Von Hellraumprojektor zu Visualizer – ein Vierteljahrhundert Fachhochschulgeschichte
Fast 25 Jahre lang hat Rolf Hofstetter, Professor für Übertragungstechnik, als Dozent an der FH Graubünden gearbeitet, bevor er im Frühjahr 2019 pensioniert wurde. Der 63-Jährige blickt auf eine spannende Zeit zurück. Am Anfang seiner Karriere in Chur standen mit der Neuordnung der Fachhochschulen – der Fusion der beiden damaligen Hochschulen HTA (Hochschule für Technik und Architektur) und HWT (Hochschule für Wirtschaft und Tourismus) zur HTW Chur – grosse Herausforderungen an. Und auch nach Beendigung seiner Berufstätigkeit an der Bündner Fachhochschule gibt es mit der anstehenden Verselbständigung der FH Graubünden wieder ein wegweisendes Ereignis.
Text: Luzia Schmid / Bild: Yvonne Bollhalder, Luzia Schmid, FH Graubünden
Herr Hofstetter, Sie haben als Dozent den Übergang vom Hellraumprojektor zum Visualizer, den Weg von der Wandtafel zur Digitalisierung miterlebt. Wie war das Unterrichten an einer Fachhochschule vor 25 Jahren?
Ja, das war eine andere Zeit! Nur schon bei den Unterrichtsunterlagen waren wir damals stark gefordert. Wir kopierten noch Bilder aus Büchern, schnitten diese aus, klebten sie auf die Unterrichtsblätter und kopierten diese. Die Wandtafel war ein wichtiges Unterrichtswerkzeug. Man muss sich vorstellen: 1995 kam das Internet erst auf, die Computer waren noch richtig langsam. Mit der Zeit kamen dann immer neue Technologien hinzu. Diese bauten wir in den Unterricht ein. Wir erkundeten zum Beispiel gemeinsam mit den Studierenden das Web. Das war eine spannende Zeit.
Nicht nur die Unterrichtsformen veränderten sich in dieser Zeit. Mit der Neuordnung der Fachhochschulen durch den Bundesrat im Jahr 1997 und der Einführung des Bologna-Systems kamen grosse Veränderungen auf die Hochschulen zu. Vorher hatten die Studierenden pro Semester 20 Wochen Unterricht, Ferien wie in der Volksschule und einen Stundenplan, der auf 40 Lektionen ausgelegt war. Jeder Kurs war im Lehrplan genau aufgeführt und wurde wöchentlich durchgeführt. Mit dem Übergang zum Bologna-System fand der Unterricht nur noch zweimal während einer Unterrichtsdauer von 14 Wochen pro Semester statt, mit halb so vielen Lektionen pro Woche. Für die Dozierenden reduzierte sich die Zeit, in der sie Kontaktunterricht erteilten, somit auf weniger als die Hälfte.
Was bedeutete dies für die Rolle der Dozierenden?
Das neue System erforderte plötzlich viel mehr Eigenverantwortung von den Studierenden. Was vorher eine strukturierte Ausbildung mit einer begleitenden Lehrperson gewesen war, ging über in ein Studium mit ganz neuen Dimensionen: Die Studierenden mussten jetzt viel mehr Eigeninitiative an den Tag legen und im Selbststudium lernen. Durch die verkürzte Unterrichtszeit wurde auch der Stoffumfang kleiner, den man vermitteln konnte. Wir hatten die Wahl: Entweder lassen wir Inhalte weg ‒ oder wir unterrichten oberflächlicher. Ich habe mich als Dozent immer sehr bemüht, meinen Studierenden weiterhin so viel wie möglich mitzugeben, die wichtigsten Inhalte «hinüberzuretten».
Sie sprechen damit auch das Ausbildungsniveau an. Hat sich dieses in Ihren Augen denn verändert?
Ja, man konnte mit dem neuen System nicht mehr dasselbe Ausbildungsniveau halten. Vielleicht sind heute auch weniger Tiefe und mehr Breite gefordert. Die Welt hat sich verändert, andere Qualitäten sind gefragt. Doch man stelle sich vor: 1995 gab es noch Stelleninserate, in denen ein «Ingenieur ETH oder HTL» gesucht wurde. Damals waren diese beiden Ausbildungen näher beieinander, so dass für gewisse Jobs Bewerberinnen und Bewerber beider Institutionen in die Kränze kamen. Heute ist das anders. Solche Inserate sieht man praktisch keine mehr. Die ETH konnte ihr Niveau halten, dort ist immer noch ein Masterabschluss Standard. Bei uns ist es heute der Bachelor. Bei diesem ist das Niveau gegenüber dem früheren FH-Diplomabschluss eher gesunken. Heute gibt es Inserate, mit denen ein/e «Ingenieur/in FH oder Techniker/in HF» gesucht werden ‒ wohl auch deshalb, weil das Ausbildungsniveau dieser Lehrgänge gestiegen ist.
