Das Studium als Antrieb für den Spitzensport
Spitzensport oder Studium – die ehemalige Skirennfahrerin Tamara Wolf wurde seinerzeit noch vor die Wahl gestellt. Die damalige Betriebsökonomie-Studentin der HTW Chur wäre froh gewesen um flexiblere Studienmodelle und eine höhere Akzeptanz seitens der Trainerinnen und Trainer – so wie es heutzutage weitgehend üblich ist. Eine gute Balance zwischen Sport und Ausbildung half ihr damals, erfolgreich zu sein, sagt sie im Interview.
Text: Luzia Schmid / Bild: Andy Mettler, SRF
Sie waren eine sehr erfolgreiche Skirennfahrerin, gewannen als 17-Jährige die Abfahrt der Junioren-WM, waren es gewohnt, immer das Maximum zu geben. Hilft einem dieser Ehrgeiz auch im Studium?
Es braucht sowohl den Willen als auch den Biss, neben dem Spitzensport ein Studium zu absolvieren. Das ist teilweise ein steiniger Weg. Da half sicher mein Ehrgeiz. Ich habe im Sport gelernt, zu verzichten und auf ein Ziel hinzuarbeiten. Doch manchmal steht einem der eigene Ehrgeiz auch im Weg: Ich wollte sowohl im Sport als auch im Studium immer Topleistungen erbringen. Und hier scheiterte ich schliesslich, weil ich mir zu viel vorgenommen hatte.
Sie mussten Ihren ersten Anlauf, neben dem Spitzensport zu studieren, 2007 wieder abbrechen. Waren das Studium und eine Sportkarriere nicht unter einen Hut zu bringen?
Ich hatte mir vorgenommen, parallel zum Sport das Betriebsökonomie-Studium an der damaligen HTW Chur zu absolvieren. Es war mir immer klar und wichtig, ein zweites Standbein aufzubauen. Die Möglichkeit, dies berufsbegleitend tun zu können, fand ich optimal. Doch dann lief es beim Skifahren unerwartet gut und ich qualifizierte mich für die WM in Åre. Gleichzeitig hätte ich mich auf die Semesterprüfungen vorbereiten müssen. Damals war es nicht einfach, neben dem Spitzensport zu studieren. Die Akzeptanz dafür war sehr gering und die Trainer haben uns praktisch vor die Wahl gestellt. Heute ist das zum Glück anders.
Wie haben Sie sich in jener Zeit von der HTW Chur unterstützt gefühlt?
Der Wille der Hochschule, mich als Sportlerin zu unterstützen, war sehr gross. Der damalige Studienleiter rief mich sogar an, um mir zu sagen, dass ich mich auf einzelne Prüfungen beschränken könne. Es kam für mich jedoch zu kurzfristig. Ich hatte die Situation unterschätzt und mich zu spät darum gekümmert. Wenn ich mich von Beginn weg auf einzelne Fächer hätte fokussieren können, hätte ich es vielleicht gepackt.
Heute gibt es an der FH Graubünden gerade für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler Möglichkeiten, das Studium flexibler zu gestalten. Sie wären sicher froh gewesen, wenn es das bereits zu Ihrer Zeit gegeben hätte ...
Die heutigen Möglichkeiten finde ich sensationell. Bei meinem ersten Versuch, ein Studium zu absolvieren, wäre dies die optimale Lösung gewesen. Das Studium ist eine Riesenchance für Athletinnen und Athleten, die Lust und Zeit sowie das Bedürfnis haben, neben dem Sport auch etwas «für den Kopf» zu tun. Für mich war das immer enorm wichtig. Es ist zudem eine Bereicherung. Man kann sich mit Leuten aus einem anderen Umfeld austauschen und sich in einer anderen Welt bewegen – und kehrt dann mit einem «frischen Kopf» in die Sportwelt zurück.
Im zweiten Anlauf haben Sie das Studium gepackt. Weshalb funktionierte es da?
Nach meinen Verletzungen wurde mir klar, dass es mit dem Sport von einem Tag auf den anderen vorbei sein kann. Als ich 2010 wieder mit dem Studium begann, hatte ich einen Winter mit Rückschlägen hinter mir. Trotzdem kämpfte ich mich zurück – auch dank des Studiums, denn es wirkte sich immer positiv auf mich und meine sportlichen Leistungen aus. Ich bin ein sehr kopflastiger Mensch und brauche einen Ausgleich. Eine weitere Verletzung kurz nach einem Sieg in einer Europacup-Abfahrt im Januar 2011 bewog mich dann jedoch endgültig dazu, mit dem Spitzensport aufzuhören.
Im Zentrum dieser «Wissensplatz»-Ausgabe steht der Mensch. Was zählt für den Menschen Ihrer Meinung nach, wenn es darum geht, erfolgreich zu sein?
Das Leben ist oft eine Gratwanderung – im Sport, aber auch im Beruf. Ich bin ab und zu über diesen Grat hinausgegangen und habe dadurch viel über mich selbst und über andere gelernt. Mir ist klargeworden, dass vor allem das Fundament stark sein muss, wenn man erfolgreich sein will. Es braucht eine gute Basis, auf der man aufbauen kann. Topleistungen kann man nur erbringen, wenn es einem als Mensch gut geht. Gesundheit, Wohlbefinden und das Umfeld müssen stimmen.
Während Ihres Studiums an der HTW Chur haben diese Faktoren also gestimmt?
Ich habe das familiäre Umfeld an der Hochschule damals sehr geschätzt. Die Dozierenden kannten uns mit Namen, wir konnten jederzeit auf sie zugehen und mit ihnen verschiedenste Themen besprechen. Sehr gefallen hat mir auch der Austausch mit den anderen Studierenden. Da kamen Leute aus den unterschiedlichsten Unternehmen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen zusammen. Diese Gespräche waren eine grosse Bereicherung.
Weshalb haben Sie sich damals gerade für ein Betriebsökonomie-Studium entschieden?
Ich sah in diesem Studium die meisten Möglichkeiten, mich weiterzuentwickeln. Ich bin eine Person, die viele Interessen hat und sich für vieles begeistern kann. Noch während des Teilzeitstudiums begann ich, bei einem Vermögensverwalter zu arbeiten; später wechselte ich zu einer Prüfgesellschaft. Und nach der HTW Chur absolvierte ich noch eine Ausbildung zur diplomierten Wirtschaftsprüferin.
Sie arbeiten im Winter nebenbei auch noch als SRF-Co-Kommentatorin bei den Frauenskirennen. Wie wichtig ist das für Sie?
Ich werde wohl nie für etwas anderes eine so grosse Leidenschaft entwickeln können wie für den Skisport. Wenn ich heute skifahren gehe, versuche ich immer noch, aus jeder Kurve das Optimum herauszuholen. Direkt nach meiner Sportkarriere wollte ich einen Schnitt machen. Der Job bei SRF bietet mir jetzt wieder die Möglichkeit, ein Teil dieser Welt zu sein. Ich kann meine Erfahrungen, die ich über all die Jahre hinweg gemacht habe, weitergeben. Aber es ist auch eine grosse Herausforderung. Um die Arbeit gut zu machen, schaue ich mir Trainingseinheiten an, analysiere vor Ort mit den Trainerinnen und Trainern die Videos, recherchiere über die Fahrerinnen und Fahrer ... Das ist mein Anspruch, mein Ehrgeiz eben.
Über Tamara Wolf
Tamara Wolf ist 1985 geboren. Die gebürtige Engadinerin galt als grosses Skitalent, nachdem sie 2003 Junioren-Weltmeisterin in der Abfahrt wurde. Ihre Karriere war aber auch von vielen Verletzungen geprägt. Nach dem Sportgymnasium in Davos erwarb sie den Bachelor of Science in Betriebsökonomie an der damaligen HTW Chur. Nach ihrer Ausbildung zur diplomierten Wirtschaftsprüferin arbeitet sie heute als Senior Group Accountant bei der Partners Group in Baar.
Über Partners Group
Partners Group ist ein globaler Private Markets Investment Manager mit über 900 institutionellen Investoren. Das Unternehmen verwaltet weltweit ein Vermögen von rund 94 Milliarden US-Dollar mit mehr als 1 400 Mitarbeitenden in 20 Niederlassungen.
Beitrag von
Luzia Schmid
Hochschulkommunikation