Zeitgemässe Arbeitsmodelle für Kinderbetreuungspersonal
In der Welt der Kinderbetreuung sind die Anforderungen an das Personal ebenso vielfältig wie die Bedürfnisse der betreuten Kinder. Während Fachkräfte ihre Zeit und Energie in die Betreuung, Erziehung und Förderung von Kindern investieren, sind sie zugleich durch unregelmässige Arbeitszeiten, psychische Belastungen sowie niedrige Löhne gefordert. New-Work-Arbeitsmodelle bieten eine vielversprechende Lösung. Ein Pilotprojekt des Zentrums für wirtschaftspolitische Forschung untersucht, wie solche Modelle in der Kinderbetreuung umgesetzt werden könnten.
Text: Kathrin Dinner, Monika Engler Busa / Bild: Shutterstock
Kinderbetreuungspersonen sind während der Öffnungszeiten von Kindertagesstätten (Kitas) und Horten vor Ort unentbehrlich – ihre Präsenz ist sowohl örtlich als auch zeitlich festgelegt, was die traditionellen Anstellungsmodelle in diesem Bereich erklärt. Das Berufsbild ist zudem geprägt durch unregelmässige Arbeitszeiten, einen hohen Frauenanteil, physische und psychische Belastung und tiefe Löhne.
Gleichzeitig sieht sich die Kinderbetreuungsbranche – wie die restliche Wirtschaft – mit einem substanziellen Arbeitskräftemangel konfrontiert. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Kinderbetreuungsbetriebe freiwerdende Stellen zunehmend nur mit Mühe nachbesetzen können und das Halten des bestehenden Personals anspruchsvoll ist. Oftmals verlassen Fachkräfte bereits nach der Lehre den Beruf oder sie steigen nach wenigen Jahren, beispielsweise nach einer Schwangerschaft, wieder aus. Zum anderen treten Mitarbeitende mit Blick auf die andernorts stattfindenden Änderungen in der Arbeitswelt mit neuen Forderungen an die Betriebe heran und stellen diese vor zusätzliche Herausforderungen.
Eine vielversprechende Möglichkeit, mit den neuen Gegebenheiten umzugehen, sind New-Work-Arbeitsmodelle. Dabei handelt es sich um alternative Arbeitsformen, die einerseits im Arbeitsumfeld Freiräume für Kreativität und persönliche Mitwirkung schaffen und andererseits neue Ansätze für die Vereinbarkeit von Beruf und anderen Lebensbereichen umfassen.
Zwei explorativ geprägte Pilotprojekte
Im Auftrag des Branchenverbands kibesuisse geht die FH Graubünden im Projekt «New-Work-Arbeitsmodelle für Kinderbetreuungspersonal» der Frage nach, wie Arbeitsmodelle im Kinderbetreuungsbereich ausgestaltet werden müssen, damit Fachpersonen auch künftig ihren Beruf mit Leidenschaft ausüben können und wollen. Hierzu wurden zusammen mit einem regional tätigen Kinderbetreuungsbetrieb zunächst mögliche Stossrichtungen mit den Mitarbeitenden und dem Leitungspersonal partizipativ erarbeitet. In einem zweiten Schritt wurden ausgewählte Ansätze vertieft und so weit konzipiert, dass sie Ende 2024 als zwei Pilote in den Betriebs- und Betreuungsalltag des Praxispartners eingeführt werden konnten.
Beide Pilotprojekte fordern den Arbeitgeber dazu auf, Entscheidungskompetenz und, parallel dazu, Verantwortung an die Mitarbeitenden zu übertragen. An die Stelle zentralisierter Top-down-Entscheide treten selbstgesteuerte Entscheidungsprozesse auf Ebene der Mitarbeitenden. Dadurch steigt für die Mitarbeitenden die Mit- und Selbstbestimmung ihrer Arbeitsbedingungen, während sich das Unternehmen für ausgewählte Entscheide auf das Wissen und die Präferenzen der Basis – oder die kollektive Intelligenz der Gesamtorganisation – abstützen kann.
