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Frauennetzwerke 4.0
Frauennetzwerke 4.0

Frauennetzwerke 4.0

Politisches Engagement setzt bei Männern und Frauen den Willen zur Beteiligung voraus. Beteiligungsrechte sind in der Schweiz seit 1971 für beide Geschlechter verankert. Überparteiliche Frauenorganisationen mobilisieren ihre Mitglieder national: Wer mitmacht, kann mitbestimmen. Warum funktioniert das (noch) nicht auf Gemeindeebene? Die Fachhochschule Graubünden bietet Unterstützung.

Text: Ruth Nieffer / Grafiken: FH Graubünden

Im Eidgenössischen Parlament beträgt der Frauenanteil seit den letzten Wahlen (2019) 42 Prozent. Der aktuelle Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums WEF lobt die Schweiz für ihren Frauenanteil im nationalen Politikgeschehen – dennoch fällt die Schweiz insgesamt vom 10. auf den 13. Rang zurück. Für die nationalen Wahlen im Herbst 2023 ruft Helvetia (LINK) erneut zur «überparteilichen Bewegung der Frauen in die Politik» auf und nimmt damit auch Frauennetzwerke wieder stärker in die Pflicht.

Frauenanteil in Gemeindebehörden stagnierend

Dieser Fortschritt in Bezug auf die politische Partizipation von Frauen auf nationaler Ebene darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass im gemeindepolitischen Alltag von dieser positiven Bewegung noch wenig zu spüren ist. Die aktuelle «PROMO Femina»-Studie des Zentrums für Verwaltungsmanagement (ZVM) der FH Graubünden zeigt auf, dass der Frauenanteil in Gemeindebehörden – dort, wo Frauen in besonderem Masse ihre Erfahrungen, Sichtweisen und Kompetenzen einbringen könnten – nach wie vor bei lediglich 33 Prozent (im Durchschnitt) liegt. Was auf nationaler Ebene in überparteilicher Vernetzung zur mehr Frauenkandidaturen führt, scheint auf kommunaler Ebene nicht zu greifen.

Gemeinden als «Wurzeln der Demokratie» haben zunehmend Rekrutierungsschwierigkeiten: Wie das Forschungsprojekt PoliWork der FH Graubünden zeigt, erweist sich die Vereinbarkeit von beruflichem und ehrenamtlichem Engagement als Herausforderung. Laut den Ergebnissen des Forschungsprojekts PROMO 35 fehlt es an interessierten jungen Menschen ebenso wie an Frauen jeglichen Alters, die sich für den Einsitz in Gemeindebehörden gewinnen lassen – obwohl die Gemeinden teils aktiv Frauen für ihre Behördenämter suchen.

Frauennetzwerke als Chance

In der politischen Partizipationsforschung werden regionale Frauennetzwerke als Chance begriffen. Dank ihnen entsteht Raum für frauenpolitische Bündnisse. Gibt es Differenzen unter den Frauen, wird das akzeptiert. Über die Netzwerke vereinfacht sich der Zugang zu regionalen Politikprozessen. Die Teilnehmerinnen des Forschungsprojekts PROMO Femina der FH Graubünden schätzten denn auch die Wirksamkeit diverser Massnahmen mit dem Ziel einer solchen Vernetzung hoch ein, etwa das Mentoring, die Bildung von Koalitionen bilden und das Netzwerken. So lassen sich auch individuelle Verhaltensstrategien als «Politik im Kleinen» dazu nutzen, um Ziele zu erreichen oder Einfluss zu gewinnen.

Frauennetzwerke bieten ihren Mitgliedern die Chance, individuelle Verhaltensstrategien einzusetzen. Gleichzeitig gewähren sie auch sozialen Rückhalt. Dieser zeigt sich in Form von gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung, Zugang zu Informationen sowie (ehrenamtlicher) Mitarbeit und zeitlicher Präsenz. In formal organisierten Frauennetzwerken begründen verbindliche soziale Normen das «Wir» in Form von solidarischen Verhaltensweisen nach innen und aussen. Stabile Strukturen mit klaren Rollenerwartungen (z. B. Frauenvereine und -verbände) geben Sicherheit. Im Rahmen des Projekts PROMO Femina wurde in Graubünden eine Vorstudie (Desktop Research) zu regionalen Frauennetzwerken durchgeführt. In unserem Kanton finden sich zahlreiche Frauenorganisationen, die entweder formal oder über gemeinsame Aktivitäten lose vernetzt sind (siehe Abb. 1).

In Graubünden existieren zahlreiche Frauenorganisationen, die entweder formal oder über gemeinsame Aktivitäten vernetzt sind.

Frauenverbände zwischen Selbsterhalt und Öffnung

Doch was für ein Potenzial bieten solche regionalen Frauennetzwerke wirklich, um Frauen den Weg in ein Milizamt zu ebnen? Der Zusammenhalt formaler Netzwerke und die Gleichheit der Mitglieder bergen generell das Risiko, den Fluss und die Qualität der Informationen von aussen sowie hilfreiche Kontakte nach aussen zu behindern. Andererseits entstehen aber auch Frauennetzwerke, die eher auf lockeren Kooperationsstrukturen basieren (Beispiele: Politisches Frauennetzwerk Sarganserland, Frauen Luzern Politik, Feministisches Kollektiv GR). Auch ihr Zusammenhalt beruht auf Vertrauensbildung und setzt daher kontinuierliche Beziehungen voraus. Andererseits stehen solche «lockeren» Netzwerke für den Anspruch eines möglichst offenen Zugangs, der nur wenige Verbindlichkeiten festschreibt – ausser der anzustrebenden Gleichstellung der Geschlechter in Politik und Gesellschaft.

Traditionell organisierten Frauennetzwerken steht der Balanceakt zwischen Selbsterhalt und Öffnung der formellen Strukturen hin zu neuen Allianzen ins Haus, damit die Gleichstellungsziele erreicht werden können. Denn es ist zunehmend schwierig, die bewährten Führungsstrukturen über ein ehrenamtliches Engagement jüngerer Frauen im Vorstand sicherzustellen. In den Statuten so mancher Vereine und Netzwerke neigt sich der Daseinszweck des betreffenden Vereins oder Netzwerks dem Ende seines «Haltbarkeitsdatums» zu. Wie können bestehende und neue Frauennetzwerke zu einer einflussreichen «Seilschaft» politischer Akteur:innen heran- und zusammenwachsen? Welche Formen interorganisationaler Netzwerke tragen wie dazu bei, letztlich das politische Engagement von Frauen zu stärken?

Gemischtgeschlechtliche Netzwerke als Chance?

Eine Gleichstellung der Geschlechter in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über die Sensibilisierung und Vernetzung von Frauen zu erreichen, scheint nach wie vor angebracht. Gleichzeitig bleibt die Gleichstellungsproblematik mit all ihren Herausforderungen vordergründig ein «Frauenthema». Beispiele zur Gleichstellung der Geschlechter in der Privatwirtschaft – wie männliche Führungspersönlichkeiten in die Frauenförderung einzubinden oder die Kampagne «HeForShe» von UN Women – verweisen auf einen Wandel hin zur aktiven Mobilisierung der Männer in Sachen Gleichstellung. Wie sehen Frauennetzwerke diese Dynamik? Wie offen sind sie für Allianzen mit Männern und ihren Netzwerken in Politik und Gesellschaft?

In der Annahme, dass die frauenverbandsinterne, innerparteiliche sowie partei- und organisationsübergreifende Vernetzung ein tragfähiges – aber noch ausbaufähiges – Instrument politischer Ermächtigung ist, bündeln die Forschenden des Zentrums für Verwaltungsmanagement und des Instituts Eurac Research ihre Kräfte, um ihre bisherigen Erkenntnisse im gemeinsamen Projekt «Frauennetzwerke 4.0» zu vertiefen.

Die Ergebnisse der gemeinsamen Studie «Frauennetzwerke 4.0» der FH Graubünden und des Instituts Eurac Research wurden am Eurac Research präsentiert und von einer Podiumsdiskussion begleitet. Video zur Veranstaltung

Beitrag von

Prof. Ruth Nieffer, Dozentin, Zentrum für Verwaltungsmanagement