«New Work» – neues Potenzial für den Tourismus in Graubünden?
Begriffe wie Workation, Coworking oder Retreat haben im Zusammenhang mit der kontinuierlichen Weiterentwicklung von «New Work» vermehrt Einzug in die Angebotsbeschreibungen der touristischen Dienstleister gehalten. Nun gilt es, nicht nur die Unklarheiten in Bezug auf die Abgrenzung dieser neuartigen Konzepte und die Verwendung dieser Begrifflichkeiten zu klären, sondern auch das touristische Potenzial, das sich aus «New Work» ergeben könnte.
Text: Lena Pescia, Frieder Voll, Onna Rageth / Bild: Graubünden Ferien / Grafik: FH Graubünden
Um diese Wissenslücken für Graubünden zu schliessen, hat das Institut für Tourismus und Freizeit der Fachhochschule Graubünden im Auftrag des Amts für Wirtschaft und Tourismus Graubünden eine Grundlagenstudie zum Thema «New Work: touristisches Potenzial für Graubünden» durchgeführt.
Die Ziele der auf Desk-Research und Experten-Interviews basierenden Studie waren folgende:
- Die Strukturierung der unterschiedlichen Erscheinungsformen von New Work im touristischen Angebot
- Die qualitative Abschätzung des touristischen Potenzials von New Work für Graubünden
- Die Ableitung des Handlungsbedarfs für touristische Akteure zur Potenzialerschliessung durch New Work für Graubünden
Grösstes Potenzial bei «Workation light»
«Retreats» (Nr. 1 in der Abbildung), welche sich auf Teamanlässe von Unternehmen spezialisieren, stellen lediglich für einzelne Leistungsträger ein touristisches Potenzial dar. Im Zentrum des touristischen Potenzials für Graubünden stehen vielmehr die Workation-Angebote (Nr. 2 und 3). Die diesbezügliche Analyse hat zwei verschiedene Angebotsformen näher beleuchtet: Eine «Workation real» (Nr. 3 in der Abbildung) spricht Gäste an, die zum Arbeiten in eine touristische Destination kommen und sich dort über einen gewissen Zeitraum aufhalten. Bei diesem Angebot liegt der Fokus auf der Arbeit. Diese Gästegruppe ist jedoch in Graubünden bisher kaum vertreten. Ein Potenzial besteht vielmehr bei der «Workation light» (Nr. 2 in der Abbildung). Der Fokus dieser Gästegruppe liegt auf den Ferien – der Arbeit wird während des Aufenthalts nur nebenbei nachgegangen. Fast alle Workation-Gäste in den untersuchten Bündner Destinationen lassen sich aktuell dieser Gruppe zuordnen. Zweitheimische mit ähnlichen Bedürfnissen können ebenfalls Workation-light-Gäste sein. Solche Gäste weisen durch ihre verlängerten Aufenthalte und den hohen Freizeitanteil das höchste touristische Wertschöpfungspotenzial auf, nicht zuletzt aufgrund des potenziellen Konsums von (touristischen) Leistungen vor Ort. Zudem kann «Workation light» eine zusätzliche Auslastung der touristischen Betriebe in Randzeiten bzw. während der Nebensaison ermöglichen.
Neue New-Work-Infrastrukturen – bspw. (Co-)Working-Spaces – sollten gleichzeitig unterschiedliche Segmente ansprechen, damit sie wirtschaftlich rentieren. Dabei muss die Bedürfnisdiversität berücksichtigt und bedient werden – gegebenenfalls über Kooperationen auf Destinationsebene. Zudem ist darauf zu achten, dass die Angebotskommunikation der Realität von Angebot und Nachfrage entspricht. Das kann herausfordernd sein, da viele Gäste zwar Workation-light-Angebote nachfragen, sich selbst jedoch aufgrund des sozialen «Prestiges» (z. B. indem sie Fotos aus ihren «Arbeitsferien» in den sozialen Medien posten) als Workation-real-Gäste («Digital Nomads») wahrnehmen.