Pilot 1: Selbstgeführte Verwendung des Lohnbonus
Wenn die Entscheidungsfindung dezentralisiert wird, stellt sich unter anderem die Frage, wer über Gehaltserhöhungen und Boni entscheidet. Beim Praxispartner war die Verteilung der Boni am Jahresende bisher Aufgabe der Geschäftsleitung und eine zunehmend unangenehme Angelegenheit, da ihr – etwa aufgrund der stark gestiegenen Anzahl Mitarbeitenden – nur wenige Fakten zur Entscheidungsfindung zur Verfügung standen. Daher wurde 2024 der Entscheid über die Verwendung der Boni erstmals den Mitarbeitenden übertragen. Ziel war es, den Mitarbeitenden in einem klar abgesteckten Rahmen erste Erfahrungen in selbstgeführten Teams zu ermöglichen und eine kollektive Entscheidungsfindung anzustossen.
Konkret erhielten alle Mitarbeitenden den Auftrag, über die Verwendung und Verteilung des Bonus in ihrem Team zu entscheiden. Als Hilfestellung wurde jedes Team mit einem Antwortblatt ausgestattet, das von allen Teammitgliedern unterschrieben an die Geschäftsstelle zu retournieren war. Auch zusätzliche Informationen über mögliche Wege der Entscheidungsfindung dienten als Hilfestellung. Bei Bedarf konnten die Mitarbeitenden eine freiwillig tätige, dreiköpfige Bonuskommission aus der Mitte der Belegschaft beratend hinzuziehen.
Pilot 2: Selbstbestimmte Arbeitszeitmodelle
In der Reflexion der heutigen Arbeitssituation sah sich das Betreuungspersonal durch die örtliche und zeitliche Gebundenheit eingeengt. So kristallisierten sich die unflexible Arbeitszeit und fehlende Work-Life-Balance als zentrale Problemfelder heraus. Gleichzeitig wurde der Wunsch nach einer 4-Tage-Woche geäussert.
Der zweite Pilot fokussiert sich entsprechend auf ein 4-Tage-Modell an einem Kita-Standort. Das Betreuungspersonal hat für 2025 die Wahl, ein halbes Jahr im herkömmlichen 5-Tage- oder im neuen 4-Tage-Modell zu arbeiten. Die Mitarbeitenden im 4-Tage-Modell haben eine orts- und zeitgebundene Arbeitszeit, die um eine Stunde länger dauert als im 5-Tage-Modell (Vollzeitpensum). In dieser Zeit leisten sie ausschliesslich direkte Betreuungsarbeit. Die verbleibende Arbeitszeit (rund 5 Stunden) steht für die sogenannt mittelbare pädagogische Arbeit (z.B. Dokumentationen, Vorbereitung von Betreuungseinheiten, Gespräche) zur Verfügung und kann von den Mitarbeitenden bezüglich Zeit und Ort eigenständig gestaltet werden. In einem späteren Schritt (nicht Teil des Pilots) können die Arbeitszeitmodelle um verschiedene Flexibilitätsanforderungen erweitert werden. Denkbar sind z. B. die Varianten Fix (fixes Wochenpensum, fixe Dienstzeiten), Flex (fixes Jahrespensum, teilflexible Dienstzeiten, minimale Anzahl an Springereinsätzen) und Superflex (variables Jahrespensum, wechselnde Dienstzeiten). Eine höhere Flexibilität führt zu einer besseren Entlöhnung.
Die verbleibenden Projektschritte sehen vor, die beiden Pilotprojekte mit Blick auf die Mitarbeitendenzufriedenheit sowie aus pädagogischer und finanzieller Perspektive mit den Beteiligten zu reflektieren. Anschliessend erarbeiten Forschende Empfehlungen, wie die Pilotprojekte auf Ebene Gesamtbetrieb des Praxispartners und bei anderen Mitgliedern von kibesuisse implementiert werden können.
Beitrag von
Kathrin Dinner, Wissenschaftliche Projektleiterin, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung
Prof. Dr. Monika Engler Busa, Dozentin, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung