Wie Sprachmodelle die Arbeitswelt revolutionieren
Digitalisierung und der Einsatz von Informationstechnologie haben Geschäftsprozesse vereinfacht und automatisiert. Dennoch blieben viele Bereiche aufgrund komplexer, individueller Arbeitsabläufe von diesen Optimierungen ausgeschlossen. Sprachmodelle stellen eine Schlüsseltechnologie dar, um diese Lücke zu schliessen und die Effizienz in der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine zu steigern.
Text: Albert Weichselbraun / Bild: Künstlich generiert mit Adobe Firefly
Die Informationstechnologie eröffnet ein weites Feld an Möglichkeiten, um Arbeitsabläufe durch intelligente Software zu optimieren. Sie ermöglicht es, Geschäftsprozesse präzise abzubilden, repetitive Tätigkeiten zu vereinfachen und Prozesse zu automatisieren.
Trotzdem stossen viele Arbeitsabläufe an ihre Grenzen. Oft fehlt es an der passenden Software, um spezifische Abläufe nahtlos zu automatisieren. Für jene Prozesse, die nicht durch bestehende Anwendungen abgedeckt werden, bleibt dann nur der aufwendige und kostenintensive Weg, individuelle Programme zu entwickeln. Zudem existieren Informationssysteme, wie zum Beispiel Datenbanken und Rechercheplattformen, welche aufgrund ihrer Komplexität und Leistungsfähigkeit die Kenntnis spezieller Abfragesprachen erfordern. So wurde zum Beispiel die Programmiersprache SQL (Structured Query Language) entwickelt, um Daten in Datenbanksystemen effizient speichern, bearbeiten und abrufen zu können.
Diese Situation führt häufig dazu, dass viele Anwenderinnen und Anwender nicht über das notwendige Know-how verfügen, um die vorhandenen Optimierungspotenziale voll zu nutzen. Selbst der Einsatz von IT-Expertinnen und IT-Experten führt nicht immer zum gewünschten Ergebnis, da diesen oft das spezifische Wissen über die Anwendungsdomäne fehlt.
Sprachmodelle als Mittler zwischen Mensch und Maschine
Die Entwicklung von Sprachmodellen hat eine Revolution ausgelöst. Sie ermöglicht es, künstliche Intelligenz (KI) mittels natürlicher Sprache zu «steuern» und führte unter anderem zur Veröffentlichung erster kommerzieller Modelle, wie zum Beispiel ChatGPT.
Computer werden mithilfe von Programmiersprachen programmiert, die über ein Vokabular mit fest definierter Bedeutung verfügen. Natürliche Sprachen sind hingegen deutlich weniger präzise. So ist zum Beispiel die Bedeutung von Wörtern oft von deren Kontext abhängig, es existieren Worte mit ähnlicher oder identischer Bedeutung und Menschen neigen zum Leidwesen maschineller Verfahren dazu, mit der Sprache zu spielen. Dieses «Spiel» zeigt sich insbesondere bei sarkastischen Äusserungen, beim «Lesen zwischen den Zeilen» oder auch bei Sprichwörtern, bei denen die wortwörtliche Bedeutung eines Satzes stark von dessen Interpretation abweichen kann.
Sprachmodelle statten Maschinen mit einem Grundverständnis des in einer Sprache verwendeten Vokabulars aus. Hierfür werden diese mittels massiver Textmengen trainiert und können so Sprache besser interpretieren. Sie können die Ähnlichkeit zwischen Begriffen wie zum Beispiel «Sessel», «Stuhl» und «Bank» abschätzen, Worte, deren Bedeutung vom Kontext abhängt, korrekt interpretieren und sogar Redewendungen und Sarkasmus erkennen. Sprachmodelle stellen somit eine Schlüsseltechnologie dar, um KI mittels natürlicher Sprache zu steuern.
