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Chancen der Gesundheitsversorgungsregionen
Chancen der Gesundheitsversorgungsregionen

Chancen der Gesundheitsversorgungsregionen

Die Gesundheitsversorgungsregion Plessur kann auf einem soliden Fundament anerkannter Pflegebetriebe aufbauen. Richtig genutzt, bietet sich die Chance, die Pflegeversorgung auf die künftigen Herausforderungen und Bedürfnisse auszurichten und die Rahmenbedingungen für die Betriebe zu verbessern. Wo es noch Potenzial gibt, hat ein Team der Fachhochschule Graubünden untersucht und Empfehlungen abgegeben.

Text: Kathrin Dinner, Monika Engler, Ruth Nieffer / Bild: Shutterstock

Seit 2021 wird die Gesundheitsversorgung in Graubünden in wesentlichen Teilen regional definiert. Die Bündner Gemeinden sind seit diesem Zeitpunkt einer von 14 Gesundheitsversorgungs(sub)regionen (GVR) zugeteilt und neu dafür verantwortlich, dass die in der jeweiligen Region tätigen Spitäler, Alters- und Pflegeheime sowie ambulanten Spitexdienste einheitlich geführt und weiterentwickelt werden. Ziel dieses Ansatzes ist es, die dezentrale Gesundheitsversorgung zu erhalten und gleichzeitig notwendige Effizienzsteigerungen zu erreichen. Die Bevölkerung wiederum soll davon profitieren, dass Gesundheitsleistungen vermehrt aus einer Hand und koordiniert erbracht werden, was mit besseren Behandlungsergebnissen und einer höheren Patientenzufriedenheit einhergeht.

Im Zuge dieser Neuerungen sind auch die Stadt Chur und die Gemeinden Arosa, Churwalden und Tschiertschen-Praden gefordert. Zusammen bilden sie die GVR Plessur. Zwar beschränken sich die Integrationsanforderungen in dieser Region auf die Langzeitpflege (das für die Region zuständige Kantonsspital ist aufgrund seiner Zusatzrolle als Zentrumsversorger von der GVR Plessur ausgenommen). Im Unterschied zu anderen Regionen sind mit 10 Pflegeheimen und 4 Spitexdiensten allerdings wesentlich mehr Leistungserbringer involviert. Zudem ist der Versorgungsraum mit städtischen und peripheren Gebieten sehr heterogen. Entsprechend hat die Präsidentenkonferenz der Region Plessur die Zielsetzung für die GVR dahingehend differenziert, dass die verschiedenen ambulanten und stationären Pflegebetriebe ihre Leistungen miteinander koordinieren und gemeinsam am Bedarf ausrichten sollen, aber gleichzeitig ihre Selbstständigkeit wahren können. 

Ein Team der FH Graubünden hat die GVR Plessur in der ersten Phase des Aufbaus bei der Festlegung der künftigen Ausrichtung begleitet. In einem ersten Schritt wurde die aktuelle Pflegelandschaft hinsichtlich Angebots- und Nachfragesituation, Ressourceneinsatz und Kooperationspotenzial auf Basis von Interviews, Versorgungs- und weiteren Daten erfasst. Im zweiten Schritt wurden die Erkenntnisse mittels SWOT-Analyse verdichtet und passende Entwicklungsvarianten für die GVR erarbeitet. Drittens wurden die erforderlichen Umsetzungsschrittekonkretisiert.

Gute Ausgangslage mit Lücken

Aus der Ist-Analyse geht hervor, dass die Pflegegrundversorgung in der ganzen Region in hoher Qualität sichergestellt ist. Angebotslücken bestehen indes für Personen mit einem spezifischen Betreuungs- und Pflegebedarf, beispielsweise infolge fortgeschrittener Demenz, anderer psychischer Erkrankungen oder Suchtproblemen. Auch fehlen Kurzzeit-Pflegeplätze als Anschlusslösung an Spitalaufenthalte oder zur Entlastung von pflegenden Angehörigen. Als hinderlich erweist sich hierbei das geltende Tarifsystem: Spezialisierte und temporäre Angebote werden nicht kostendeckend entschädigt oder sind im Vergleich zum Normalangebot wenig wirtschaftlich. Zum anderen stellen spezialisierte Pflegeangebote zusätzliche Anforderungen an den Fachkräftebedarf, dessen Deckung bereits jetzt die Hauptsorge der meisten Betriebe darstellt.

Entwicklungschancen nutzen

Die Analyse schlägt drei Stossrichtungen vor, die an die heutigen Stärken und Schwächen anschliessen und die Chancen nutzen, welche die GVR bietet: 

I. Gemeinsam eine differenzierte Pflegelandschaft bilden: Die insgesamt gute Ausgangslage wird genutzt, um das Pflegeangebot stärker auf den steigenden und überregionalen Bedarf an spezialisierten Pflegeangeboten und Kurzzeit-Pflegeplätzen auszurichten und mögliche Überkapazitäten in der Grundversorgung zu vermeiden. Je nach Standort fokussieren sich die Betriebe auf andere Spezialitäten und nutzen die jeweiligen Standortvorteile, so z. B. die Nähe des Kantonsspitals in Chur oder die Marke und das Know-how der Feriendestination Arosa. Die GVR steuert die Entwicklung primär über finanzielle Anreize, welche die Pflegebetriebe zur Anpassung ihres Angebots bewegen. Sie prüft eigene Unterstützungsmöglichkeiten, setzt sich aber auch für Änderungen bei der kantonalen Finanzierung ein.

II. Günstige Rahmenbedingungen für die Pflegebetriebe schaffen: Die GVR Plessur nutzt ihre Rolle als Leistungsbestellerin und Mitfinanziererin und wirkt auf eine Vereinfachung der bestehenden, teils redundanten Betriebskontrollen und Meldepflichten hin, um die administrative Belastung der Pflegebetriebe zu senken. Sie kann zudem für bestimmte Themen und Aufgaben (hoch)spezialisierte Fachpersonen aus dem Pflege- oder Supportbereich engagieren, auf die alle Pflegebetriebe bei Bedarf zugreifen können.

III. Menschen und Angehörige beraten und Leistungen koordinieren: In der GVR Plessur wird eine Informations-, Beratungs- und Koordinationsstelle (IBK) geschaffen, die als neutrale Anlaufstelle für die Bevölkerung bei Fragestellungen zu Leben und Wohnen im Alter oder bei Pflegebedürftigkeit fungiert. Die IBK ist bestrebt, Personen mit potenziellem Unterstützungsbedarf aktiv und frühzeitig zu erreichen, um diese gegebenenfalls mit gezielten Hilfestellungen möglichst lange zur eigenständigen Lebensführung zu befähigen. 

Auf Bottom-up-Entwicklung setzen

Die Stossrichtungen verfolgen einen sogenannten Bottom-up-Ansatz, in dessen Rahmen sich die Pflegebetriebe innerhalb optimierter Rahmenbedingungen aus eigenem Antrieb an die neuen Gegebenheiten anpassen. Entsprechend wird für die GVR Plessur ein Organisationsmodell vorgeschlagen, das weiterhin eine starke Rolle der Pflegebetriebe und ihre institutionalisierte Einbindung in die strategischen Entscheide der GVR vorsieht. Im Vergleich zu einem top-down-orientierten Ansatz, der die Tätigkeit der Pflegebetriebe bestellerseitig definiert, mag dies die Entwicklung der GVR Plessur anfänglich verlangsamen. Auf der anderen Seite verspricht der Bottom-up-Ansatz langfristig eine stabilere Entwicklung aufgrund der besseren Abstützung und Akzeptanz.

Beitrag von

Prof. Dr. Monika Engler Busa, Wissenschaftliche Projektleiterin, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung