Pfeiler der regionalen Wertschöpfung
Viele Regionen im Alpenraum stehen vor grossen strukturellen Herausforderungen. So haben Landwirtschaft und Tourismus, aber auch Wald- und Holzwirtschaft eine grosse wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung. Sie generieren jedoch nur eine relativ geringe Wertschöpfung. Die Fachhochschule Graubünden unterstützt die Regionen bei der Erschliessung von Potenzialen für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Akteuren verschiedener Branchen.
Text: Tanja Ospelt / Bild: Stefan Schlumpf / Grafiken: FH Graubünden
Durch eine bessere Kooperation zwischen den Akteuren in peripheren Regionen kann die Wettbewerbsfähigkeit der lokalen Anbieter im Agrotourismusbereich sowie in der Hotellerie und Gastronomie gestärkt werden. Gefragt sind dabei vor allem auch Innovationen in den Bereichen Vermarktung sowie Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungsketten. Letztere basieren auf Geschäftsbeziehungen. Diese wiederum setzen gegenseitiges Vertrauen voraus, das auf sozialen Kontakten in Vereinen und Verbänden sowie bisherigen Wirtschaftsbeziehungen basiert. Dadurch, dass Landwirtschaft und Tourismus (primär die Hotellerie und Gastronomie) in vielfältiger Weise miteinander verflochten sind, bestehen beträchtliche Synergie- und Kooperationspotenziale. Die Erschliessung dieser Potenziale dürfte nicht nur für die Akteure dieser beiden Branchen, sondern auch für die betreffenden Regionen von eminenter Bedeutung sein.
Soziale Netzwerkanalyse
Die Methode der sozialen Netzwerkanalyse eignet sich besonders gut, um Verbindungen zwischen einzelnen Akteuren in einem Netzwerk zu erfassen und zu analysieren. Sie ermöglicht es, die Stärke eines Netzwerks zu messen und Empfehlungen für dessen weitere Entwicklung daraus abzuleiten. Soziale Netzwerke bilden eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung von Geschäftsbeziehungen innerhalb von Branchen und Regionen und tragen damit zur Stärkung der regionalen Wertschöpfung bei.
Als Beispiel hierfür dienen Resultate aus dem Forschungsprojekt «Agro+Tourismus Graubünden» – einem Gemeinschaftsprojekt des Zentrums für wirtschaftspolitische Forschung und des Instituts für Tourismus und Freizeit der FH Graubünden, das im Auftrag des Amtes für Landwirtschaft und Geoinformation des Kantons Graubünden durchgeführt wurde. Diese Resultate verdeutlichen, wie wichtig Stakeholder-Netzwerke für die Entwicklung regionaler Wertschöpfungsketten sind und welche Möglichkeiten die Methode der sozialen Netzwerkanalyse in diesem Zusammenhang bietet. Die Forschenden untersuchten, wie die Akteure in den Bereichen Landwirtschaft (grün), Lebensmittelverarbeitung (orange) und Hotellerie/Gastronomie (blau) miteinander kooperieren (siehe Abbildungen). Dafür wurden drei unterschiedliche Regionen im Kanton betrachtet: eine Naturparkregion (Parc Ela), eine Tourismusregion (Lenzerheide) und eine ländlich-touristische Region (Valposchiavo).
Das agro+touristische Netzwerk der Region Valposchiavo (Abbildung 1) besteht aus drei Hauptclustern. Am Rand gibt es zwei Cluster von Landwirtschaftsakteuren aus den Gemeinden Poschiavo (links) und Brusio (rechts). In der Mitte befindet sich ein Cluster, das hauptsächlich aus Lebensmittelverarbeitern sowie Hotel- und Gastronomiebetrieben besteht. Ihre zentrale Position im Netzwerk ist durch die grosse Anzahl von Verbindungen zu anderen Akteuren erklärbar. Daraus – und aus der graphischen Darstellung – lässt sich schliessen, dass die Lebensmittelverarbeiter gemeinsam mit den Hotel- und Gastronomiebetrieben das Netzwerk in der Valposchiavo antreiben. Landwirtschaftliche Betriebe spielen dabei eine weniger zentrale Rolle.
Das agro+touristische Netzwerk der Region Parc Ela (Abbildung 2) zeigt eine Ansammlung von Landwirt:innen, die sehr zentral positioniert sind. Ein Grund hierfür ist wahrscheinlich die ausgeprägte landwirtschaftliche Struktur der Region. Die Lebensmittelverarbeiter sowie die Hotel- und Gastronomiebetriebe haben eine geringere Zentralität und sind daher mit einem gewissen Abstand zum zentralen Cluster angeordnet. Einige Lebensmittelverarbeiter fungieren jedoch als Vermittler und verbinden manche Hotel- und Gastronomiebetriebe durch Geschäftsbeziehungen mit dem zentralen Cluster. Darüber hinaus können einige kleine separate Netzwerke ausserhalb des Hauptnetzwerks identifiziert werden, die keine oder kaum Kontakte zum Hauptnetzwerk haben.
Das agro+touristische Netzwerk der Region Lenzerheide (Abbildung 3) hat eine sehr unterschiedliche Struktur im Vergleich zu den Netzwerken der zuvor betrachteten Regionen. Die wichtigsten Akteure in diesem Netzwerk sind hauptsächlich die Lebensmittelverarbeiter und die Hotel-/Gastronomiebetriebe, wobei hier ein starker Lebensmittelverarbeiter hervorsticht, der Verbindungen zu allen drei Branchen hat. Es handelt sich um das «Puracenter», das eine zentrale Rolle einnimmt und für andere Netzwerkakteure als strategischer Ansprechpartner dient. Die landwirtschaftlichen Betriebe hingegen sind tendenziell am Rand des Netzwerks positioniert. Dies könnte eine Folge des stark touristischen Charakters der Region sein.
Strukturelle Merkmale identifizieren
Die soziale Netzwerkanalyse ist ein hilfreiches Instrument, um zu zeigen, wie Stakeholdernetzwerke zur Entwicklung regionaler Wertschöpfungsketten beitragen. Durch die grafische Darstellung der Netzwerke können komplexe Zusammenhänge einfach und verständlich dargestellt werden. Mit einer solchen Visualisierung ist es möglich, die strukturellen Merkmale der Netzwerke zu identifizieren. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um regionale Entwicklungspotenziale zu erkennen und die agro+touristische Wertschöpfung in den einzelnen Regionen zu stärken.
Zum Forschungsprojekt gehörte auch ein Kreativprozess mit Innovationsworkshops, die mit lokalen und kantonalen Akteuren auf der Grundlage der sozialen Netzwerkanalyse in den untersuchten Regionen durchgeführt wurden. Das Ziel dieser Workshops bestand darin, gemeinsam mit den jeweiligen Akteuren Potenziale für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Branchen zu definieren und Ideen zu generieren, um verstärkt regionale Produkte lokal zu vermarkten und das agro+touristische Erlebnis für die Gäste zu erhöhen. Mit solchen Projekten unterstützt die Fachhochschule Graubünden den Kanton in seinen Bestrebungen, die Landwirtschaft und den Tourismus näher zusammenzubringen, deren Wertschöpfung zu steigern und eine nachhaltige Entwicklung der betreffenden Regionen zu fördern.
Beitrag von
Tanja Ospelt, Wissenschaftliche Projektmitarbeiterin, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung