Voneinander lernen – gemeinsam wachsen
Irina Zehnder hat an der FH Graubünden den Bachelor-Studiengang Tourismus belegt. Seit ihrem Abschluss vor einem Jahr baut sie ihre Ruanda Tours auf und führt Schweizerinnen und Schweizer in das ostafrikanische Land. Ihr Reiseangebot basiert auf der Idee von Kooperationstourismus – alle involvierten Parteien profitieren gleichermassen voneinander.
Text: Flurina Simeon / Bild: Irina Zehnder
Sie haben an der FH Graubünden den Bachelor-Studiengang Tourismus absolviert. Welche Erinnerungen an Ihr Studium sind besonders präsent?
Ein Highlight des Studiums war mein Austauschsemester in Südafrika. Die Partneruniversität der FH Graubünden, die North-West University, unterrichtet noch in Afrikaans. Mit Kopfhörern ausgestattet sassen wir also im riesigen Hörsaal. Der Austausch mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen war unglaublich spannend – vor allem zu spüren, wie subtile Rassentrennung in vielen Bereichen unserer Mitstudierenden noch präsent ist. Teil eines völlig anderen Bildungssystems zu sein war faszinierend. Selbstredend haben wir auch das Studentenleben in vollen Zügen genossen. Ausserdem war die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema meiner Bachelor-Arbeit «Destination Rwanda – From Genocide to Role Model» ein weiteres Highlight meiner Zeit an der Bündner Fachhochschule.
Gibt es Aspekte, die aus Ihrer Sicht im Studium zu wenig thematisiert wurden?
Das Tourismusstudium auf Bachelor-Ebene an der FH Graubünden richtet einen starken Fokus auf Management-Themen. Diese sind natürlich sehr wichtig. Meines Erachtens kamen jedoch «Soft»-Themen wie Ethik im Tourismus und Tourismus als nachhaltige Entwicklungshilfe viel zu kurz. Das Fach Ethik wurde – in hoher Qualität zwar – im ersten Semester kurz abgehandelt.
Die Mission der FH Graubünden besagt, dass Studierende durch die enge Verknüpfung von praxisorientierter Lehre und Forschung zu hochqualifizierten, verantwortungsvollen Persönlichkeiten werden. Inwiefern haben sie die Bündner Fachhochschule als nachhaltig erlebt?
Ich habe eine gute Ausbildung genossen, durch die mir ein breites Wissen vermittelt wurde. Insofern habe ich die FH Graubünden als nachhaltig empfunden. Die Schulung des kritischen Denkens dürfte jedoch verstärkt werden. Auch bin ich der Meinung, dass die erwähnten Soft Skills mehr gewichtet werden sollten im Curriculum.
In welcher Form – wenn überhaupt – wurden «Nachhaltigkeit / nachhaltige Entwicklung» im Unterricht thematisiert?
Neben dem bereits erwähnten Ethik-Unterricht im ersten Semester wurde der Fokus des Nachhaltigkeits-Diskurses hauptsächlich im Sinne von «Umweltschutz» thematisiert und nicht im gesellschaftlichen Sinne, welcher mich vor allem interessiert hätte. Der Kreis schliesst sich dennoch, denn Cambiela, ein Verein von FH Graubünden-Studierenden, welcher sich für Entwicklungszusammenarbeit engagiert, und meine Firma, Ruanda Tours, haben kürzlich einen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Unser Nachhaltigkeits-Verständnis deckt sich, die Zusammenarbeit ist eine Freude für mich.
Was vermissen Sie aus Ihrem Studentinnen-Leben?
Vieles wird einem ja erst im Nachhinein bewusst… Ich vermisse das Zusammensein mit meinen Mitstudentinnen und -studenten, aber auch das Privileg, studieren zu dürfen. Ich habe die Praxisorientierung des Studiums – zum Beispiel in Form von Exkursionen – sehr geschätzt, aber auch den Input der Gast-Dozentinnen und -Dozenten. Die Praxis in die Theorie zu integrieren, das macht die FH Graubünden wirklich ausgezeichnet; daran würde ich auch heute gerne immer wieder teilhaben.
Ihre Bachelor-Arbeit haben Sie zum Thema «Destination Rwanda – From Genocide to Role Model: Developing a Tourist Offer for Swiss Travellers Based on the Idea of Cooperative Travel-Gatherings». Beschreiben Sie bitte kurz den Inhalt Ihrer Arbeit.
Denkt man an Ruanda, kommen einem meistens die zwei Gs in den Sinn: G wie Genozid und G wie Gorilla. Es ist unglaublich schade, dass das Land vielmals auf diese beiden Gs reduziert wird. Ruanda gilt heute als aufgehender Stern Afrikas, als eines der sichersten Länder des Kontinents. Dieser wirtschaftliche Erfolg wäre ohne soziale Rekonstruktion nicht möglich gewesen.
