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Raumplanung ist doch gar nicht schwer - oder doch?
Raumplanung ist doch gar nicht schwer - oder doch?

Raumplanung ist doch gar nicht schwer - oder doch?

Moderne Büroumgebungen muten heutzutage oft eher wie Privatwohnungen als wie Arbeitsräume an. Der milliardenschwere US-Anbieter von Coworking Spaces diente sogar als Vorlage für eine Apple-TV Serie und zeigt, wie Bürogestaltung mit Wohlfühlfaktor gehen könnte. Aber ist das wirklich das, was uns glücklich und produktiv macht? An der Fachhochschule Graubünden wird im Hinblick auf den neuen Campus dieser Frage nachgegangen.

Text: Caroline Dalmus, Frank Bau / Bilder: FH Graubünden, Shutterstock

Tisch, Stuhl, Lampe; fertig eingerichtet ist das Büro. Doch wer denkt, dass die Büroplanung so einfach ist, der irrt. Denn ein Arbeitsplatz muss nicht nur funktional und möglichst raum- und kosteneffizient sein, sondern auch den individuellen Ansprüchen und Bedürfnissen der Arbeitnehmenden genügen, schliesslich verbringt der Mensch viel Lebenszeit an diesem Ort. Somit muss Arbeitsplatzgestaltung immer aus zwei Perspektiven gedacht werden, nämlich aus jener der Arbeitgebenden und jener der Arbeitnehmenden. Das kann für Konfliktpotential sorgen, denn nicht selten gehen Budgeteinsparungen bei der Planung und Gestaltung von Büroräumlichkeiten auf Kosten der Mitarbeitenden, was sich mitunter in einer Reduktion ihrer Leistungsfähigkeit äussern kann.

Ziel: Umgebungskomfort

Jacqueline Vischer von der Universität Montréal hat in ihrem Modell zum Umgebungskomfort am Arbeitsplatz drei Komforttypen definiert, die es gleichzeitig zu optimieren gilt. Der physische Komfort umfasst Bedürfnisse wie Sicherheit, Hygiene und Zugänglichkeit. Diese Bedürfnisse müssen in jedem Fall erfüllt sein, damit akzeptable Arbeitsplätze angeboten werden können. Der funktionale Komfort soll die Ausführung der übertragenen Aufgaben und Tätigkeiten unterstützen. Der psychologische Komfort schliesslich betrifft das Gefühl der Zugehörigkeit, die Territorialität und die Kontrolle über den eigenen Arbeitsbereich. Umso schwieriger wird es, das zu optimieren, weil der jeweilige Komfort in der individuellen Wahrnehmung und Bewertung unterschiedlich sein kann.

Ein Ort, an dem man sich entfalten kann

Eine Option mit hohem Konfliktpotential stellt das Grossraumbüro dar. Während es theoretisch betrachtet eine vor allem finanziell attraktive Lösung ist, hat die praktische Umsetzung in der Vergangenheit bei Unternehmen unterschiedlicher Grössen und Branchen diverse Probleme offengelegt. Für die Fachhochschule Graubünden ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Problemen essenziell, denn Planung und Bau des neuen Campus stehen an und es ist erstrebenswert, einen Ort zu schaffen, an dem sich Mitarbeitende wohlfühlen und ihre Fähigkeiten optimal und gewinnbringend entfalten. Um ebendies gewährleisten zu können, wurde am Institut für Informationswissenschaft (SII) die Arbeitsgemeinschaft Raumplanung ins Leben gerufen, welche den Arbeitsalltag im Grossraumbüro analysiert und evaluiert sowie Lösungsvorschläge erarbeitet hat. Ausgewählt für das vierköpfige Team wurden Mitarbeitende des Instituts, welche im Rahmen einer räumlichen Umstrukturierung Mitte 2019 in ein Grossraumbüro umzogen und somit über persönliche Erfahrungswerte verfügen.

Territorialität

Ein Bürotyp, der in den letzten Jahren vermehrt realisiert zu werden scheint, ist die non-territoriale Variante des Multi-Space-Konzeptes. Multi-Space bedeutet dabei, dass verschiedene Raumtypen sich abwechseln und kombiniert werden, wie z. B. Besprechungszonen, Einzeltische, Verpflegungszonen oder Workshopräume. Non-territorial bedeutet, dass nicht jeder und jede Mitarbeitende einen persönlich zugewiesenen Arbeitsplatz hat. Die Konflikte sind offensichtlich. Damit kann sich zwar jede oder jeder den Arbeitsplatz zur aktuellen Situation suchen, aber wir haben kein Territorium mehr. Und das mögen wir Menschen sehr. Wir wollen unsere Privatheit regulieren und stecken durch die Personalisierung des Arbeitsplatzes unser Gebiet ab. Unsere Höhle, auf die nur wenige von uns gerne verzichten wollen.

Das Grossraumbüro – Eine Herausforderung für alle Sinne

Eines der erarbeiteten Hauptprobleme ist – wenig überraschend – der Lärm. Das Klappern von Tastaturen, Husten, Räuspern, Telefonate, Ad-hoc-Meetings, freudige Gespräche unter KollegInnen. Quellen für Lärm gibt es unzählige und nur, wenn diese erkannt und aktiv angegangen werden, ist effizientes Arbeiten im Grossraumbüro möglich. Unerlässlich ist zum einen das richtige Equipment. So sind Tastaturen mit leisem Anschlag sowie Noise-Cancelling-Kopfhörer zur Eliminierung schwächerer Geräusche unerlässlich und sollten für jeden Arbeitsplatz einkalkuliert werden. Doch selbst der beste Kopfhörer versagt, wenn Menschen reden. Zwar werden Stimmen durch die smarten Kopfhörer gedämpft, Gespräche können aber nicht ausgeblendet werden.

