Wie Bilder Veränderung sichtbar machen
Wandel ist allgegenwärtig – sei es in Wirtschaft, Klima oder Gesellschaft. Doch Veränderungen sind oft abstrakt und in komplexen Daten verborgen. Hier setzt Datenvisualisierung an: Sie macht Zahlen sichtbar und hilft, Veränderungen verständlich zu kommunizieren. Für Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sind Visualisierungen nicht nur technische Werkzeuge, sie sind ein Fenster, das die Dynamik unserer Welt aufzeigt.
Text: Helena Jambor / Bild: Mauri Pelto / Visualisierungen: Helena Jambor, Kenneth Moreland
Der Morteratschgletscher in Pontresina ist einer der Alpengletscher, der sich in den letzten 150 Jahren um mehrere Kilometer zurückgebildet hat. Davos ist eines der ehemals abgelegenen Dörfer, die mit der entsprechenden Ausweitung an Infrastruktur zu einem internationalen Tourismuszentrum avanciert sind. Und Rätoromanisch ist eine der Sprachen, die aufzeigt, dass der Sprachwandel zur Abnahme von gesprochenen Sprachen führen kann. Es sind dies drei Beispiele für Veränderungen, die nicht ganz einfach fassbar gemacht werden können. Hier kommen Daten ins Spiel. Daten können Wandel als eine Veränderung über Zeit, im Raum oder über Bedingungen beschreiben. Das Problem: Daten sind selten klar, haben viele Lücken, Anomalien oder sind beeinträchtigt infolge Rauschens verschiedenster Art. Diese Unzulänglichkeiten müssen in Analysen verstanden und berücksichtigt werden. Für Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler besteht die Herausforderung darin, die Veränderung in einer Masse von Zahlen und Daten zu extrahieren, zu strukturieren und in einer Form darzustellen, die diesen Wandel fassbar macht – sowohl für Expertinnen und Experten als auch für Laien. Datenvisualisierung spielt dabei eine zentrale Rolle, denn sie ist die einzige Möglichkeit für Menschen, Veränderungen intuitiv zu erfassen und Muster zu erkennen, die sonst in Rohdaten verborgen bleiben.
Zurück zum oben genannten Beispiel des Morteratschgletschers. Dass sich die Eismasse des Morteratschgletschers in den letzten 150 Jahren um mehrere Kilometer zurückgezogen hat, weiss man, weil Messungen und Visualisierungen dies eindrücklich belegen: Forschende nutzen hierfür historische Fotos, topographische Karten und Drohnenaufnahmen, Messungen des Eises und der Schneeschichten, der Vegetation und Tierwelt. Ausserdem kann der lokal beobachtete Wandel auch mit weiteren Messungen in Verbindung gebracht werden, beispielsweise mit steigenden Temperaturen und veränderten Niederschlagsmustern. Wenn dieses Wissen analysiert und integriert wird, bietet sich ein eindringliches und umfassendes Bild (Abb.1).
Von Playfair bis heute
Wandel in Daten darzustellen hat eine viel kürzere Geschichte als angenommen. Das erste dokumentierte Bild, hatte der Brite William Playfair erstellt. Playfair hat im 18. Jahrhundert Liniendiagramme, Balkendiagramme und Kreisdiagramme erfunden und legte damit im Jahr 1786 den Grundstein für das gesamte Feld der Datenvisualisierung. Seine Darstellungen boten erstmals die Möglichkeit, Veränderungen – etwa Handelsüberschüsse und -defizite – auf einen Blick zu erkennen (Abb. 2). Diese Innovation machte Daten bildlich zugänglich und schuf eine ganz neue Sprache für die Kommunikation. Auch heutzutage sind die von Playfair etablierten Diagramme, Linien-, Balken und Tortendiagramme, dank ihrer Einfachheit weit verbreitet. Allerdings haben sich die Werkzeuge und Techniken, um Diagramme zu erstellen und zu betrachten, immer weiterentwickelt. Heute können Millionen von Datenpunkten gleichzeitig visualisiert und dynamische Veränderungen in Echtzeit dargestellt werden. Fortschritte in der Computertechnologie, bei Algorithmen und im Grafikdesign haben dazu geführt, dass Datenvisualisierungen interaktiv, animiert und hochgradig anpassbar geworden sind. Sogenannte Dashboards und Visual Analytics Tools ermöglichen es, tagesaktuelle Trends zu verfolgen, Prognosen zu erstellen und Entscheidungen zu treffen – sei es im Management von Lieferketten, der Steuerung von Energieflüssen oder der Überwachung von Pandemien.
Wandel visualisieren, für Forschende und im Alltag
Dank Visualisierungen können Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschafler beispielsweise herausfinden, ob ein plötzlicher Anstieg von Verkaufszahlen durch saisonale Trends, eine erfolgreiche Marketingkampagne oder externe Faktoren, wie politische Ereignisse bedingt ist. Ohne geeignete Visualisierungen wäre es nahezu unmöglich, solche Zusammenhänge zu erkennen. Dabei bleiben Zeitreihen-Diagramme ein Klassiker, während Heatmaps räumliche Dynamiken effektiv visualisieren. Fortschrittliche Methoden wie animierte Visualisierungen, die Veränderungen in Echtzeit abbilden, oder interaktive Dashboards, die Benutzerinnen und Benutzern ermöglichen, Daten selbst zu erkunden, sind aus modernen Anwendungen nicht mehr wegzudenken.
Gleichzeitig stellen solche Visualisierungen hohe Anforderungen. Sie müssen präzise, ästhetisch ansprechend und für jedermann verständlich sein. Eine schlecht gestaltete Visualisierung kann Daten verzerren oder irreführend sein – ein Risiko, das Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler stets im Auge behalten müssen (Abb. 3). Für die meisten Menschen zeigt sich ein Wandel in alltäglichen Visualisierungen wie Wetterkarten, Börsenkursen oder Verkehrsflussanzeigen. Nachrichtenmedien präsentieren Wahltrends, Umweltindikatoren oder wirtschaftliche Kennzahlen oft in Form von Balkendiagrammen, Liniendiagrammen oder Karten. Diese Visualisierungen dienen nicht nur der Information, sondern auch der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. Doch die Qualität solcher Darstellungen variiert. Während hochwertige Visualisierungen verständlich und transparent sind, können schlecht gestaltete oder manipulierte Diagramme missverständlich oder irreführend sein. Hier tragen Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eine besondere Verantwortung. Sie sollen einen Wandel nicht nur sichtbar machen, sondern auch korrekt und fair darstellen
Wandel als Chance
Veränderungen zu visualisieren bedeutet, sie greifbar zu machen – für Expertinnen und Experten wie auch für Laien. Am Institut für Data Analysis, Artificial Intelligence, Visualization und Simulation arbeiten Forschende auf mannigfaltige Weise damit. Beispielsweise werden Leistungen von Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern immer wieder erfasst. Oft kann erst durch die zusammenhängende Analyse und Sichtbarmachung in einer Visualisierung ein Trainingseffekt erkennbar werden. Studierende lernen in Kursen interaktiv und automatisiert mit Daten umzugehen – in sogenannten Dashboards, Datenwebseiten und auch mit Technologien wie Augmented Reality und Virtual Reality. Diese ermöglichen es, Veränderungen dreidimensional und immersiv darzustellen. Weiterhin kann Machine Learning dazu beitragen, Muster in Daten besser zu erkennen und individuell zugeschnittene Visualisierungen zu erstellen. Und nicht zuletzt kann in Laborbeobachtungen und in Umfragen ermittelt werden, ob eine Visualisierung beobachtete Veränderungen effektiv kommuniziert.
Von den ersten Liniendiagrammen bis zu modernen Dashboards zeigt sich, dass Datenvisualisierung nicht nur eine Methode der Darstellung von Veränderungen, sondern eine Brücke zwischen Daten und Handeln ist.
Beitrag von
Dr. Helena Jambor, Dozentin, Institut für Data Analysis, Artificial Intelligence, Visualization und Simulation