Nicht unbedingt mehr Gäste, aber längere Aufenthalte
Zusammenfassend haben die Ergebnisse aufgezeigt, dass für Graubünden grundsätzlich ein touristisches Potenzial durch New-Work-Angebote besteht. Dieses Potenzial besteht jedoch nicht unbedingt beim Volumen der zusätzlich zu erwartenden Gäste, sondern hauptsächlich hinsichtlich deren Aufenthaltsdauer. Die New-Work-Gäste, die ein touristisches Potenzial aufweisen, zeichnen sich ausserdem dadurch aus, dass ihr Reisemotiv eher auf dem Ferien- und Freizeitaspekt – und nur «nebenbei» auf dem Arbeitsaspekt – basiert (Workation-light-Gäste). Durch die Aufenthaltsverlängerung dieser Gästegruppe können im Tourismus- und Freizeitbereich zusätzliche wirtschaftliche Einnahmen im Kanton generiert werden, die ohne «Workation light» sonst in den Quellregionen der Gäste erzielt würden.
Die Handlungsempfehlungen zur Erschliessung dieses Potenzials in Graubünden beziehen sich auf die Professionalisierung des Angebots, die interne und externe Produktkommunikation, die Angebotsinfrastruktur sowie künftige Kooperationen innerhalb der Destinationen (siehe Abbildung 2).
Aktuell ist das Professionalisierungsniveau der Anbieter sehr unterschiedlich. Um dieses Niveau zu steigern, benötigen sie spezifisches Know-how, das es ihnen ermöglicht, solche Gästegruppen und ihre Bedürfnisdiversität zu verstehen, die Gäste «richtig» anzusprechen und die benötigte Infrastruktur für sie bereitzustellen. Dies ist vor allem die Aufgabe der Leistungsträger und Destinationen. Aber auch Branchenverbände wie etwa HotellerieSuisse können hier einen wichtigen Beitrag leisten.
Die touristischen Dienstleister müssen hochwertige Infrastrukturen – z. B. (Co-)Working-Spaces und Unterkünfte – sowie Services anbieten. Es empfiehlt sich, dies insbesondere über Kooperationen innerhalb der Destination anzustreben und umzusetzen, wofür es unter anderem einer guten Koordination bedarf. Daher adressiert diese Empfehlung die Leistungsträger und die Destinationsebene.
Aufgrund der Bedürfnisdiversität, der teils kleinen Zielgruppenvolumen und der peripheren Lage ist es wirtschaftlich sinnvoll, unterschiedliche Segmente gleichzeitig zu bedienen. Eine gemeinsame Strategie auf Destinationsebene hilft zusätzlich, ein aufeinander abgestimmtes und damit für Gäste attraktives Angebot bereitzustellen. Ziel sollte es sein, auf Destinationsebene lieber nur einen – und dafür einen professionellen und rentablen – Space zu haben, der mehrere Segmente abdeckt, als eine Vielzahl von Kleinstangeboten. Diese Empfehlung richtet sich deshalb sowohl an die Leistungsträger als auch an die Destinationen.
Das Thema ist zudem stark erklärungsbedürftig und es gibt weder auf Gäste- noch auf Anbieterseite ein einheitliches Verständnis von «New-Work-Angeboten». Dieses Verständnis kann kantonal – etwa über Graubünden Ferien und die Destinationen – koordiniert verbessert werden. Dies unterstützt die Leistungsträger, ihre Angebote einheitlicher (und damit für die Gäste klarer) zu kommunizieren. Ein «Story-Telling» mit unterschiedlichen Personas hilft hier sowohl nach innen (Anbieter, Destinationen) als auch nach aussen (Gäste).
Die Dynamik im Bereich New Work ist sehr gross, was einen entsprechend grossen Einfluss auf die Gestaltung touristischer Angebote für solche Gästegruppen hat (und weiterhin haben wird). Die vorliegende Studie kann lediglich als Momentaufnahme verstanden werden. So gilt es, die Entwicklungen weiter zu verfolgen und die Angebotsgestaltung und -umsetzung stetig an die gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Download der Grundlagenstudie
Beitrag von
Dr. Lena Pescia, Dozentin für Tourismusmanagement, Institut für Tourismus und Freizeit
Dr. Frieder Voll, Wissenschaftlicher Projektleiter, Institut für Tourismus und Freizeit
Onna Rageth, Wissenschaftliche Projektleiterin, Institut für Tourismus und Freizeit