Wie die Distanz eine gemeinsame Problemlösung ermöglicht
Das Photonics- und Mobile-Robotics-Studium lebt von gemeinsamen praktischen Übungen. Und so stellte sich bald nach Beginn der Coronapandemie die Frage, wie im Distanzunterricht über Videokonferenzsysteme praktische Erfahrungen für die Studierenden im Bereich Elektronik ermöglicht werden könnten. In kurzer Zeit gelang es, aus der Not eine Tugend zu machen und ein Übungskit zu entwickeln, mit dem die Studierenden zuhause arbeiten können. Die Lösung brachte Überraschendes zu Tage: Distanzunterricht auf praktischer Ebene kann sogar Vorteile gegenüber einem Laborbetrieb in Präsenz haben.
Text: Ulrich Hauser-Ehninger / Bilder: Ulrich Hauser-Ehninger
Bedeutung von praktischen Übungen
Vor allem Studierende, die vor Beginn des Studiums keine auf das Studienfach bezogene Lehre absolviert oder private Erfahrungen mit Elektronikversuchen gemacht haben, profitieren ungemein davon, selbst Bauteile in die Hand zu nehmen, zu verbinden und eine Versorgungsspannung anzulegen, um dann festzustellen, dass der geplante und erstellte Aufbau nicht funktioniert. Denn die darauffolgende Fehlersuche führt meist zu viel mehr Erkenntnisgewinn als der auf Anhieb erfolgreiche Versuch.
Es ist nicht einfach, in einem elektronischen Aufbau Fehler zu finden, denn es gibt eine Vielzahl von Ursachen: Fehler können beim Entwurf einer Schaltung, beim Aufbau – also der Übertragung vom Entwurf in eine real existierende Schaltung – oder auch durch fehlerhafte Bauteile entstehen. Auch das Nichtbeachten von Bauteiltoleranzen oder anderen einzuhaltenden Betriebsparametern kann zu Ergebnissen führen, die von den Erwartungen abweichen. Zu Beginn sind die Studierenden meist völlig ratlos, wenn etwas nicht funktioniert. Strategieloses Probieren endet meist mit frustriertem Aufgeben. Da die Funktion der aufgebauten Schaltung oft noch nicht souverän verstanden wurde, kann auch keine Strategie zur Fehlersuche entwickelt werden. Die Unterstützung durch erfahrene Coaches – in diesem Fall die Dozierenden oder die Laborassistenz – hilft, Schritt für Schritt die korrekte Funktion der einzelnen Schaltungsteile zu untersuchen und sich bei Abweichungen bis zur Fehlerquelle vorzuarbeiten. So lernen die Studierenden durch die Fehler und deren Korrektur, die Schaltungen grundlegend zu verstehen, und werden von Versuch zu Versuch selbstständiger darin, eine Schaltung zu ihrer korrekten Funktion zu führen.
Die Fähigkeit, solche Fehler zu erkennen, die Ursachen zu finden und dann zu korrigieren, ist eine wichtige Kompetenz, die während des Studiums durch praktische Versuche zu erwerben ist. Normalerweise geschieht dies durch Versuche, die in den eigenen Laborräumen der Fachhochschule Graubünden stattfinden. Diese Laborräume sind mit hochwertigen Geräten zur Energieversorgung, Signalerzeugung und Parametermessung bei Versuchsschaltungen ausgestattet. Darüber hinaus werden diese Geräte auch für Arbeiten im Bereich von Forschung und Entwicklung eingesetzt. Auch aufgrund der hohen Kosten solcher Laborgeräte arbeiten die Studierenden in Gruppen und teilen sich so den Ausrüstungspark.
Der Ausbruch der Coronapandemie im Frühjahr 2020 und die Schliessung der Fachhochschule verhinderten die Durchführung solcher Labortermine vor Ort. Es drohte ein signifikanter Verlust an Qualität in der Ausbildung, weshalb man nach einer Lösung suchte, die den Studierenden auch von zuhause aus praktische Erfahrungen ermöglichen sollte.
Das Minilabor für zuhause
Es ist heute kein Problem, Schaltungen in der Komplexität, wie sie im Unterricht vorkommen, zu simulieren. Diese Simulationen sind so genau, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass eine simulierte Schaltung auch im realen Aufbau so funktioniert wie erwartet. Man kann in den Simulationen an beliebigen Punkten in der Schaltung virtuelle Messpunkte einrichten und die ermittelten Werte untersuchen. Auch so lernen Studierende viel. Aber einen realen Aufbau kann dies nicht ersetzen.
