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Innovative Ingenieurlösungen für den Schutz von Lebensräumen in den Alpen
Innovative Ingenieurlösungen für den Schutz von Lebensräumen in den Alpen

Innovative Ingenieurlösungen für den Schutz von Lebensräumen in den Alpen

Die Alpenlandschaft steht vor grossen Herausforderungen. Zunehmende Naturgefahren machen den Schutz von Siedlungen und Infrastrukturen immer dringlicher, um die Lebensräume langfristig zu sichern. Die Bauingenieurinnen und Bauingenieure des Instituts für Bauen im alpinen Raum sind gefordert, mit ihrem Fachwissen an innovativen Lösungen zu arbeiten und damit einen wichtigen Beitrag zu leisten, um die alpinen Regionen auch in Zukunft sicher und lebenswert zu gestalten.

Text: Daniel A. Walser / Bilder: FH Graubünden, Daniel A. Walser

Die Alpen waren nie ruhig. Lawinen, Steinschlag, Murgänge und Gewässer, die über die Ufer treten, sind seit jeher eine Bedrohung für Siedlungen und Infrastrukturen. Durch die höheren Durchschnittstemperaturen verändern sich etliche Parameter, wie beispielsweise die Schneefallgrenze, die Häufigkeit und Intensität von Starkregen und die Stabilität von Berghängen. Diese Veränderungen haben massive Auswirkungen auf das fragile Gleichgewicht der Landschaft und gefährden die Stabilität und Sicherheit von Siedlungsräumen. So führt etwa das Auftauen des Permafrosts in den obersten Berglagen zu unvorhergesehenen Rutschungen und Murgängen. Angesichts solcher Entwicklungen muss ein Kanton wie Graubünden grosse Anstrengungen unternehmen, um der Bevölkerung auch in Zukunft eine sichere Lebensgrundlage zu bieten.

In der Ausbildung zukünftiger Bauingenieurinnen und -ingenieure nimmt die zunehmende Bedrohung durch Naturgefahren eine zentrale Rolle ein. Dabei wird verstärkt auf die Expertise von Fachkräften aus der Praxis zurückgegriffen. In der Forschung gestaltet sich die Situation etwas anders. Das Institut für Bauen im alpinen Raum ist ein eher kleines Institut; es kann sich deshalb in seiner angewandten Forschung lediglich auf ausgewählte Teilbereiche konzentrieren. 

Holzwolle für nachhaltige Hang- und Ufersicherung

Damit der Boden nach Bauarbeiten in Steilhängen wieder schnell und gut befestigt zuwachsen kann, braucht dieser Unterstützung, um zu verhindern, dass die Pflanzensamen schon beim ersten Regen weggeschwemmt werden. Dazu werden oft Matten verwendet. Das Institut für Bauen im alpinen Raum hat in verschiedenen Forschungsprojekten Matten aus Holzwolle getestet. Diese haben den Vorteil, dass sie die Erosion verzögern, den Wuchs von Pflanzen fördern und nach dem erfolgreichen Bewuchs selbst zu Humus werden.

Daraus hat sich in den letzten Jahren ein neuer Bereich entwickelt. Zur Stabilisierung von Böschungen eignen sich unter anderem Faschinen (Bündel aus verschiedenen Naturmaterialien), wobei Holzwolle-Faschinen technische und ökologische Vorteile gegenüber Faschinen aus Holz bieten. Es wurden bereits erste Erfolg versprechende Pilotversuche durchgeführt. Ziel dieses Forschungsprojekts  ist es, die Vorteile von Holzwolle-Faschinen in Form einer Anwendungsgrundlage zu quantifizieren. Das Institut für Bauen im alpinen Raum forscht in diesem Projekt in enger Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Südschweiz (SUPSI).