«Die FH Graubünden hat eine überschaubare Grösse; bei unseren Klassengrössen findet noch eine Beziehung statt.»
Ist dieses Abgeben von Verantwortung an die Studierenden ein guter Weg oder sind die Fachhochschulen auch diesbezüglich mehr gefordert heutzutage?
Es sind nicht alle Studierenden in der Lage, sofort plötzlich so viel Eigenverantwortung fürs Selbststudium zu übernehmen. Wir müssen die jungen Leute begleiten. Früher war es durch den engeren Kontakt besser möglich, auch Studierende mit Anfangsschwierigkeiten mitzunehmen. Hier stehen wir als Fachhochschule in der Pflicht. Die FH Graubünden hat eine überschaubare Grösse, uns ist das Schicksal der Studierenden nicht egal. Wir versuchen, unsere soziale Verantwortung wahrzunehmen. Unser Vorteil ist, dass wir pro Studienjahrgang weniger Studierende haben und somit auch eine gewisse Förderungsaufgabe wahrnehmen können. Dank unserer überschaubaren Klassengrössen findet noch eine Beziehung statt. Ich habe mich immer sehr darum bemüht. Wahrscheinlich bekam ich deshalb von einem Jahrgang auch den Spitznamen «Papa Moll».
Im Zuge dieser Veränderungen wuchs auch die Bedeutung der FH Graubünden. Sie ist immer noch ‒ und jetzt erst recht ‒ eine wichtige Institution für den Bildungsstandort Graubünden. Das Abendtechnikum wurde 1964 gegründet, damit Ingenieurinnen und Ingenieure aus der Region vor Ort ausgebildet werden konnten. Es gab schon damals einen Fachkräftemangel und man wusste: Wer für die Ausbildung ins Unterland musste, kam nicht mehr zurück. Also setzte man zuerst auf die berufsbegleitenden Studienrichtungen Bauwesen, Elektrotechnik, Maschinenbau und Chemie. Nach dem Studiengang in Betriebsökonomie (1988) kam 1990 der erste technische Vollzeitstudiengang in Telekommunikation dazu. Ein Grund dafür war auch, dass die Swisscom zu wenig Ingenieurinnen und Ingenieure hatte. Sie war es denn auch, die über eine Million Franken in diesen Studiengang steckte ‒ mit einem modernen Telekom-Labor, in dem die Fachhochschule ihre Studierenden ausbilden konnte. Es wurden damals erstmals Leute aus der ganzen Deutschschweiz in Chur ausgebildet.
Hat die FH Graubünden diesen Stellenwert beibehalten? Welchen Einfluss hat die künftige Selbstständigkeit der Fachhochschule darauf?
Parallel zum technologischen Wandel entwickelte sich auch die FH Graubünden immer weiter. Sie hat ihr Bildungsangebot laufend an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst. Die vorher erwähnten technischen Studiengänge sind durch neue abgelöst worden: Einerseits durch das Bachelorstudium SystemtechnikNTB in Kooperation mit der NTB Interstaatlichen Hochschule für Technik und andererseits durch die beiden Bachelorangebote Photonics und Multimedia Production. Auch heute noch hat die FH Graubünden neben ihrer regionalen Bedeutung eine Ausstrahlung über die Kantonsgrenzen hinaus. Studienangebote wie Photonics, Multimedia Production, Information Science oder Digital Business Management sind einzigartig und ziehen Studierende aus der ganzen Schweiz an. Die zukünftige Selbständigkeit der Fachhochschule ist da eine grosse Chance. Dadurch können noch mehr Fachrichtungen angeboten werden, die national von Bedeutung sind, was den Bildungsstandort Chur weiter stärken wird.
«Die Selbständigkeit der FH Graubünden wird den Bildungsstandort Graubünden künftig stärken.»
Mit über 80 Prozent Studierenden, die nicht aus Graubünden stammen, hat sich der Trend in Richtung «nationale Bedeutung» inzwischen noch verstärkt.
Beitrag von
Luzia Schmid
zukünftige Projektleiterin Hochschulkommunikation, Rektorat