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Am Anfang steht ein Eingeständnis
Am Anfang steht ein Eingeständnis

Am Anfang steht ein Eingeständnis

Die Sozialen Medien sind voll von persönlichen Leidensgeschichten zu Mobbing, die mit tausenden von Likes empathisch «verstanden» werden. In der Realität ausserhalb von Instagram und Co. ist die Sensibilisierung für Mobbing allerdings noch dürftig. Doch wer und was muss sich ändern? Corin Harzenmoser, Diversity-Beauftragte der FH Graubünden, erörtert das Thema anhand einer konkreten Geschichte.


Text: Corin Harzenmoser, Ralph Kohler / Bild: Shutterstock

Menschen unterhalten sich in den Sozialen Medien viel über Mobbing. Sie reden, empören sich und vergeben Likes, die schnell verblassen. Danach bleibt alles beim Alten. Ist Mobbing «normal» geworden? Es sieht danach aus. Das ist inakzeptabel. Denn mit den Folgen haben die Opfer länger zu kämpfen, als man denkt. Manche ein Leben lang. Zwischen den Zeilen ist häufig zu lesen: «Mobbing gehört eben dazu.» Es wird oft getarnt als Spass oder Teamdynamik. Aber
was genau ist Mobbing? Laut Definition des Bundesgerichts in einem Urteil aus dem Jahr 2011 ist Mobbing ein systematisch feindliches Verhalten wie Ausgrenzung, Schikane und Erniedrigung einer Person durch Einzelne oder eine Gruppe über einen längeren Zeitraum. Dies mit dem Ziel, die Person am Arbeitsplatz zu isolieren, auszugrenzen oder vom Arbeitsplatz zu entfernen. Es geht demnach nicht um einmalige Konflikte oder «anderer Meinung sein». Sondern um gezielte wiederholte Angriffe.

Die Wunden bei Betroffenen werden tief und heilen langsam. Depressionen, Angstzustände oder Schlafstörungen können die Folgen sein. Daraus resultiert ein geringes Selbstwertgefühl – in extremen Fällen Selbstverstümmelung oder Suizid; in allen Alterskategorien.

Das hört sich schrecklich an – da sind wir uns alle einig. Trotzdem wird gemobbt. Fehlt es an Sensibilisierung? Ja, und an mehr: Es bedarf eines strukturellen Umdenkens. Mobbing entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern in Strukturen, die Mobbing begünstigen – sei es durch subjektiv wertende und exkludierende Führung, mangelnde Transparenz oder fehlende Kommunikationswege. Was in solchen Strukturen passieren kann, kennt *Anna – eine Betroffene – nur zu gut.

Zu sensibel? Nein. Eine Alumna erzählt.

Anna ist eine Alumna der FH Graubünden und hat in ihrem Arbeitsleben die düstere Erfahrung von Mobbing durchlebt. Sie habe Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass sie am Arbeitsplatz gemobbt worden sei. «Am Anfang habe ich die Schuld bei mir selber gesucht», erzählt sie. Ein klassisches Verhaltensmuster bei Betroffenen. Sie habe gedacht, sie sei «einfach zu sensibel». Begonnen hatte das Mobbing schon früh. Die Geschäftsleitung habe Anna Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten versprochen, die sie später unter gegensätzlichen Begründungen unter den Teppich gekehrt habe. Auch habe sie Anna häufig ausgeschlossen und zum Sündenbock für Missstände gemacht, für die sie nichts konnte. «Ich geriet ins Visier der Führungsebene, die mich immer herablassender behandelte.» Es kam so weit, dass Kolleginnen und Kollegen anfingen, sie aus Angst vor Konsequenzen zu meiden, wie sie sagt.

Jeder Tag habe Anna mehr Energie gekostet. «Jeder Tag glich einem inneren Kampf – einem Ringen mit Gefühlen, Gedanken und den immer stärker werdenden Selbstzweifeln. Das Vertrauen ins Unternehmen und Kolleginnen und Kollegen zerbrach.» Nach und nach breiteten sich laut Anna Zweifel und Misstrauen auch im Privatleben aus. Aktivitäten, die früher Spass machten, verloren ihren Reiz und Beziehungen zu Freundinnen und Freunden und Familie wurden belastet, weil sie sich aus Angst immer mehr isolierte.

Diesen disruptiven Prozess erleben die Betroffenen oft. Sie ziehen sich zurück, verlieren das Vertrauen und geraten in eine Abwärtsspirale, geprägt von Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit. Was einmal mit Sticheleien angefangen hat, beginnt mit der Zeit das ganze Leben zu ruinieren.