Meine Ruanda Tours basieren also vor allem auf diesem Versöhnungsprozess. Wie konnte man jenen vergeben, welche die eigene Mutter oder den Vater, Kinder oder Freunde umgebracht haben? «Cooperative Travel-Gatherings», eine Idee meines Advisors und Dozenten Dr. Eric Dieth, soll beiden Seiten – Ruandern und Ruanderinnen sowie Reisenden – die Möglichkeit bieten, sich kennen zu lernen und Verständnis füreinander aufzubauen. Das «Cooperative» steht für «gemeinsam voneinander profitieren durch Kooperieren».
Wie sind Sie auf dieses nicht ganz alltägliche Thema gestossen?
Wie so oft im Leben: über einen Umweg. Nach meiner Lehre als Bankkauffrau ging ich für einen Sprach- und Arbeitsaufenthalt nach Ghana. Mein ghanaischer Onkel hat dort eine kleine Consulting-Firma. Dabei habe ich eine Person aus Ruanda kennen gelernt. Der Mann fiel mir durch sein etwas komisches Verhalten auf. Mir wurde dann erklärt, dass er den Völkermord in Ruanda überlebt hatte und ich dementsprechend Verständnis haben sollte. Mein Interesse war geweckt, doch ich musste zuerst einmal googeln, wo Ruanda denn überhaupt liegt. Seitdem habe ich mich immer wieder mit dem Land beschäftigt.
Die Bachelor-Arbeit stellte eine ausgezeichnete Möglichkeit dar, mich intensiv mit diesem dunklen Kapitel der ruandischen Geschichte zu befassen. Dr. Dieth hat mir dann jedoch geraten, mich nicht auf den Völkermord zu versteifen, sondern mich vielmehr mit dem Versöhnungsprozess auseinanderzusetzen. Auch ich stellte dann bald fest, dass dies eine absolute Nische war – beziehungsweise ist. Noch kein Tourismusunternehmen bietet Gästen die Möglichkeit, etwas über den Versöhnungsprozess zu lernen.
Was waren die wichtigsten Resultate für Sie aus dieser Arbeit?
Dank dieser Arbeit und der intensiven Betreuung von Herrn Dieth darf ich mich heute stolze Besitzerin von Ruanda Tours nennen. Natürlich ist meine Unternehmung klein und momentan begleiten mich vor allem Freunde und Freundinnen sowie Bekannte nach Ruanda, doch ich bin sicher, dass meine Begeisterung und Passion für die Menschen und dieses unglaublich spannende Land bald auch weitere Reisende anstecken werden.
Sie haben sich nach Ihrem Abschluss im Jahr 2015 mit Ruanda Tours selbstständig gemacht. Was war Ihre Motivation dafür?
Nebst meinen bereits erwähnten eigenen Bestrebungen merkte ich auf meinen Reisen, dass auch seitens meiner Partnerinnen und Partner in Ruanda Interesse für solch eine Zusammenarbeit bestand. Im Rahmen der Interviews, die ich für meine Bachelor-Arbeit durchführte, merkte ich schnell, dass viele Leute grundsätzlich an einer Reise nach Ruanda interessiert wären, doch dass die Wahrnehmung von Ruanda bei vielen stets mit Bürgerkrieg und Unsicherheit assoziiert war. Ich erlaube mir zu sagen, dass ich für viele Interessierte die gewünschte Sicherheit verkörpere, da ich Ruanda bereits mehrmals bereist habe und versichern kann, dass ich bisher noch keinen Grund für Bedenken hatte.
Wie sieht Ihr heutiger Alltag aus?
Momentan arbeite ich in einem Reisebüro in Schaffhausen. Ich habe jedoch festgestellt, dass der Verkauf von Pauschalreisen nicht meine Welt ist. Natürlich ist es mein langfristiges Ziel, von Ruanda Tours leben zu können.
Wie sieht das Angebot von Ruanda Tours aus? Was erleben Ihre Kundinnen und Kunden?
Vor der Abreise bereite ich die Reisenden gründlich vor, sei es in Form von Lesestoff, sei es im Rahmen von Gesprächen. Die Tour dauert gesamthaft sieben Tage. Die ersten drei Tage bezeichne ich als Einführungstage. Die Reisenden haben die Möglichkeit, einen Teil der Geschichte Ruandas kennen zu lernen – sei es bei einer Walking Tour durch den ältesten Stadtteil Kigalis oder beim Besuch des alten Königpalastes. Selbstverständlich gehört hier auch das Genozid-Museum dazu, in welchem sich Massengräber mit 250’000 Leichen befinden. Während dieser drei Tage sollen sich die Reisenden mit der Geschichte vor dem Völkermord auseinander setzten: Wie kam es zu diesem ethnischen Konflikt? Was haben die Kolonialmächte damit zu tun? Ist Opfer wirklich gleich Opfer und Täter gleich Täter? Auch haben die Reisenden währenddessen immer wieder die Chance, sich mit Ruanderinnen und Ruandern auszutauschen, um so die vielen Fragezeichen klären zu können.
Danach verbringen wir zwei Tage in einer Gemeinschaft, in welcher Täter und Opfer friedlich zusammenleben. Durch das Kooperieren, das gemeinsame Arbeiten an einem von der Gemeinschaft initiierten Projekt soll eine Beziehung aufgebaut werden und man soll gemeinsam wachsen. So lautet denn auch der Leitspruch meiner Unternehmung: «Voneinander lernen – gemeinsam wachsen». Zum Abschluss nehmen wir an einem ruandischen Tanzkurs teil und besuchen einen Gottesdienst. Nach diesen sieben Tagen gehe ich dann auf die individuellen Reisewünsche meiner Gäste ein. Ruanda ist eines der wenigen Länder, in welchem die Berggorillas zu Hause sind. Ein sehr beeindruckendes Erlebnis und definitiv einen Besuch wert.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Ihren Partnerinnen und Partnern in Ruanda?
Meines Erachtens verläuft die Zusammenarbeit sehr befriedigend. Natürlich arbeiten auch wir stets an unserer (Geschäfts-)Beziehung – dies braucht Passion und gegenseitiges Vertrauen. Doch es macht unglaublichen Spass, sich gemeinsam weiterzuentwickeln und auch hier voneinander zu lernen.
Mit welchen Mitteln versuchen Sie Ihr Geschäft nachhaltig aufzubauen und weiterzuentwickeln?
Wie erwähnt strebe ich nach einer gesellschaftlich nachhaltigen Beziehung zu meinen Partnerinnen/Partnern und der Gemeinschaft in Ruanda. Wir investieren ineinander und wachsen gemeinsam. Ich bin fester Überzeugung, dass meine Partnerinnen und Partner in Ruanda die Zusammenarbeit im gleichen Sinne führen. Pro Tour können maximal sieben Gäste mitkommen, damit sowohl die Reisenden wie auch die Ruanderinnen und Ruander die Möglichkeit haben, sich wirklich kennen zu lernen, und damit die Tage in der Gemeinschaft auch intensiv erlebt werden können. Damit erhoffe ich mir auch, dass ich nachhaltige Erlebnisse für beide Seiten schaffen kann. Übrigens reisen einige Mitglieder meiner ersten Reisegruppe dieses Jahr bereits zum zweiten Mal nach Ruanda.
Was aus dem Studium ist für Ihre heutige Tätigkeit besonders hilfreich?
Die erlernte Theorie gibt mir eine Basis, auf welcher ich mich sicher bewegen kann – sei es im Marketing-Bereich, sei es im Umgang mit Geschäftspartnerinnen und -partnern. Meine Bachelor-Arbeit ermöglichte mir, mich selbstständig zu machen. Dies wäre ohne die unglaubliche Hilfe meines Advisors Dr. Dieth niemals möglich gewesen.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Die nächste Reise nach Ruanda führe ich diesen Herbst durch. Für Kurzentschlossene gibt es noch freie Plätze! Bisher hat die Mund-zu-Mund-Propaganda gut funktioniert. Mittelfristig geht es mir darum, mein Geschäft auf nachhaltige Beine zu stellen, wirtschaftlich und auch gesellschaftlich: für mich, aber auch für alle zukünftigen Reisenden und vor allem für die Ruanderinnen und Ruander.
Geschäftsführerin Irina Zehnder
Irina Zehnder ist im Kanton Schaffhausen aufgewachsen und auch heute dort wohnhaft. Nach ihrer kaufmännischen Lehre mit Berufsmatura bei einer Bank verbrachte sie sechs Monate in Accra, Ghana, im Rahmen eines Sprach- und Arbeitsaufenthalts. Gleich anschliessend ging sie für einen weiteren Sprachaufenthalt nach Nizza, Frankreich, gefolgt von einem Studium an der FH Graubünden. Dieses schloss sie im September 2015 mit dem Bachelor of Science FHO in Tourism erfolgreich ab. Seither arbeitet sie in der Reiseberatung und begleitet parallel dazu mit ihrer eigenen Firma Ruanda Tours Reisende nach Ruanda.
Über Ruanda Tours
Ruanda Tours bietet Schweizer Reisenden die Möglichkeit, einen Teil der Geschichte Ruandas nach dem Genozid kennen zu lernen. Der Hauptfokus liegt jedoch auf dem vorbildlichen Versöhnungsprozess in Ruanda nach dem Völkermord. Durch Kooperation mit einer ruandischen Gemeinschaft sollen beide Seiten Verständnis füreinander aufbauen, voneinander lernen und gemeinsam wachsen.