein. Wo siehst du als Rektor der FH Graubünden die Chancen der Vielfalt und Chancengleichheit?
Ich verstehe Chancengleichheit und Gleichstellung nicht primär als Auftrag. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass die Berücksichtigung und Umsetzung von Vielfalt und Chancengleichheit einen Mehrwert für den gemeinsamen Erfolg bedeuten. Dies ist der einzig richtige Weg, um langfristig erfolgreich zu sein. Ergänzend würde ich hier gerne erwähnen, dass wir gerade als Bündnerinnen und Bündner durch unsere drei Kantonssprachen und die verschiedenen Kulturen geübt sind im Umgang mit Vielfalt. Wenn man innovativ und agil sein will, kann man aus dieser Vielfalt sehr viel Energie und neue Ideen gewinnen. In unserer komplexen Welt gibt es immer mindestens zwei verschiedene Blickrichtungen auf das gleiche Thema, wodurch Vielfalt eigentlich per se definiert ist. Und gerade diese vielfältigen Blickwinkel können bei der Lösungsfindung helfen.
Chancengleichheit bedeutet auch, ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen. Wie kann die FH Graubünden eine positive und respektvolle Lern- und Arbeitsumgebung für alle Studierenden und Mitarbeitenden, ganz gleich welcher sozialen und ethnischen Herkunft, Religion, Hautfarbe, Fähigkeiten und Einschränkungen, Alter oder welchen Geschlechts & geschlechtlicher Identität, schaffen?
Unsere Entscheide und unser Handeln sind von den vier Werten Respekt, Verantwortung, Zukunftsorientierung und Reflexion geprägt. Insbesondere Respekt und Verantwortung haben in diesem Zusammenhang eine grosse Bedeutung. Aber auch Reflexion, also dass man aufmerksam ist und das eigene Handeln und die gefällten Entscheide hinterfragt, ist entscheidend. Und wenn man schliesslich der Zukunftsorientierung genügend Wert beimisst, erkennt man, dass Vielfalt einer der ganz wichtigen Erfolgsfaktoren ist. Es ist deshalb wichtig, dass wir die Umsetzung unserer Werte immer wieder überprüfen. Anhand dieser Werte können wir auch herausfinden, wo Prävention nötig ist und frühzeitig dafür sensibilisieren. Dazu hat unsere Fachstelle Diversity wichtige und gute Dokumentationen erarbeitet.
Zu einem diskriminierungsfreien Umfeld gehören aber auch die Umsetzung und Einhaltung gesetzlicher Vorgaben wie beispielsweise des Gleichstellungsgesetzes, des Arbeitsgesetzes sowie des Obligationenrechts. Ich denke da beispielsweise an die Thematik der «barrierefreien Toiletten». Wir haben versucht, solche an allen unseren Standorten umzusetzen, auch wenn wir teilweise aufgrund der älteren Gebäude improvisieren mussten. Bei den Löhnen achten wir darauf, dass keine Unterscheidung aufgrund des Geschlechts, sondern nur aufgrund von Leistung oder Funktion gemacht wird. Eine vom Kanton beauftragte Analyse an unserer Hochschule hat gezeigt, dass bei uns Frauen und Männer für die gleiche Arbeit gleich viel Lohn erhalten. Dies ist ein wichtiges Signal für die Umsetzung der Chancengleichheit an der FH Graubünden. Zudem unterstützen wir Mitarbeitende mit Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern oder anderen Familienangehörigen dabei, gemeinsame Lösungen zu finden, so dass auch dort aufgrund der Betreuungssituation keine Diskriminierung entstehen kann.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Vorgehen bei diskriminierenden Vorfällen. Hier trägt die Hochschulleitung eine unglaublich hohe Verantwortung für alle Beteiligten. Dazu möchte ich festhalten, dass wir als Hochschulleitung in keiner Art und Weise irgendeine Form von psychischer und physischer Belästigung oder Diskriminierung – namentlich auch sexistische oder sexuelle Belästigungen – dulden. Sobald wir von einem solchen Vorwurf erfahren, gehen wir diesem nach und ergreifen nach einer sorgfältigen Überprüfung des Vorfalls allenfalls notwendige disziplinarische Massnahmen.
Dabei ist es sehr wichtig, dass man sensibel vorgeht und alle Aspekte berücksichtigt. In den Prüfungsprozess werden deshalb sowohl die Person, welche belästigt wird, als auch die Person, welche Belästigungen oder Mobbing auslöst, miteinbezogen. Bei solchen Vorkommnissen ist es zentral, als vorgesetzte Person aufmerksam zu sein, seine Verantwortung sowohl gegenüber der betroffenen als auch der beschuldigten Person wahrzunehmen. Denn es können auch Vorverurteilungen stattfinden, durch welche man in Situationen geraten kann, welche für niemanden mehr tragbar sind. Bei einem Mobbingvorwurf sollten deshalb immer zuerst direkte Gespräche mit allen Beteiligten geführt werden. Für die Person, die sich gemobbt fühlt, gibt es gute Checklisten anhand derer sie überprüfen kann, ob es sich um Mobbing oder um einen Einzelkonflikt handelt, den man als solchen lösen muss. Denn jeder Mobbingvorwurf gegenüber einer Person hat auch disziplinarische Folgen. Entsprechend müssen die vorgesetzte Person und die Hochschulleitung die Verantwortung für beide Seiten übernehmen und unverzüglich die notwendigen Abklärungen treffen, damit in beiden Fällen, also Mobbing und Einzelkonflikt, entsprechend reagiert werden kann und allfällige disziplinarische Massnahmen erfolgen können. Dies muss sehr rasch geschehen, da Informationen heutzutage blitzschnell verbreitet werden. Es ist wichtig, dass man sich dieser Doppelverantwortung bewusst und darin bemüht ist, Vorverurteilungen zu vermeiden. Denn schliesslich trägt man auch eine Verantwortung gegenüber der gesamten Hochschulgemeinschaft.
Was hat die FH Graubünden deiner Ansicht nach hier bereits erreicht und in welchen Bereichen siehstdu noch Entwicklungspotenzial?
Wie bereits erwähnt legen wir grossen Wert auf Chancengleichheit und Gleichstellung. Bei den Löhnen, den Anstellungsbedingungen, aber auch im Bereich barrierefreie Hochschule sind wir auf einem guten Weg. Potenzial haben wir sicher noch im Bereich von gezielten Schulungen für Vorgesetzte sowie die gesamte Hochschulgemeinschaft. Denn es kann auch zu Vorfällen zwischen den Studierenden oder zwischen Kolleginnen und Kollegen kommen. Daher ist es umso wichtiger, diese vielen verschiedenen Akteurinnen und Akteure bei der Sensibilisierung miteinzubeziehen. Darunter verstehe ich die Studierenden und Mitarbeitenden – wozu auch die Lehrbeauftragten zählen – sowie die verschiedenen Beziehungen zwischen diesen Gruppen. Gerade diesen Aspekt finde ich sehr wichtig, da es ja auch untereinander oder in der Beziehung zwischen den Gruppen zu Vorfällen kommen kann. Gerade hier kann man mit Sensibilisierungsarbeit und Schulungen ansetzen. Die Sichtbarkeit der gesamten Gemeinschaft mit ihren Akteurinnen und Akteuren sowie Beziehungen ist wichtig, um zu erkennen, welche Probleme entstehen können. Wir als Hochschulleitung tragen die Verantwortung für das Ganze und müssen die Hochschulgemeinschaft dementsprechend sensibilisieren. Bisher haben wir nur die Einzelfälle behandelt. Es sollte jedoch nicht nur im Einzelfall vorgegangen werden, sondern insgesamt auch strukturiert und präventiv. Hier liegt ein grosses Potenzial und hier haben wir auch noch einiges zu tun.
Zudem sollte immer wieder auf die neutralen Anlaufstellen für Mitarbeitende sowie Studierende aufmerksam gemacht werden. Die Studierenden wechseln sehr schnell und ich bin mir nicht immer ganz sicher, ob sie dann, sollte es zu einem Vorfall kommen, auch wirklich wissen, an wen sie sich wenden können.
Was tut die FH Graubünden für Betroffene von Diskriminierung konkret?
Wenn sich jemand nicht wohlfühlt, ist es wichtig, dass man entsprechende Stellen hat, an die sich diese Person wenden kann. Wir bieten dazu etwa Einzelberatungen im Students Service an oder man kann sich auch an die Fachstelle Diversity und Chancengleichheit wenden. Im konkreten Fall sollte die betroffene Person unbedingt die vorgesetzte Person oder die nächsthöhere Instanz resp. die Lehrperson oder Studienleitung informieren, um eine Lösung zu finden. Der Vorfall wird dann in einem sogenannten informellen Verfahren abgeklärt. Das heisst, die übergeordnete Person wird informiert, es werden Sofortmassnahmen ergriffen und versucht, eine Lösung herbeizuführen. Zudem kann die betroffene Person beim zuständigen Mitglied der Hochschulleitung einen Antrag auf ein internes Abklärungsverfahren stellen, welches von einer externen Stelle begleitet wird. Sollten aus bestimmten Gründen diese beiden Möglichkeiten nicht sinnvoll sein, bieten wir die Unterstützung durch von der Hochschule bezeichneten Vertrauenspersonen oder einer externen Beratungsstelle an, welche mit der betroffenen Person ein erstes Informationsgespräch führen. Das Angebot neutraler Anlaufstellen ist wichtig, damit man sich bei einem Vorfall von Diskriminierung, Mobbing oder sexueller Belästigung neutral an jemanden wenden und vertraulich beraten werden kann.
Welche konkreten Massnahmen und Aktionen sind in diesem Rahmen in nächster Zukunft an der FH Graubünden geplant?
Bei der Anstellung und Beförderung von Dozierenden achten wir sehr darauf, den Frauenanteil zu erhöhen, was je nach Fachbereich eine nicht ganz einfache Aufgabe ist. In den Ingenieurstudiengängen beispielsweise ist es schwieriger unser Ziel von 30 Prozent bis 2026 zu erreichen, weil es derzeit nur wenige Frauen gibt, welche in diesen Berufen tätig sind. Im Tourismus oder in der Informationswissenschaft hingegen sind mehr Frauen mit Dozierendenfunktion beschäftigt. Unser Ziel, bis 2026 einen Frauenanteil von 30 Prozent in Dozierenden- und Führungsfunktion zu haben, verfolgen wir bei allen neuen Anstellungen. Das fängt bereits in der Zusammensetzung der Wahlvorbereitungskommission an und auch bei Projektteams schauen wir vermehrt darauf, eine Diversität in der Teamzusammensetzung zu schaffen. Dass wir auf dem richtigen Weg zur Zielerreichung sind, sieht man an den Jahreszielen.
Was ist dein Beitrag in dieser Funktion, damit die FH Graubünden eine chancengleiche und vielfaltsfördernde Hochschule ist?
Mein persönlicher Beitrag als Rektor ist auf der einen Seite die fokussierte Mitunterstützung anhand der uns zur Verfügung stehenden Mittel sowohl auf nationaler Ebene als auch bei uns an der FH Graubünden. Dazu gibt es verschiedene Projekte wie das «P-7: Diversität, Inklusion und Chancengerechtigkeit in der Hochschulentwicklung» auf nationaler Ebene, welches wir unterstützen oder unsere eigenen Aktionspläne. Mir ist wichtig, dass man dabei fokussiert vorgeht. Auf der anderen Seite sind für mich, wie ich bereits gesagt habe, die Themen Chancengleichheit, Vielfalt und Respekt mehr als nur ein Auftrag. Für mich ist es eine Motivation, weil ich davon überzeugt bin, dass wir durch das bewusste Schaffen von Vielfalt in Zukunft mehr Erfolg haben werden. Und zwar Erfolg sowohl in quantitativen als auch in qualitativen Bereichen und im Erleben der Gemeinschaft, in der wir arbeiten.
Weiterführende Informationen
Informationsmaterialien und angebote für Betroffene:
- Die Richtlinie, welche das Verfahren bei Fällen von sexueller Belästigung, Mobbing und Diskriminierung am Arbeitsplatz und im Studium regelt und die Vorgehensmöglichkeiten von Betroffenen sowie die Rolle von Führungspersonen und Dozierenden erläutert, steht allen Hochschulangehörigen im Intranet zur Verfügung.
- Weiterführende Informationen finden sich zudem im Flyer «Mit Respekt begegnen»
Beratungs- und Anlaufstellen für Betroffene:
- Ebenfalls im Intranet angegeben sind interne Vertrauenspersonen für Mitarbeitende und Studierende, die sich sexuell belästigt, gemobbt oder diskriminiert fühlen sowie weitere Beratungsstellen
Diversity-Policy der FH Graubünden
Die Diversity-Policy bildet die Grundlage für die Arbeit im Bereich Chancengleichheit und Diversität an der FH Graubünden. Die Fachstelle Diversity begleitet den diesbezüglichen Umsetzungsprozess an der Hochschule.