So kam die Idee auf, die Studierenden mit einem «Osterpaket» zu versorgen. Dieses sollte ihnen ermöglichen, die meisten der Grundversuche, die in den ersten Semestern des Studiums erfolgen, auch zuhause – sozusagen auf dem Küchentisch – aufzubauen, durchzuführen und zu prüfen. Dieses «Osterpaket» wurde sorgsam so zusammengestellt, dass alle Studierenden des Semesters mit einem möglichst geringen finanziellen Aufwand ausgestattet werden konnten. Es enthielt ein Breadboard, auf dem die Schaltungen zusammengebaut werden sollten, eine Kollektion von Bauelementen, Verbinder, eine Energieversorgung sowie ein Gerät, das ein Oszilloskop mit zwei Kanälen und eine Signalquelle in einem Gehäuse vereint. Das Oszilloskop kann als allgemeines Messgerät verwendet werden, die Signalquelle, um die aufgebaute Schaltung mit Signalen zu stimulieren. Dieses Kombigerät hat keine eigene Anzeigemöglichkeit, kann aber mittels USB an einen Computer angeschlossen und damit von diesem gesteuert werden bzw. die aufgenommenen Messsignale anzeigen.
Erkenntnisse
Kurz vor Ostern waren die meisten Komponenten an die FH Graubünden geliefert worden und die Pakete konnten geschnürt und – mit einem kleinen Osterhasen als Begleiter – an die Studierenden verschickt werden. Gleichzeitig entstanden die Versuche, die den Aufbau verschiedener Grundschaltungen – meist in mehreren Einzelschritten – beschrieben.
Die Studierenden bauten dann während der Übungsstunden – oder auch ausserhalb dieser Zeiten – die gestellten Aufgaben zuhause auf. Erwartungsgemäss kam es dabei zu Fehlern. Zunächst war die Unsicherheit beim Dozierenden gross, ob eine Fehlersuche auf Distanz überhaupt effektiv und effizient durchgeführt werden kann. Die Herausforderungen dabei sind nicht zu unterschätzen: Ohne die Schaltung zu sehen, gilt es, die Studierende oder den Studierenden so zu führen, dass die Fehlerfindung auf Distanz möglich ist. Mit der Aussage «Das geht nicht» kommt man hier nicht weit. Bei einfachen Problemen wie etwa einer nicht oder falsch angeschlossenen Energiequelle erfolgt die Lösung noch schnell; bei tieferliegenden Fehlern muss man sich als Coach sehr schnell auf die jeweilige Situation einstellen und mit der reduzierten Information umgehen. Die Studierenden können den Aufbau in die Kamera halten oder auch ihren Bildschirm mit den Anzeigen des Messinstruments teilen. Anhand dieser Information muss die betreuende Person rasch eine Vermutung entwickeln, wo der oder die Fehler liegen könnten, und durch zielgerichtetes Nachfragen sowie geführte und erklärte Massnahmen die Problemstellung zu lösen versuchen. Als Coach schlägt man in solchen Fällen meist verschiedene Messungen vor oder speist bestimmte Signale in die Schaltung ein. Den Grund für die betreffenden Aktionen muss man im Gespräch offenlegen. Auf diese Art bekommen die Studierenden einen tiefen Einblick – sowohl in die Funktion des Aufbaus, mit dem sie arbeiten, als auch in die Strategie der Fehlersuche.
Es stellte sich sogar heraus, dass genau dieser Aspekt auf Distanz besser funktioniert als im Labor – nicht weil die Fehlersuche im Labor komplexer wäre, sondern weil alle Studierenden gleichzeitig per Videokonferenz am Suchprozess teilnehmen, zur jeweiligen Diskussion beitragen und damit gemeinsam mit dem Coach die Lösung des Problems finden. Im Labor nehmen an diesem Prozess im Allgemeinen nur die Studierenden des betreffenden Arbeitsplatzes teil; in der Regel sind dies zwei, maximal drei Personen. Im Distanzunterricht jedoch können alle Studierenden des Semesters gleichzeitig an der Fehlersuche teilnehmen und so von der Erfahrung des Coaches und den Lösungsvorschlägen der schon erfahreneren Mitstudierenden profitieren.
Beitrag von
Prof. Ulrich Hauser-Ehninger, Dozent am Institut für Photonics und ICT