Installation von Faschinen, die mit Holzwolle gefüllt sind

Prävention von Gleitschneelawinen mittels Geokunststoffen

Gleitschneelawinen entstehen, wenn die gesamte Schneedecke bis zum Boden auf einer glatten Oberfläche abrutscht, wie zum Beispiel einer glatten Wiese. Sie kündigen sich durch die klassischen Fischmaul-Formationen in der Schneedecke an und bewegen sich langsam nach unten, bis sie plötzlich versagen und als Lawine abgehen. Ähnlich wie andere Lawinenarten können auch Gleitschneelawinen Schäden an Menschen und Infrastruktur verursachen. Die Unvorhersehbarkeit der Auslösung von Gleitschneelawinen kann aber zu längeren Schliessungen von Skigebieten und Transportwegen führen und damit erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachen. Aufgrund der klimatischen Veränderungen und steigenden Temperaturen nehmen die Gleitschneeprobleme in der Alpenregion zu. Dieses Forschungsprojekt  untersucht, ob reibungsarme technische Textilien bzw. Geokunststoffe auf Gleitschneehängen eingesetzt werden können, um angesammelten Schnee in kontrollierbaren Mengen freizusetzen. Entfernbare, reibungsarme Geokunststoffe erlauben im Gegensatz zu traditionellen Massnahmen gegen Gleitschneeprobleme wie etwa Holz-Dreibeinböcke, dass die betreffenden Wiesen in den Sommermonaten landwirtschaftlich genutzt werden können.

Tests mit Gleitschneelawinen in Davos

Nachhaltiger Steinschlagschutz aus Holz

Steinschlagbarrieren aus Holz stellen eine nachhaltige Lösung für Steinschlagprobleme dar. Doch das volle Potenzial von Holz wird angesichts der steigenden Anforderungen an das Naturgefahrenmanagement im Zuge des Klimawandels bislang noch nicht ausgeschöpft. In der Schweiz wurden einige der ersten Steinschlagbarrieren bereits aus recycelten hölzernen Eisenbahnschwellen hergestellt – und zudem wurden runde Holzbalkenelemente aus lokalen Bergwäldern eingesetzt, die Schutz vor Naturgefahren bieten. Die Fortschritte, die mittlerweile bei Steinschlagschutzlösungen aus Stahldrahtnetzen erzielt wurden, hatten jedoch zur Folge, dass einfache und nachhaltige Holzalternativen verdrängt wurden.

Mit dem Ziel, bestehende Steinschlagbarrieren aus Holz und ihre Schutzleistung zu dokumentieren, wurden Felduntersuchungen durchgeführt. Dabei wurden die Konstruktionsweise, die verbleibende Holzqualität, der Feuchtigkeitsgehalt sowie die Umweltbedingungen und die Beweise für Steinschlagereignisse erfasst. Erste Ergebnisse des Forschungsprojekts  deuten auf eine höhere Wirksamkeit von hölzernen Steinschlagschutzbarrieren bei der Vernichtung der bedrohlichen Steinschlagenergie hin als bisher angenommen. Sie rechtfertigen weitere Untersuchungen dieser nachhaltigen, sinnvollen Steinschlagschutzlösungen.

Steinschlagbarrieren aus Holz werden untersucht

Kostenintensive Schutzmassnahmen: Beispiele aus Bondo und Brienz

In Bondo (Bergell) ist aktuell ein Millionen-Schutzprojekt im Gang. Nach dem tödlichen Bergsturz am Piz Cengalo soll die Bevölkerung vor Murgängen und Hochwasser geschützt werden. Die Gesamtkosten für das Projekt belaufen sich auf deutlich über 50 Millionen Franken. Die Schutzmassnahmen für das Bergdorf Brienz (Albulatal) kosten ebenfalls mehrere Millionen Franken. Das Dorf und der Hang oberhalb der Siedlung rutschen kontinuierlich – die Siedlung ist unmittelbar durch Steinschlag bedroht. Zum Schutz der Bevölkerung wurde entschieden, einen Entwässerungsstollen zu bauen, der die Geländebewegungen reduzieren soll. Dieser befindet sich aktuell im Bau und kostet rund 40 Millionen Franken. 

Wie beide Beispiele zeigen, sind Massnahmen für die Sicherung der Siedlungslandschaft teuer. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Siedlungen und Dörfer, sondern auch um den Schutz von Infrastrukturen wie Bahnlinien und Strassen. Aber auch die Leitungen für Strom und Energie sind essenziell, sowohl für den Ort als auch für das Tal und den ganzen Kanton Graubünden. Es lohnt sich also, auf nachhaltige Lösungen zu setzen, die spezifisch für die Bedingungen in den Alpen zugeschnitten sind. Mit seiner Forschung leistet das Institut für Bauen im alpinen Raum einen essenziellen und kontinuierlichen Beitrag.

Massive Flächen werden in Bondo für kommende Murgänge mit ihren riesigen Wassermassen und Schuttmengen zur Verfügung gestellt.

Beitrag von

Prof. Daniel A. Walser, Dozent, Institut für Bauen im alpinen Raum