Gesünder leben dank «guter» Architektur
Gesundheit ist in der modernen Gesellschaft ein essenzieller Faktor. Heutzutage verbringen die Menschen in Mitteleuropa durchschnittlich rund 90 Prozent ihrer Zeit in Innenräumen. Schlafen, wohnen, arbeiten und sich bewegen geschieht somit vielfach in einem Innenraum. Die Architektur ist deshalb gefordert, eine gute und vor allem gesunde Umgebung zu schaffen.
Text: Daniel A. Walser / Visualisierungen: Kevin Bosshard, Andreas Gassner, Larissa Good
Heutzutage werden Bauwerke anhand von Normen und Standards auf Sicherheit getrimmt. Doch Sicherheit ist nicht die einzige Ebene, die von Bedeutung ist: Räume zu schaffen, die der Gesundheit förderlich sind, gilt seit der Moderne als ebenso wichtiger Aspekt.
Zeitgenössische Architektur und Gesundheit sind zwei Bereiche, die bis heute eng miteinander verbunden sind. Architektur kann einen essenziellen Beitrag liefern, indem sie Räume schafft, die sinnvoll materialisiert (das heisst leicht zu reinigen), gut belichtet und korrekt ausgerichtet sind. Dies ist seit jeher ein zentrales Anliegen. Selbst der römische Architektur-Theoretiker Vitruv hatte bereits 33 Jahre vor Christi Geburt darauf bestanden. Im Zuge der industriellen Entwicklung im Bauwesen hat sich viel verändert. Neue technische Errungenschaften, billigere Bauweisen und effizientere Bautechnologien ermöglichten neue Konstruktionen. Oftmals wurden dabei Leime und Lösungsmittel sowie Baustoffe eingesetzt, die ungesund sind. Diese Risiken und Gefahren werden heutzutage über Grenzwerte und Normen kontrolliert.
Gesunde Ausrichtung der Bauwerke
Gerade die moderne Architektur um 1900 suchte nach Mitteln und Wegen, das Leben der Menschen zu verbessern. Dabei ging es nicht nur um die Funktionalität der Gebäude, deren Grundrisse und Konstruktion, sondern auch um Hygiene. Damit waren nicht nur sanitäre Anlagen sowie rauchfreie Zentralheizungen und Küchen gemeint, sondern es ging dabei grundsätzlich auch um hygienische, gut zu reinigende Oberflächen in den Räumen – sprich Oberflächen, auf denen sich keine Keime festsetzen oder von denen Keime einfach zu entfernen sind. Ausserdem mussten die Räume gut belichtet und belüftet und so ausgerichtet sein, dass das Sonnenlicht ungehindert eindringen konnte. Diese Regeln waren eine unmittelbare Reaktion auf den spekulativen Wohnungsbau vor dem Ersten Weltkrieg, der seinerzeit zu heute unvorstellbaren Wohnsituationen führte.
Akzentuiert wurde das Ganze damals noch von der grassierenden Tuberkulose, der Krankheit, die damals die verbreitetste Todesursache überhaupt war. Nicht zuletzt, weil es bis zum Zweiten Weltkrieg keine medikamentöse oder operative Behandlungsmethode für Tuberkulose gab. Die wichtigste Massnahme bestand folglich darin, die erkrankten Patientinnen und Patienten aus der Gesellschaft zu separieren. Die Hoffnung war, dass die trockene Luft der Alpen und die Bergsonne die Tuberkulose lindern und im besten Fall sogar heilen würden. So wurden etwa in Davos und Arosa Tuberkulose-Kliniken errichtet, die diese Orte bis heute mit ihrer nach der Sonne ausgerichteten Architektur prägen. Hier wurden die an Tuberkulose erkrankten internationalen Gäste, sofern sie es sich leisten konnten, teilweise über Jahre in den Schweizer Bergen gepflegt. So hat sich in Graubünden in den 1920er-Jahren eine gesund machende Architektur herausgebildet: weisse, gut zu reinigende Materialien und Räume mit grossen, lichtdurchfluteten Fensteröffnungen.
