Menu
Wissensplatz
Über das Lehren und Lernen an Fachhochschulen – eine Reflexion
Über das Lehren und Lernen an Fachhochschulen - eine Reflexion

Über das Lehren und Lernen an Fachhochschulen - eine Reflexion

Text: Stefan Gartmann / Bild: FH Graubünden

Alles hängt vom Menschenbild ab. Wer lehrt, der sollte ein positives haben. Er muss davon ausgehen, dass junge Menschen, die sich für ein Studium entschieden haben, motiviert sind. Warum? Weil kein Mensch etwas tut, was er nicht gerne tut: sofern er die Wahl hat. Und Studierende haben die Wahl: ob sie studieren wollen, was sie studieren wollen, wo sie studieren wollen. Dozierende müssen sich folglich nicht fragen, wie sie ihre Studierenden motivieren; sie müssen sich überlegen, wie sie sie nicht demotivieren. Aber womöglich tun sie genau das viel zu selten. Denn oft nimmt die Motivation der Studierenden im Verlauf des Studiums ab. Am Ende sind sie häufig froh, wenn das Ganze vorbei ist.

Sinn ist motivierend

Studien haben gezeigt: Geld macht nicht glücklich. ECTS Punkte auch nicht. Dennoch entsteht häufig der Eindruck, bei einem Studium gehe es nicht darum, etwas zu lernen und persönlich zu reifen, sondern ECTS-Punkte zu sammeln, um am Ende ein Diplom in Empfang zu nehmen. Aber genauso wenig wie in der Arbeitswelt Löhne und Boni langfristig motivierend sind, sind es im Studium Noten, ECTS-Punkte und Diplome. Motivierend ist Sinn. Studierende fragen selten, ob ein Stoff sinnstiftend ist; sie fragen aber häufig, ob er prüfungsrelevant ist. Gelernt wird, was geprüft wird. Bedeutet: Egal, was geprüft wird, es wird gelernt. Das hat aber wenig mit Bildung zu tun. Bildung ist durchaus ohne Prüfungen denkbar; aber niemals ohne Sinn. Und wo der Sinn fehlt, leidet die Motivation. Lernen wird zum Krampf. Und Lehren auch.

Menschen verfolgen Ziele. Fehlen diese, kommt es zu Sinnkrisen. Diese wiederum führen zu Depressionen und Burnout. Man geht nicht an zu viel Arbeit kaputt; man geht an ihrer Sinnlosigkeit zugrunde. Dass man dafür Ende Semester ECTS Punkte erhält oder Ende Monat Geld, macht die Sache nicht besser. Am Ende bleibt die alles entscheidende Frage: Wozu das alles?

Wer ein Warum zu leben hat, der erträgt fast jedes Wie. Sagt Viktor Frankl. Und was für das Leben gilt, gilt auch fürs Lernen und Lehren. Deshalb müssen wir mehr über Sinn und weniger über Noten reden. Mehr über Lernen und weniger über Leistung. Das Wort prüfungsrelevant ersetzen durch das Wort lebensrelevant. Denn der Zweck von Bildung liegt nicht darin, ein Wirtschaftssystem in Gang zu halten, sondern darin, die Lebensqualität des Einzelnen und der Gemeinschaft zu fördern. Das ist eine Form des Wachstums, die sich über menschliche Reife definiert, nicht über materiellen Wohlstand und Konsum. Hier geht es um Werte, um Haltungen, um Kompetenzen im Umgang mit sich selbst und mit anderen. Wir brauchen Menschen, die einiges wissen und vieles können, aber auch selbständig denken und verantwortungsbewusst handeln. Prüfungsrelevanz schliesst das aber aus. Denn Prüfungsrelevanz impliziert die Angst vor dem Scheitern. Angst macht gefügig. Und gefügige Menschen handeln nicht verantwortungsvoll. Sie gehorchen.

Mehr aufs Herz als auf den Verstand setzen

Gefühle bestimmen das Verhalten von Menschen weit mehr, als man denkt. Dennoch setzen Fachhochschulen vielfach mehr auf den Verstand als auf das Herz. Obwohl Intelligenz nur zu gut 20% zum Lebenserfolg beiträgt. Weit wichtiger sind die sogenannten Soft Skills. Dazu gehört auch die emotionale Intelligenz. Studierende können unter Prüfungsangst leiden und nach Prüfungen enttäuscht oder gar wütend sein. Diese Gefühle zu erkennen, sie anzusprechen und den Studierenden zu nehmen, ist wichtig. Denn Angst und Enttäuschung lähmen; Wut kostet Energie. Andere Gefühle hingegen können sich positiv auswirken. Freude zum Beispiel. Sie ist ein weit stärkerer Motivator als Prüfungsrelevanz. Und sie ist ansteckend. Wo mit Freude gelehrt wird, wird oft auch mit Freude gelernt.

Menschen sind soziale Wesen. Studierende besuchen Fachhochschulen nicht nur, um zu lernen, sondern auch um andere Menschen zu treffen, sich mit ihnen auszutauschen und mit ihnen Zeit zu verbringen. Dieser Aspekt ist oft wichtiger als der zu lernende Stoff. Warum? Weil andere Menschen glücklich machen, Bildung hingegen nicht unbedingt.

Gleichzeitig Werte leben und Wissen vermitteln

Statistiken zufolge sind ungebildete Menschen nicht unglücklicher als gebildete. Einsamkeit hingegen macht unglücklich und krank. Zugehörigkeit, Geborgenheit und Wertschätzung sind zentrale menschliche Bedürfnisse. Das müssen auch Fachhochschulen bedenken. Denn erst wenn diese Bedürfnisse befriedigt sind, ist der Kopf bereit, das Wissen aufzunehmen und zu verarbeiten, das im Unterricht vermittelt wird. Werte wie Achtsamkeit, Respekt und Solidarität zu leben, ist folglich ebenso wichtig, wie Wissen zu vermitteln. Denn der Mensch hat nicht überlebt, weil er intelligenter ist als andere Arten, sondern weil er fähig ist, mit anderen zu kooperieren. Vor diesem Hintergrund sollten Fachhochschulen sich vermehrt überlegen, was sie unter Bildung verstehen und was sie ihren Studierenden beibringen wollen.

Kooperation setzt Vertrauen voraus. Vertrauen führt zu guten Beziehungen. Und gute Beziehungen führen zu guten Leistungen. Bloss: Gute Beziehungen sind nicht käuflich. Weder mit Geld noch mit Noten oder ECTS Punkten. Studierende lernen leichter bei Dozierenden, bei denen sie sich wohlfühlen; Dozierende lehren besser in Klassen, zu denen sie einen guten Draht haben. In der Kommunikation spricht man vom Eisbergmodell: über dem Wasser liegt die Sachebene (der Stoff); unter dem Wasser die Beziehungsebene (die Beziehung zwischen Dozierenden und Studierenden). Alle wissen: Was unter dem Wasser liegt, sieht man zwar nicht; es ist aber grösser und damit bedeutender als das, was über dem Wasser liegt. Beziehungsstörungen äussern sich früher oder später immer auf der Sachebene. Studierende vergessen vieles von dem, was sie während des Studiums gelernt haben; aber die Menschen, denen sie begegnet sind und die sie geprägt haben, vergessen sie nicht.

Wahrhaftige Innovation

Die Fachhochschule der Zukunft muss menschenfreundlich sein. Sie muss berücksichtigen, dass Menschen Sinn suchen, gefühlsbetonte Wesen sind und andere Menschen brauchen. Es reicht nicht, Angebote zu entwickeln, weil die Wirtschaft sie will; es braucht auch alternative Lehr- und Lernmethoden, neue Inhalte, andere Leistungsnachweise. Wertorientiertes Lehren und Lernen muss wissensorientiertes ergänzen. Das wäre wahrhaftig innovativ. Und schön. Sehr schön sogar.