Wissen praxisorientiert umsetzen – in Kooperationen
Ein Team der FH Graubünden entwickelte in einem interdisziplinären Forschungsprojekt gemeinsam mit dem Hauptumsetzungspartner Graubünden Ferien ein Online-Buchungstool für Gruppenreisen. Dabei wurde nicht nur auf dem Wissen verschiedener Institutionen aufgebaut – dieses Wissen wurde auch gemeinsam vertieft und im Buchungstool praxisorientiert umgesetzt.
Text: Corsin Capol, Christopher Jacobson, Prof. Dr. Peter Moser / Bild: Sedrun Disentis Tourismus, FH Graubünden
Gemeinsam mit Graubünden Ferien (GRF) entwickelten das Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) und das Institut für Photonics und ICT (IPI) in einem interdisziplinären Forschungsprojekt eine Online-Buchungsplattform für Gruppenreisen in Graubünden. Diese empfiehlt den Nutzerinnen und Nutzern massgeschneiderte und individuell zusammensetzbare Aktivitäten und Unterkünfte in Echtzeit und ermöglicht deren direkte Buchung. Mit dieser Plattform soll das Marktsegment der Vereinsreisenden intensiver bearbeitet werden, um neue Gäste für Graubünden zu gewinnen und die Auslastung von Hotel-, Gastronomie- sowie weiteren touristischen Betrieben zu erhöhen. Das Projekt umfasst vier Arbeitspakete.
Neuartig an diesem Online-Buchungstool ist, dass – basierend auf den erfassten Interessen und Bedürfnissen der Gruppenreisenden – eine Hauptaktivität in Graubünden empfohlen wird. Ausgehend von dieser Hauptaktivität wird anschliessend eine nahegelegene Unterkunft vorgeschlagen. Die Reisenden haben darüber hinaus die Möglichkeit, ihrer Reise weitere Aktivitäten hinzuzufügen, sich für eine andere Unterkunft zu entscheiden oder die Reise noch mehr zu individualisieren.
Kooperationen sind gefragt
Das durch Innosuisse (vormals Kommission für Technologie und Innovation KTI) geförderte Forschungsprojekt der FH Graubünden wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Hauptumsetzungspartner Graubünden Ferien (GRF) durchgeführt, was sich auch im interdisziplinären Projektteam widerspiegelte. GRF koordinierte auch die Schnittstellen zu weiteren Umsetzungspartnern. Zu diesen zählten unter anderem drei Tourismusdestinationen in Graubünden und der Schweizerische Turnverband.
Auf dem Wissen anderer aufbauen
Zu Beginn des Forschungsprojekts analysierte Graubünden Ferien touristische Produkte in Graubünden für Gruppenreisende und wertete die bisherigen Erfahrungen aus. Daraufhin identifizierte das Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) bestehende Funktionalitäten sowie Best Practices von mehreren Buchungsplattformen und touristischen Akteuren. Diese Erkenntnisse bildeten die Ausgangslage für die technische Vorstudie, welche das Institut für Photonics und ICT (IPI) erstellte.
Wissen gemeinsam vertiefen
Aufbauend auf diesen Kenntnissen führte das ITF im Sommer 2016 in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Turnverband und Swiss Tombola eine Befragung von knapp 2000 Vereinsgruppenreisenden durch. Die Ergebnisse zeigten beispielsweise, dass eine typische Reisegruppe aus durchschnittlich 35 Reisenden besteht und die Reise im Spätsommer oder Herbst – mit einer Übernachtung – stattfindet.
Die Haupterkenntnisse der Befragung sowie die identifizierten Benutzertypen wurden im nächsten Schritt mit Graubünden Ferien, den Partner-Destinationen Arosa Tourismus, Savognin Tourismus Surses und Sedrun Disentis Tourismus sowie touristischen Leistungsträgern in einem Workshop vertieft. Das Ergebnis bildete die Grundlage für den technischen Empfehlungsmechanismus der Online-Buchungsplattform.
In Interviews mit touristischen Leistungsträgern identifizierte das ITF die Herausforderungen bei der Produktentwicklung. Als besonders schwierig erwies sich die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren zur Bereitstellung einer touristischen Gesamtleistung. Zudem wurden – basierend auf den Interview-Ergebnissen – Serviceketten entwickelt, welche die zukünftigen Interaktionen zwischen den Leistungsträgern, den Destinationen und der Gruppenreisen-Buchungsplattform bestmöglich beschreiben.
Wissenschaft praxisorientiert anwenden
Anschliessend erstellte das ITF – in Absprache mit Graubünden Ferien und dem IPI – die Anforderungsbeschreibung für die Online-Buchungsplattform. Nebst der Darstellung und Integration der Unterkünfte und Aktivitäten waren die Empfehlung und Individualisierung der Reise sowie die Buchung und technische Adaption die Hauptkriterien.
Die technische Umsetzung der Plattform erfolgte durch das IPI mit dem agilen Vorgehensmodell Scrum. Scrum ist ein inkrementelles und iteratives Vorgehensmodell, das sich für dieses Forschungsprojekt aufgrund der hohen Komplexität der zu entwickelnden Plattform und der grossen Anzahl an involvierten Akteuren besonders eignete. Bei diesem Ansatz der Software-Entwicklung wird sequenziell vorgegangen, um einen Prototypen schrittweise zu entwickeln und zu optimieren.
Die Anforderungen an die Plattform wurden in sogenannten User Stories dokumentiert. Eine User Story beinhaltet eine eindeutige Anforderungsbeschreibung mit dazugehörigen messbaren Akzeptanzkriterien. Im Product Backlog werden diese verwaltet und priorisiert. Die Aufwandschätzung der User Stories wurde durch das Entwicklungsteam in Planning Pokers unter Anleitung des Scrum Masters vorgenommen. Dieser Prozess erforderte eine intensive Zusammenarbeit zwischen GRF, IPI und ITF.
Die technische Implementierung wurde in dreiwöchigen Sprints umgesetzt. In einem Sprint werden jeweils die Anforderungen mit der höchsten Priorität vom Product Backlog in den Sprint Backlog übernommen. Am Ende eines jeden Sprints wurde immer ein lauffähiges Product Increment erzeugt. Dieses wurde dem Product Owner sowie Graubünden Ferien am Review-Meeting durch das Entwicklungsteam präsentiert, wo es diskutiert und abgenommen wurde. Im Anschluss daran wurde jedes Sprint-Artefakt für den operativen Betrieb an die Bündner Webhosting-Firma Exigo AG ausgeliefert. So konnte sichergestellt werden, dass GRF jederzeit Inhalt und Qualität der Software prüfen kann.
Gemeinsam überprüfen und weiterentwickeln
Im Anschluss an das Projekt wird eine intensive Testphase des Online-Buchungstools durch Mitglieder des Schweizerischen Turnverbands stattfinden. Es ist vereinbart, dass der Prototyp – basierend auf den Rückmeldungen und dem Nutzungsverhalten – durch die FH Graubünden in Kooperation mit Graubünden Ferien innert Winter 2018/2019 bis zur Marktreife weiterentwickelt wird.
Beitrag von
Corsin Capol
Dozent für Informatik, Institut für Photonics und ICT (IPI)
Christopher Jacobson
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Programmleiter Summer School, Institut für Tourismus und Freizeit (ITF)
Prof. Dr. Peter Moser
Professor für Volkswirtschaftslehre, Projektleiter, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung (ZWF)