Soll in Grossraumbüros ungestörtes Arbeiten möglich sein, dann braucht es zwingend ausreichend räumliche Ausweichmöglichkeiten für das Führen von Telefonaten, Abhalten von Meetings oder den Austausch des neusten Flurfunks. Stehen dafür keine Räume zur Verfügung, stellen mobile Besprechungskabinen in unterschiedlichen Grössen eine sinnvolle Lösung dar. Solche Kabinen sind nicht nur schallisoliert und belüftet, sondern kommen mittlerweile auch in vielfältigen und ansprechenden Designs daher. Pluspunkt: Da sie nicht fest installiert sind, können sie bei räumlichen Veränderungen umgestellt oder auch an andere Orte gebracht werden.

Wirkungen verschiedener Arbeitskonzepte

In empirischen Studien liessen sich Wirkungen der unterschiedlichen Konzepte wie Einzelbüro, Grossraum oder Multi-Space-Büros auf folgende Dimensionen überprüfen: Störungen & Privatsphäre, Wohlbefinden & Absenzen, Kommunikation & Interdisziplinarität sowie Flexibilität. Jeweils aus Unternehmens- und Mitarbeitendenperspektive. Es gibt auch hier kein Optimum, da das individuelle Aufgabenportfolio und die individuellen Wahrnehmungen der Komforttypen weit voneinander abweichen können. So müssen Lösungen gefunden werden, die konzentrierte Einzelarbeit und Vertraulichkeit ebenso erfüllen wie die Möglichkeiten zur Kommunikation und Zusammenarbeit.

Neben potenziell störenden Geräuschen ist auch die Einschränkung der Konzentration durch verbrauchte Luft und Gerüche nicht zu unterschätzen. Während kleinere Büroräume in der Regel gut durchgelüftet werden können, ist das in grösseren Räumen oft nicht der Fall. Dies ist insbesondere dann ein Problem, wenn viele Personen in einem Raum sind und die Luftqualität schnell abnimmt. Existieren zudem keine Regeln hinsichtlich des Konsums von Speisen, herrscht schnell ein Geruchsambiente, das man nur aus dem Zug kennt. Instant-Fondue, Dürüm, Burger, Salat mit Dosen-Thunfisch und anschliessende Resteentsorgung im offenen Büro-Mülleimer können das Arbeiten am Nachmittag unangenehm machen. Während hinsichtlich der Gerüche nur klare Regeln und Appelle an die Rücksichtnahme helfen, gibt es zur Steigerung der Luftqualität verschiedene Ansätze. Optimalerweise wird dieses Problem bereits in der Planungsphase berücksichtigt und angegangen. So gibt es diverse bautechnische Möglichkeiten, welche entweder einen kontinuierlichen Luftaustausch fördern oder gutes Lüften ermöglichen. Nachträglich stellt das sogenannte «vertical gardening» eine attraktive Lösung zur Verbesserung des Raumklimas dar. Ob in Form von Regalen, schallisolierten Wänden oder Bildern, die grünen Elemente sind nicht nur funktional und pflegeleicht, sondern erzeugen gleichzeitig ein schönes Ambiente und bringen Farbe in oft graue und wenig einladende Büroräume. Dies führt zu einem letzten wichtigen Problemfeld in Grossraumbüros: die visuellen Aspekte. 

Der Mensch, ein Gewohnheitstier

Probleme durch visuelle Aspekte gestalten sich vielfältig, so sind beispielsweise die Bedürfnisse bei der Beleuchtung sehr heterogen. Als ungünstig hat sich eine allgemeine Deckenbeleuchtung, die nicht individuell je Platz gesteuert werden kann, erwiesen. Denn während die einen gerne an einem hell beleuchteten Arbeitsplatz arbeiten, empfinden andere das Arbeiten bei gedimmtem Licht als angenehmer für ihre Augen. Zudem gibt es in Grossraumbüros nur eine begrenzte Anzahl Fensterplätze, was bedeutet, dass manche Mitarbeitende zwangsweise in dunklere Ecken des Büros verbannt werden. Häufig wird hier das Prinzip der variablen Platzwahl als Lösung genannt. Problematisch bei diesem Ansatz ist jedoch, dass der Mensch zum einen Gewohnheitstier ist und zum anderen – insbesondere in wissenschaftlichen Berufen – Angestellte häufig über eine Vielzahl von Büchern verfügen, welche ohne einen festen Büroplatz nicht mehr untergebracht und genutzt werden können.

Die Lösung: situative Planung

Was bleibt, ist eine Knobelaufgabe, die man nur lösen kann, wenn man so plant, dass man möglichst situativ auf individuelle Bedürfnisse und Wahrnehmungen eingehen kann. Denn eines ist klar: die kostengünstigste oder auch die vermeintlich modernste Variante wird zur Kostenfalle, wenn am Ende eine Arbeitsumgebung entsteht, in der niemand arbeiten will und kann. Die teuersten und ineffektivsten Büros sind leere Büros.

Zusammenfassend lässt sich demnach sagen, dass Grossraumbüros nicht grundsätzlich eine schlechte Idee sind. Die Anforderungen an Planungsverantwortliche sind jedoch hoch, wenn das Grossraumbüro zu einem einladenden sowie kreativitäts- und leistungsfördernden Ort werden soll. Anderenfalls bleiben es leere Orte, denen das Homeoffice vorgezogen wird.