Brücken bauen
Das neue Brückenangebot der FH Graubünden erleichtert Geflüchteten den Zugang zu einem Hochschulstudium. Durch gezielte Qualifizierungsmassnahmen sollen die Ressourcen und die Potenziale der betreffenden Personen optimal genutzt und gefördert werden. Mit dem Brückenangebot für Geflüchtete lebt die Fachhochschule ihre Werte – Verantwortung und Nachhaltigkeit – und leistet einen Beitrag für die Gesellschaft.
Text: Andrea Zeller / Bilder: Nicole Massüger, Andrea Zeller
Im Herbst 2023 startete die FH Graubünden ihr neues Brückenangebot. Dessen Koordination erfolgt in enger Zusammenarbeit mit der Fachstelle Integration des Kantons Graubünden und mit Unterstützung des Projekts «Perspektiven – Studium» des Verbands der Schweizer Studierendenschaften, das studieninteressierte Geflüchtete auf dem Weg in ein Studium begleitet und unterstützt. Ziel des Brückenangebots ist es, geflüchtete Personen, die sich für ein Hochschulstudium qualifizieren und ihren Wohnsitz im Kanton Graubünden haben, auf ein Bachelorstudium an der FH Graubünden vorzubereiten. Dadurch sollen sowohl die Ausbildungs- als auch die Arbeitsmarktfähigkeit der betreffenden Personen auf kantonaler und nationaler Ebene spürbar verbessert werden.
Den Teilnehmenden stehen verschiedene Studiengänge zur Auswahl, beispielsweise Computational and Data Science oder Tourismus. Sie besuchen verschiedene Module des gewählten Studiengangs und nehmen auch an einem Deutschkurs teil. Idealerweise absolvieren sie nebenbei ein Praktikum bei einem regionalen Unternehmen. Die individuelle Betreuung erfolgt durch regelmässiges Coaching seitens der Koordinationsstelle der FH Graubünden.
Erfahrungen zweier Teilnehmer
Mehmet Yücel kam vor zwei Jahren aus der Türkei in die Schweiz. Der studierte Soziologe und Lehrer hat im Herbst das Brückenjahr für das Bachelorstudium Tourismus begonnen.
«Als ich vom Brückenangebot für Geflüchtete an der FH Graubünden hörte, erkannte ich darin sofort eine gute Chance für mich und meine Zukunft in der Schweiz. Student an der FH Graubünden sein zu dürfen gibt mir ein gutes Gefühl. Denn hier muss ich keine Angst davor haben, meine Meinung frei zu äussern. Es macht mich glücklich, mich mit meinen Mitstudierenden und Dozierenden über gemeinsame Themen auszutauschen. Zudem gefällt mir die Atmosphäre an der Fachhochschule – sie erinnert mich an meine Zeit als Philosophielehrer an einem Gymnasium in der Türkei. Ich liebe meine Arbeit als Lehrer und vermisse sie sehr.
Deutsch habe ich mir bisher selbst beigebracht. Dass ich nun im Rahmen des Brückenangebots einen Deutschkurs besuchen kann, weiss ich sehr zu schätzen. Ich arbeite hart daran, meine Deutschkenntnisse in diesem Jahr deutlich zu verbessern. Denn Sprache ist der Schlüssel zu den Menschen und zur Integration. In der Vergangenheit habe ich bereits zwei Gedichtbände und einen Roman veröffentlicht. Derzeit schreibe ich an einem Roman zum Thema Klimawandel. Um mich weiterhin meiner Leidenschaft, dem Schreiben, widmen zu können, engagiere ich mich zudem beim Verein Weiter Schreiben Schweiz. Ich weiss noch nicht, ob ich nach dem Brückenjahr ins reguläre Tourismusstudium übertrete. Mein grösster Traum wäre es, als Lehrer in der Schweiz zu arbeiten.»
Tuncay Gülek ist studierter Wirtschaftsingenieur und kam vor zwei Jahren mit seiner Familie aus der Türkei in die Schweiz. Seither versucht er eine Anstellung im Wirtschaftsingenieurwesen zu finden. Im Herbst begann für ihn das Brückenjahr im Studiengang Computational and Data Science.
«Angesichts der fehlenden Anerkennung meines Studiums in der Schweiz erkannte ich im Brückenangebot der FH Graubünden eine hervorragende Gelegenheit, meinem Berufsziel näher zu kommen. Wegen meines Hintergrunds und meiner Interessen entschied ich mich für den Studiengang Computational and Data Science. Der Start des Brückenangebots war für mich nicht ganz einfach, da fast alles neu für mich war. Herausfordernd sind insbesondere Vorlesungen, in denen viel gesprochen wird: Da muss ich mir viele Notizen machen. Daher investiere ich viel Zeit in die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts. Inzwischen finde ich mich im Studium schon besser zurecht; durch meine verbesserten Deutschkenntnisse komme ich auch besser im Unterricht mit. Der wöchentliche Deutschkurs ist für mich ein wichtiger Bestandteil des Brückenangebots. Nach Abschluss dieses Brückenjahrs beabsichtige ich, in das reguläre Studium überzutreten und meinen Abschluss in Computational and Data Science zu erlangen. Anschliessend strebe ich eine Tätigkeit als Data Scientist oder Programmierer an, da dies meine Leidenschaft ist und ich mich stundenlang dem Programmieren widmen kann. Der Weg bis zum Abschluss wird noch lang und anspruchsvoll sein. Dennoch sind meine Familie und ich entschlossen, uns in unserer neuen Heimat eine Zukunft aufzubauen, und diese Entschlossenheit motiviert mich täglich, mein Bestes zu geben.»
Chancengerechtigkeit und Integration über den Bildungsweg
Um die Chancengerechtigkeit beim Hochschulzugang zu gewährleisten, müssen qualifizierte Geflüchtete in ihrem Bestreben, ein Studium an der FH Graubünden aufzunehmen, mit Vorbereitungs- und Fördermassnahmen gezielt unterstützt werden. Dazu braucht es Angebote wie das Brückenangebot, welches es ihnen ermöglicht, sich über ein Studium ihrem Potenzial entsprechend zu bilden und als qualifizierte Fachkräfte zu arbeiten.
Diese Integrationsmöglichkeit über den tertiären Bildungsweg ist auch in den Fokus der Integrationsverantwortlichen des Kantons Graubünden gerückt: Das Brückenangebot der FH Graubünden ist offizieller Teil des kantonalen Integrationsprogramms für die Jahre 2024–2027. Durch gezielte Qualifizierungsmassnahmen die Ressourcen und Potenziale optimal zu nutzen, so lautet einer der Leitgedanken, mit denen die Jobcoaches der Fachstelle Integration die berufliche Integration von geflüchteten Menschen begleiten. «Das Brückenangebot der FH Graubünden bietet gut qualifizierten Geflüchteten eine tolle Möglichkeit, einen Einstieg in Berufsfelder zu finden, in denen sich der Fachkräftemangel bereits deutlich spürbar macht», sagt Felix Birchler, Leiter Fachstelle Integration beim Amt für Migration und Zivilrecht Graubünden.