Gesünder leben in Davos
Die Erkenntnisse von damals sollten aber auch für die allgemeine Architektur nutzbar gemacht werden. Das Sprachrohr der modernen Architektur – Sigfried Giedion – verfasste 1929 ein eindringliches Manifest: «Befreites Wohnen. Licht, Luft, Öffnung.» Da Giedion seine Ferien oft in Davos verbrachte, war er mit den Erkenntnissen der Architektur zum Thema «gesundes Bauen» vertraut. Bis heute haben diese Erkenntnisse Spuren in der modernen Architektur hinterlassen: Die Vorstellungen von gutem, modernem Wohnen sind bis heute von diesen Prinzipen geprägt.
Gesundheitsbauten im Unterricht
An der FH Graubünden sind Architektur und Gesundheit ebenfalls immer wieder ein Thema. Zwei verschiedene Thesis-Themen sind entsprechende Beispiele hierfür: Der Neubau des Dreifachkindergartens Herold in Chur im Jahr 2022 und die Neunutzung der Casa Vinavon in Ilanz im Jahr 2023 – ein Haus, das dem Dominikanerorden des Frauenklosters Ilanz gehört.
Der Student Kevin Bosshard schlug für den Kindergarten ein stimmiges Ensemble von drei Bauten aus Stampflehmwänden vor. Stampflehm ist nicht nur ein ökologisch vorteilhafter Baustoff – er regelt auch die Feuchtigkeit und die Temperatur der Innenräume sehr gut und ist dazu noch antiseptisch. Gerade heute kommen vermehrt wieder «gesunde» Baustoffe auf der Baustelle zum Einsatz.
Für die Neunutzung der Casa Vinavon in Ilanz war es den Studierenden freigestellt, welche Nutzung sie für das Volumen vorsehen. Die meisten Studierenden schlugen eine soziale Funktion für diesen Bau vor. Die Studentin Larissa Good entwickelte beispielsweise ein regionales Geburtshaus als Alternative zur klinischen Infrastruktur bei einer Spitalgeburt. Der Bau zeigt vorbildlich, wie ein etwas sperriger Bestandsbau in eine komplett neue Architektur transformiert werden kann, ohne den Bestand abreissen zu müssen.
Bei derselben Thesis-Aufgabe schlug der Student Andres Gassner für das bestehende Gebäude gar eine psychologische Rehaklinik für stationäre Aufenthalte vor. Der Erhalt von bestehender Bausubstanz schafft viel Potenzial, spart Ressourcen und bietet ungewohnte Chancen für neue Nutzungen. Der Student plante eine Klinik, die erhöhten gestalterischen Anforderungen genügen muss.
Gute Architektur und guter Städtebau fördern die Gesundheit
Eine «gute» Architektur hat einen positiven Einfluss auf die Gesundheit. Sie ist eine Architektur, die nicht nur nach ökonomischen Kriterien entworfen wird, sondern auch gestalterische und gesundheitsfördernde Aspekte mit einbezieht. Eine gute Gestaltung fördert das Wohlbefinden der Nutzenden. So sind heute selbst Spitalbauten nicht mehr nur «maschinelle Betriebe», die Menschen gesund pflegen, sondern echte architektonische Erlebnisse, die den Patientinnen und Patienten helfen sollen, schnell wieder auf die Beine zu kommen.
Auch im Bereich des Städtebaus sind die gesundheitlichen Anforderungen im Zuge der Klimaerwärmung gestiegen und es wird nach Mitteln und Wegen gesucht, um die Lebensqualität von urbanen Orten zu erhalten und zu verbessern. «Schwammstadt», «Begrünung» und «Vermeidung von Überhitzung» sind nur einige der Stichworte, die heute aktueller denn je sind. Darauf wird auch in der Lehre und Forschung reagiert. So ist etwa das CAS Urban Forestry an der FH Graubünden ein wichtiger Baustein, um die Attraktivität unserer Umwelt für künftige Herausforderungen zu schützen und zu bewahren.
Beitrag von
Prof. Daniel Walser, Dozent, Institut für Bauen im alpinen Raum