Vom Konsumieren zum Mitgestalten
Die Hochschulbildung steht vor einem grundlegenden Wandel. Klassische Vorlesungen, in denen Studierende passiv Wissen aufnehmen, werden zunehmend durch innovative Lernformate ersetzt. Blended Learning, eine Mischung aus Präsenzunterricht und digitalen Selbststudienanteilen, nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Ein Ansatz, der Lernende nicht als passiv Zuhörende betrachtet, sondern als aktiv Gestaltende ihres Bildungsweges.
Text: Judith Hüther / Bilder: FH Graubünden
«Am Anfang war es schwer, die Zeit fürs Selbststudium sinnvoll einzuplanen. Aber ich habe gemerkt, was funktioniert. Ich nutze nun gezielt freie Stunden wie die Zugfahrt, und am Wochenende arbeite ich Pendenzen ab. Es braucht Organisation, aber es lohnt sich.» Das sagt ein Bachelorstudent, der sich im dritten Semester befindet. Eine Erfahrung, die zeigt, wie flexible Lernstrukturen es den Studierenden ermöglichen, ihr Lernen zeitlich und räumlich individuell anzupassen und gleichzeitig zu profitieren. Gerade Online-Lernplattformen wie Moodle bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten – von aufgezeichneten Vorlesungen über interaktive Übungen bis hin zu Diskussionsforen. Freiheiten, die gleichzeitig verlangen, dass Studierende ihre Zeit effizient managen, Prioritäten setzen und Eigenverantwortung übernehmen. Insbesondere eine aktive Vorbereitung ist oft der Schlüssel zu einem erfolgreichen Lernerlebnis. Beispielsweise, wenn Studierende bestimmte Inhalte eigenständig in einer Onlinephase vorbereiten und dieses Wissen anschliessend im Präsenzunterricht durch Diskussionen, Fallstudien oder Gruppenprojekte vertieft wird. Dabei sei der Einfluss und die Unterstützung der Dozierenden entscheidend, findet ein anderer Student. Er sagt: «Wenn Materialien klar strukturiert sind und Dozierende im Unterricht darauf Bezug nehmen, motiviert das viel mehr, sich eigenständig vorzubereiten. Andernfalls lässt man den Stoff schnell liegen.»
Der Weg zur Selbstverantwortung
Und doch ist die Umstellung auf selbstgesteuertes Lernen nicht immer einfach. Manche Studierende kämpfen mit Prokrastination oder Überforderung. Hochschulen müssen daher unterstützende Strukturen bieten, etwa Workshops zu Zeitmanagement, Coaching-Angeboten oder Peer-Learning-Formate.
Die FH Graubünden setzt zudem auf digitale Tools, die Studierende in ihrer Selbstorganisation unterstützen. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Möglichkeit, individuelle Lernfortschritte in einem «Fortschrittsbalken» kontinuierlich sichtbar zu machen.
Aber warum ist die Entwicklung hin zum selbstgesteuerten Lernen so relevant? Die Arbeitswelt von heute erfordert ein hohes Mass an Selbstständigkeit, Flexibilität und lebenslangem Lernen. Berufstätige müssen sich stetig an neue Technologien und Arbeitsweisen anpassen. Blended Learning bereitet Studierende genau darauf vor: Sie lernen, Verantwortung für ihr Lernen zu übernehmen, und trainieren Fähigkeiten wie Problemlösungskompetenz, Selbstreflexion und Resilienz. So nutzen viele Studierende beispielsweise bereits während ihres Studiums die künstliche Intelligenz als Unterstützung. Es helfe, Inhalte zusammenzufassen, Fragen zu klären und das eigene Verständnis zu überprüfen. Gerade bei komplexen Themen sei das ein echter Vorteil. Absolventinnen und Absolventen, die während ihres Studiums gelernt haben, flexibel und eigenverantwortlich zu agieren, können den Herausforderungen der Arbeitswelt gelassener begegnen.
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Interaktive Videos unterstützen die Eigenverantwortung, indem sie es den Studierenden ermöglichen, zeitlich und räumlich flexibel zu lernen.
Von der Wissensvermittlung zum Lerncoaching
Auch die Rolle der Lehrpersonen verändert sich durch Blended Learning. Sie sind nicht mehr «nur» Wissensvermittelnde, sondern vielmehr Lerncoaches, die Studierende beim eigenständigen Lernen begleiten. So sagt etwa ein Betriebsökonomiedozent: «Blended Learning hat meine Lehre komplett verändert. Ich bereite gezielt Materialien vor, die die Studierenden eigenständig bearbeiten können. In der Präsenzphase bin ich dann vor allem dafür da, offene Fragen zu klären und Diskussionen anzuregen. Das macht den Unterricht dynamischer und die Studierenden sind deutlich aktiver.» Ein anderer Dozent sieht das ähnlich. Die Interaktion habe sich verändert. Weniger Frontalunterricht, dafür mehr Dialog und individuelle Betreuung. Das erfordere mehr Vorbereitung, aber die Lernergebnisse seien dadurch oft besser. Um Dozierende auf diese neue Rolle vorzubereiten, bietet die FH Graubünden spezifische Weiterbildungen und Networking-Veranstaltungen für Dozierende an.
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Aktiver Unterricht mit mehr Dialog: Tourismusstudierende während einer interaktiven Gruppenarbeit.
Blended Learning ist also mehr als ein didaktisches Konzept – es ist ein Schlüssel, um Studierende auf die Anforderungen einer dynamischen Welt vorzubereiten. Indem es Eigenverantwortung und Flexibilität fördert, stärkt es nicht nur die individuellen Kompetenzen der Lernenden, sondern verändert die Lernkultur an Hochschulen grundlegend. Dieser Wandel mag herausfordernd sein, doch er bietet die Chance, gemeinsam an einer Bildung der Zukunft zu arbeiten.
Beitrag von
Judith Hüther, Leiterin Teaching and Learning Center