Der Wandel beginnt mit einem Eingeständnis

Der erste Schritt, aus dieser Abwärtsspirale herauszutreten, ist ein Eingeständnis. Es braucht Zeit, bis sich Betroffene eingestehen können, dass sie systematisch gemobbt werden und Hilfe brauchen. So war es auch in Annas Fall. Erst durch externe Hilfe ist ihr klar geworden, dass sie bei dieser Schikane keine Schuld trifft.
Wie ging Annas Geschichte aus? Unbefriedigend. Nach unzähligen Versuchen, Verständnis und Genugtuung von der Geschäftsleitung zu bekommen, half nur noch ihr Rückzug aus dem toxischen Umfeld. Auch mit rechtlicher Unterstützung und ausreichend Beweisen für das systematische Mobbing sei die Einsicht der Geschäftsleitung ausgeblieben. Ihr Leben ist seitdem ein anderes. Sie musste lernen, mit der Depression zu leben. Das Unternehmen hingegen sei sich keiner Schuld bewusst und habe nichts daraus gelernt, so Anna.

Vertrauenswürdige Strukturen aufbauen

Unternehmen tragen Verantwortung. Sie haben – von Gesetzes wegen – eine Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeitenden, die sie ernst nehmen müssen. Anti-Mobbing-Workshops sind gut. Wichtiger aber sind externe Vertrauenspersonen, die ausserhalb der Hierarchie stehen. Diese Stellen müssen niedrigschwellig gut erreichbar sein. Zudem sollten Führungskräfte stark sensibilisiert werden. Sie müssen die Konsequenzen ihres Verhaltens kennen und sie müssen sich verantworten.

Unternehmen, die in Mobbing ein «persönliches » Problem sehen, versagen auf mehreren Ebenen: Mobbing ist ein leiser «Killer» der Motivation des Opfers und des gesamten Arbeitsumfeldes. Die Angst, die nächste Person zu sein, breitet sich wie ein Lauffeuer aus und beeinträchtigt Produktivität, Reputation und Arbeitsmoral. Führungskräfte, die dieses Problem nicht erkennen, handeln eigensinnig und schaden dem Unternehmen.

Ehrliche Berufsperspektiven bieten

In Annas Fall stand am Anfang ein Versprechen. Ihr seien Berufsperspektiven versprochen worden, die nicht verfolgt wurden. Anna wäre es lieber gewesen, die Geschäftsleitung hätte ihr ehrlich gesagt, wo sie stand. Ihre Leistung sei nie kritisiert worden. Und doch habe die Geschäftsleitung ihr Entwicklungschancen verweigert.

Ehrlichkeit und Transparenz gibt den Mitarbeitenden die Möglichkeit, ihre berufliche Situation selbst zu beurteilen. Ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander erfordert eine konsequente ehrliche Haltung aller Beteiligten. Nur so kann eine Umgebung geschaffen werden, in der sich jede Person geschützt und unterstützt fühlt. Respekt, Ehrlichkeit und gegenseitige Anerkennung sind die Grundlage für eine starke Gemeinschaft, die eine starke Marke schafft und gemeinsame
Werte lebt.

Mit Respekt begegnen

Auch Hochschulen sind in der Verantwortung, sich intensiv mit dem Thema Mobbing auseinanderzusetzen. Den Studierenden sind sie verpflichtet, ein sicheres Lernumfeld zu gewährleisten. Gleichzeitig stehen Hochschulen als Arbeitgeber in der Pflicht, ein respektvolles Arbeitsumfeld zu schaffen. Klare Verhaltensrichtlinien und ein offenes System zur Meldung von Vorfällen sind hierfür Voraussetzung.

Die FH Graubünden verfolgt eine strikte Nulltoleranzpolitik gegenüber Mobbing, Diskriminierung und Belästigung. Sie fördert den respektvollen Umgang miteinander und duldet keine Form von psychischer und physischer Belästigung oder Diskriminierung. Die persönliche Integrität aller Hochschulangehörigen hat demnach oberste Priorität. Um den Schutz von Betroffenen zu gewährleisten, wurde in einer Richtlinie definiert, wie Betroffene vorgehen können. Neben der Bereitstellung von Vertrauenspersonen arbeitet die FH Graubünden mit externen Stellen zusammen. Die FH Graubünden ist sich bewusst, dass es eines laufenden Engagements bedarf, um ein respektvolles und inklusives Umfeld für alle zu bieten.

*Name geändert

Information und Beratung

Information und Beratung

Hochschulangehörige, die sich gemobbt, diskriminiert oder sexuell belästigt fühlen, können sich in einem ersten Schritt an die interne Vertrauensperson wenden. Diese berät und informiert über mögliche weitere Vorgehensschritte und steht bei Bedarf unterstützend zur Seite. Die Vertrauensperson untersteht der Schweigepflicht.

Studierende: fhgr.ch/beratung
Mitarbeitende: fhgr.ch/diversity

Beitrag von

Corin Harzenmoser, Leiterin Fachstelle Diversity