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Digitalisierung als Chance für den alpinen Raum
Digitalisierung als Chance für den alpinen Raum

Digitalisierung als Chance für den alpinen Raum

Sogenannte Ökosysteme prägen das Arbeitsmodell der Zukunft. Dank digitaler Transformation werden die Menschen flexible Netzwerke bilden und projektbezogen arbeiten. Mit der Virtualisierung als Chance für den alpinen Raum kann die FH Graubünden ihren Bildungsstandort stärken und diesen auch für Studierende in der ganzen Welt zugänglich machen.

Text: Flurina Simeon / Bild: SuisseDigital / Patrik Kummer, World Tourism Forum Lucerne

Beschreiben Sie bitte kurz Ihre Tätigkeit bei Microsoft Schweiz.
Seit Anfang Jahr verantworte ich den Bereich Öffentliche Hand und Verwaltung bei Microsoft Schweiz; auch bundesnahe Betriebe wie die SBB und die Post gehören dazu. Der Fokus unserer Tätigkeit liegt auf der Begleitung von Unternehmen im Zuge ihrer digitalen Transformation. Die digitale Transformation wird oft als ausschliesslich technischen Prozess verstanden. Meines Erachtens ist die Technik aber nur ein Nebenschauplatz. Zentral ist hingegen der grosse Wandel in der Arbeitsweise. Ich bin überzeugt, dass die Arbeitsform der Zukunft stark von Ökosystemen geprägt sein wird. Konkret bedeutet dies, dass verschiedenste Personen, Institutionen, Firmen und Hochschulen zusammenkommen und gemeinsam ein Ziel verfolgen.

In der digitalen Welt ist «klein» nicht mehr mit «unbedeutend» gleichzusetzen, oder?
Ganz im Gegenteil: «Klein» wird sogar stark gesucht. Ganz einfach deshalb, weil es den Grossunternehmen mit ihren komplexen Prozessen nicht genauso gut gelingt, spannende Innovationen zu entwickeln wie den Start-ups bzw. Einzelpersonen oder kleinen Firmen. Diese sind üblicherweise viel agiler. Die Bildung eines Ökosystems, in welchem «die Kleinen» Teil eines grossen Projektteams werden, öffnet diesen den Zugang zu einem Markt, welcher ihnen ansonsten verschlossen bliebe. Es handelt sich meistens um eine Win-Win-Situation für beide Unternehmenstypen.

Im Gespräch: Jon Erni als Experte anlässlich des World Tourism Forum Lucerne.
Jon Erni anlässlich des Erhalts des Innovationspreises 2015 für das Projekt miaEngiadina von SuisseDigital in Bern.

Wie unterstützen Sie und Ihr Team konkret die öffentliche Hand sowie die Verwaltung bei der digitalen Transformation? 
Im Gegensatz zu bestehenden Vorurteilen erlebe ich auch in diesem Bereich sehr offene Menschen und entsprechend auch Institutionen, welche den Weg der digitalen Transformation beschreiten. Als Technologiekonzern müssen wir immer darauf bedacht sein, zunächst die brennendsten Prioritäten – beispielsweise von den Regierungen oder den CEOs der Unternehmen im öffentlichen Umfeld – abzuholen. Sobald uns diese bekannt sind, eruieren wir, was der digitale Transformationsbeitrag zu diesen Fragestellungen ist.

Was sind die wichtigsten Bedürfnisse und Herausforderungen dieses Segments?
Ich erlebe, dass viele Unternehmen der öffentlichen Hand neben diversen anderen Projekten das Projekt «Digitalisierung» isoliert von allen anderen bearbeiten. Meines Erachtens ist das der falsche Ansatz, denn Digitalisierung ist ein Werkzeug, um alle Themen adressieren zu können. Erstens handelt es sich dabei um die Interaktion mit Kunden, Bürgerinnen und Bürgern, Studierenden usw. Zweitens muss dabei ein Augenmerk auf die Befähigung der Mitarbeitenden gerichtet werden. Drittens ist bei der Nutzung der Digitalisierung die Optimierung bestehender Prozesse zentral, wodurch auch Kosten eingespart werden können. Und zu guter Letzt liegt der Fokus auf der Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Produktportfolios.

«Innovation entsteht dort, wo Bildung stattfindet.»

Können Sie mir ein konkretes Beispiel für eine Herausforderung im Bereich der öffentlichen Hand nennen?
Die Schweiz tut sich unnötig schwer mit der elektronischen Identität und der elektronischen Abbildung der damit einhergehenden Prozesse. Das föderale System ist dafür sicher nicht die optimale Voraussetzung. Zurzeit organisiert eGov-Schweiz eine Reise nach Estland für Interessierte aus der öffentlichen Verwaltung, um zu zeigen, was im Bereich der digitalen Identität bereits umgesetzt worden ist. Anhand dieses Beispiels werden wir aufzeigen können, dass Länder, welche nicht über all die Vorzüge der Schweiz verfügen, die Digitalisierung nutzen, um diese Rückstände wettmachen zu können.

Im Zuge der Digitalisierung ist Sicherheit immer wieder ein grosses Thema?
Bezüglich Sicherheit ist es wichtig, wo die Daten gespeichert sind. Es gibt zwei entgegengesetzte Strömungen, was Datahosting anbelangt. Es setzen sich viele Kräfte dafür ein, dass die Schweiz zum zentralen Ort für Datenspeicherung wird. Diese Strategie wird meiner Meinung nach nicht aufgehen. Wenn man die globalen Trends der Digitalisierung betrachtet, sieht man zum Beispiel bei Blockchain, dass Ländergrenzen keine Rolle spielen dürfen. Blockchain ist ein weltweites, demokratisches Verteilsystem, das eine unabhängige Sicherheit bietet. Denn sobald Daten in einem bestimmten Land gespeichert werden, ist die Gefahr da, dass dieses Land auch Einfluss auf die Daten ausübt.

Bei Microsoft als Technologieunternehmen wird die digitale Transformation weit fortgeschritten sein. Beschreiben Sie bitte Ihre Erfahrungen aus der Optik einer Führungsperson. 
Bei Microsoft herrscht schon seit einigen Jahren eine ganz «andere» Arbeitskultur. Es gibt kein physisches Headquarter – die europäische Niederlassung ist virtualisiert und sitzt in Zürich, Mailand, Amsterdam etc. Die Leute sind heute dort, wo sie gerne leben und am produktivsten arbeiten können. Ich bin mit meinen Mitarbeitenden via Skype und über andere digitale Kollaborationswerkzeuge virtuell verbunden, aber es gibt auch immer wieder geplante Face-to-Face-Meetings. Diese Zusammenarbeit baut auf Vertrauen auf und ist eine Selbstverständlichkeit für Microsoft.

In Bezug auf neue Arbeitsformen ist «Co-Working» in aller Munde. Was sind die Bedingungen, damit diese Form funktioniert?
Bei Microsoft gibt es seit Jahren Räumlichkeiten, die all unseren Partnern offenstehen für Treffen. Neuerdings haben wir uns sogar noch weiter geöffnet, sodass jeder und jede zu uns kommen kann, um in diesem Co-Working-Bereich zu arbeiten. Es entstehen neue Ideen und ein anderer Austausch findet statt. Das Bedürfnis, zufällig mit anderen Menschen zusammen zu sein und daraus Neues zu kreieren, ist ein wachsender Trend.

Als (Heimweh-)Engadiner engagieren Sie sich aktiv bei «mia Engiadina». Worum geht es da genau? Worin besteht die Rolle von Microsoft Schweiz bei diesem Projekt? 
Die Vision von Microsoft lautet: «Wir befähigen jede Organisation und jede Person dazu, mehr aus den eigenen Möglichkeiten zu machen.» Diese Herausforderung liegt mir auch beim Hochtal Engadin am Herzen. Deshalb haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, so viele Leute wie möglich, die sich mit dem Engadin verbunden fühlen, virtuell zu mobilisieren und für ein gemeinsames Ziel zu begeistern. Wir begleiten Ideen dabei so weit, bis eine gewisse Reife erreicht ist und die Projekte sich selber weiterentwickeln können. Darin liegt die Grundidee, die modellhaft für die Entwicklung von ländlichem Raum weltweit angewendet werden könnte. Wir haben es geschafft, international damit ein Zeichen zu setzen.

Inwiefern ist der periphere Kanton Graubünden mit der digitalen Welt verbunden? Wo hapert es noch?
Der Nachteil Graubündens ist, dass wir weit entfernt vom nächsten Wirtschaftszentrum sind. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Graubünden auf die Digitalisierung setzt. Zwei Initiativen sehe ich diesbezüglich als Schwerpunkte. Einerseits ist dies die Forcierung eines Ausbaus der Hochbreitband-Anbindung des Kantons. Zweitens würde ich eine Bildungsoffensive vorantreiben. Innovation entsteht dort, wo Bildung stattfindet. Wir müssen den Standort Chur zusammen mit der FH Graubünden – als wichtigen Innovationspfeiler – stärken, mittels Digitalisierungsansätzen weiter vorantreiben und zum Exportbildungsstandort machen.

Wie beeinflusst die Digitalisierung die Arbeitswelt von morgen? Wie wird diese aussehen?
Hier geht es um die bereits erwähnten Ökosysteme, die Vernetzung von Klein und Gross sowie das Vereinen von verschiedensten Kompetenzen. Wichtig ist das Zusammenbringen von Kunden und Anbietern mit Spezialistinnen und Spezialisten, die Technologie-Know-how mitbringen. Die Kunst besteht darin, dieses Zusammentreffen so zu moderieren, dass daraus etwas entsteht, in dessen Rahmen alle ihre Fachkompetenz einbringen können und dass es dank Wissensvielfalt zu einer flächendeckenden Vernetzung kommt.

Was für eine Rolle spielt die künstliche Intelligenz für die digitale Transformation?
Grossfirmen versuchen Machine-Learning einzusetzen. Wir sind als Land nicht gross genug, um genügend Kapazitäten in den Cloud-Lösungen dafür anzubieten. Es gibt weltweit drei führende Player auf diesem Gebiet, einer davon ist Microsoft. Diese Player besitzen die weltumspannenden Hyperscale-Cloud-Lösungen. Es ist deshalb entscheidend für uns, eine hybride Cloud zu haben. Gewisse Daten dürfen die Schweiz nicht verlassen. Diese müssen jedoch verbunden sein mit einer Welt, in der die anderen Werkzeuge nicht ausgeschlossen sind. Künstliche Intelligenz ist nur möglich, wenn wir Daten in der weltweiten Skalierung nutzen können.

Zusammenfassend, inwiefern verändert die Digitalisierung die Gesellschaft? 
Die Babyboomers werden in Pension gehen und wir werden ein Manko an Arbeitskräften erleben, mit denen diese Arbeitsstellen nachbesetzt werden können. Gut qualifizierte Leute werden sehr gefragt sein und sich ihre Jobs aussuchen können. Deshalb müssen sich die Unternehmen überlegen, wie sie sich attraktiv präsentieren. Zudem werden die Mitarbeitenden der Zukunft sich nicht mehr rund um die Uhr für eine Firma «aufopfern». Die Menschen wollen vermehrt in Netzwerken projektorientiert zusammenarbeiten. Nicht nur Junge, auch über 50-Jährige werden sich das Privileg herausnehmen, so zu leben, wie es sich für sie spannend gestaltet.

Die FH Graubünden verfolgt die Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung im Rahmen einer strategischen Initiative. Wie erleben Sie die Bündner Fachhochschule im Kontext der digitalen Transformation? Wo sehen Sie Entwicklungsbedarf?
Ich arbeite eng mit der Leitung der FH Graubünden zusammen, wo wir ein dezentrales Bildungskonzept verfolgen. Natürlich freue ich mich sehr, dass Graubündens Fachhochschule Mitglied bei «mia Engiadina» ist. Mit der Digitalisierung als Chance für den alpinen Raum könnten wir zusammen mit «mia Engiadina» international noch visibler werden.

Wir haben sehr innovative Unternehmen im Kanton Graubünden, wie z. B. Ems Chemie oder Inventx, die darauf angewiesen sind, genügend qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Diese Firmen sind von einem starken Standort und von Leuten abhängig, die in der Region ausgebildet werden.

Wichtig sind auch weitere Überlegungen, wie die Hochschule im ganzen Kanton oder sogar darüber hinaus zugänglich gemacht werden könnte, ohne dass Reisen notwendig sind. Wenn es funktioniert, dank Virtualisierung vom Engadin aus an der FH Graubünden zu studieren, kann man es in Zukunft auch von China, Afrika oder Amerika aus. Mit dem Fokus auf ländliche Themen können wir uns eine Kompetenz aufbauen und Lösungen anbieten, die ausserhalb der grossen Ballungszentren liegen.

Jon Erni

Seit über vier Jahren ist Jon Erni bei Microsoft Schweiz tätig, aktuell als Public Sector Director. Zusammen mit seinem Team von Digitalisierungsexperten begleitet er Unternehmen der öffentlichen Hand und Verwaltung auf dem Weg der digitalen Transformation. Zuvor war er während knapp 18 Jahren in leitenden Funktionen in der Telekommunikationsbranche tätig. Nach seinem Elektroingenieur-Studium an der ETH Zürich absolvierte er an der HSG St.Gallen einen Executive MBA. Erni engagiert sich ehrenamtlich in der Fundaziun Pro HIF sowie der Fundaziun mia Engiadina. Er ist in Scuol aufgewachsen und hat in Ftan die Mittelschule absolviert. Heute lebt er mit seiner Frau und seiner zehnjährigen Tochter in Thalwil am Zürichsee. In seiner Freizeit geniesst er die Natur beim Jagen oder Wandern und macht Musik.

Microsoft Schweiz

Seit mehr als 25 Jahren ist Microsoft in der Schweiz ansässig und hat heute rund 620 Mitarbeitende.

Beitrag von

Flurina Simeon

Flurina Simeon ist Chefredaktorin des FH Graubünden-Magazins «Wissensplatz» und Kommunikationsverantwortliche der Fachhochschule aus Graubünden.