Aufgaben im «Tandem» effizienter lösen
In der Praxis lassen sich Sprachmodelle einsetzen, um zwischen menschlicher Sprache und einer Programmiersprache zu übersetzen. Dies erlaubt es, Fragen der Anwenderinnen und Anwender automatisch in Programmcode umzuwandeln. Interessant ist auch die Möglichkeit, komplexe Funktionalitäten in Computerprogrammen und umfangreiche Recherchen in Informationssystemen über natürliche Sprache zu steuern. Dies ermöglicht es, die Produktivität von Spezialistinnen und Spezialisten mit fehlenden Programmierkenntnissen zu steigern.
Eine weitere Stärke von Sprachmodellen stellt deren Fähigkeit dar, als «Taschenrechner» für natürliche Sprache zu fungieren. Dieses umfassende Sprachverständnis ermöglicht es, Aufgaben zu beschleunigen, welche bis jetzt Menschen vorbehalten waren. So können Sprachmodelle Texte zusammenfassen, umformulieren und sogar eigenständig verfassen.
Die Möglichkeit, maschinell Sprache zu generieren und zu bearbeiten, eröffnet neue Anwendungspotenziale – besonders wenn Menschen und Maschine im Tandem eingesetzt werden. So prüfen zum Beispiel Forschende der FH Graubünden im Rahmen einer Vorstudie, wie sich diese Fähigkeiten nutzen lassen, um die Erstellung von Informationssicherheits- und Datenschutzkonzepten zu unterstützen. Expertinnen und Experten bringen im Rahmen dieser Studie ihre Erfahrung und implizites Wissen zu den IT-Systemen ein. Die KI übernimmt im Gegenzug grosse Teile der Schreibarbeit, kümmert sich um die Konsistenz der Sicherheitskonzepte und stellt sicher, dass diese aktuelle Normen und Best Practices berücksichtigen. In der Folge steigen die Mitarbeitendenproduktivität sowie die Qualität der erstellten Konzepte.
Technologische und gesellschaftliche Herausforderungen
Aus technischer Sicht sind insbesondere die fehlende Transparenz und Zuverlässigkeit von KI grosse Herausforderungen. Moderne KI-Systeme stellen aufgrund ihrer hohen Komplexität «Black Box»-Systeme dar, deren Entscheidungen kaum vorhersagbar sind. So können Maschinen Ereignisse nur anhand der ihnen zugänglichen Trainingsdaten interpretieren und neigen daher – in für sie ungewohnten Situationen – zu Fehlentscheidungen und Halluzinationen, die für Menschen oft nur schwer nachvollziehbar sind. In der Praxis ist diese Einschränkung vor allem dann problematisch, wenn die Entscheidungsfindung nicht durch Mensch-Maschine-Tandems, sondern primär durch die KI erfolgt.
Neben den technischen Herausforderungen werfen die wachsenden Fähigkeiten von KI tiefgreifende gesellschaftliche Fragen auf. Welche Tätigkeitsbereiche bleiben Menschen vorbehalten, wenn Maschinen zunehmend komplexere Aufgaben übernehmen? Besonders problematisch erscheint in diesem Kontext, dass KI immer besser in der Lage ist, niedrigere Qualifikationsniveaus abzudecken. Menschen müssen somit tendenziell immer höhere Qualifikationen erwerben, um im Zusammenspiel mit Maschinen einen Mehrwert zu bieten.
In diesem Kontext kann ein Blick in die Vergangenheit von Interesse sein. Sowohl im Zuge der industriellen Revolution als auch der Digitalisierung kam es zu tiefgreifenden Umbrüchen im Arbeitsmarkt. Diese zwangen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vermehrt dazu, jene Kenntnisse zu erwerben, welche für die Nutzung der entsprechenden Technologien notwendig waren. Im Gegenzug wurden deren Tätigkeitsprofile aufgewertet, mühsame und repetitive Arbeiten reduziert und eine deutlich höhere Produktivität erzielt. Bildung und Weiterbildung werden daher entscheidend sein, um die Herausforderungen des KI-Zeitalters zu bewältigen, um die daraus entstehenden Chancen zu erkennen und um diese erfolgreich zu nutzen.
Beitrag von
Prof. Dr. Albert Weichselbraun, Dozent, Schweizerisches Institut für Informationswissenschaft