3-D-Dialoge im Graubünden-Pavillon an der OLMA
Im Begegnungsraum der Fachhochschule Graubünden an der diesjährigen OLMA lauschten rund 50 000 Besucherinnen und Besucher einem persönlichen Gespräch zwischen vier Bündner Persönlichkeiten. Die aus dem Kino bekannte 3-D-Technologie simulierte bei diesem angewandten Forschungsprojekt reale Begegnungen im Raum.
Text: Petra Hasler / Bilder: FH Graubünden, Daniel Huber
Es ist dunkel, Menschen treten ein und verstummen. Selbst Kinder sind ganz still. Ein Mädchen greift staunend nach einem Fuss, versucht, ihn zu fassen. Vergebens. Das Kind dreht sich um und blickt durch seine schwarzumrandete Brille fragend zu Papa hoch. Doch dieser beachtet es nicht. Er lauscht gebannt einem Gespräch, an dem er nicht teilnimmt und bei dem er doch «mittendrin» ist. Zusammen mit anderen Menschen, die alle durch schwarzumrandete Brillen zur Musikerin Marie Louise Werth schauen und dann, wie ein Vogelschwarm, gemeinsam die Richtung wechseln. Plötzlich ertönt der helle und rhythmische Klang eines Ping-Pong-Balls. Der Bündner Schriftsteller Arno Camenisch spielt mit dem Ball und erzählt, wie er sich für seine Auftritte aufwärmt. Plötzlich schlägt er den Ball in die Raummitte. Die Menschen zucken überrascht zusammen. Arno lacht und fragt: «Het öpper dr Ball gseh?»
Illustre Gesprächsrunde
Der dunkle Raum war vom 13. bis 23. Oktober 2022 Teil des Gastauftritts des Kantons Graubünden an der OLMA in St.Gallen und wurde vom Institut für Multimedia Production der FH Graubünden realisiert. Rund 50 000 Besucherinnen und Besucher lauschten dem Gespräch von vier Bündner Persönlichkeiten, die sich in Form von 3-D-Projektionen miteinander unterhielten. Das Publikum befand sich mittendrin und genoss das virtuelle Erlebnis auf Augenhöhe. Nebst dem Schriftsteller Arno Camenisch und der Sängerin Marie Louise Werth waren auch Marc Berthod, Ex-Skirennfahrer und aktueller SRF-Experte Ski Alpin, sowie Schauspielerin Tonia Maria Zindel virtuell zu Gast. Sie unterhielten sich über Kindheitserinnerungen, erzählten von ihren aktuellen Projekten und philosophierten über sinnvolle Regeln für die Menschheit. Und wie es sich in geselliger Runde gehört, erzählten sie sich auch ein paar makabre Witze.
Massentaugliches 3-D-Erlebnis
Die Idee dieser persönlich-virtuellen Begegnung stammt vom Dozenten für Extended Reality Reto Spoerri. Er hegte schon lange den Plan, die aus dem Kino bekannte 3-D-Technologie mit einem Raumerlebnis zu verknüpfen, wobei das Publikum nicht nur eine Leinwand betrachtet, sondern sich im Raum orientieren und der sprechenden Person zuwenden muss. Die OLMA bot dafür die perfekte Kulisse. Doch die Umsetzung war herausfordernd. Zwar wäre es mit hoch entwickelten 3-D- oder VR-Brillen kein Problem gewesen, die gewünschte Wirkung zu erzielen. Die Schwierigkeit bestand darin, das angestrebte Erlebnis mit einfachen 3-D-Brillen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Zu diesem Zweck hat Reto Spoerri speziell reflektierende Leinwände beschafft und zusammen mit dem Multimedia Producer und Audioengineer Marcel Näf experimentiert, um einen realitätsnahen 3-D-Effekt zu erzeugen. Auch die Beschaffung der Infrastruktur war eine Knacknuss. Schliesslich fand er die Leinwände in Kanada und die Videoplayer in Australien. Die Polarizer und die 3-D-Brillen kamen aus China. Die Videokamera mit zwei Linsen für dreidimensionale Videoaufnahmen konnte er direkt «ab Presse» in Deutschland ergattern, bevor sie nach wenigen Wochen bereits ausverkauft war.
Knifflige Ausgangssituation
Aufgrund der Dreidimensionalität wäre es nur mit enormem technischem Aufwand und hohen Kosten möglich gewesen, ein Gespräch mit vier Personen zu filmen. Es galt also, für jede Person einzeln eine reale Gesprächssituation zu schaffen. Die Protagonistinnen und Protagonisten wussten vor Beginn der Dreharbeiten nicht, welche Fragen ihnen gestellt werden würden. Petra Hasler, Dozentin für literarisches Schreiben, versuchte vor den Drehs, die Aussagen zu antizipieren, um das Gespräch im Fluss zu halten und möglichst natürlich wirken zu lassen. Aufgrund der spontanen Antworten musste sie das Drehbuch nach jedem Dreh adaptieren. Die eher sterile Situation vor Ort war auch für die vier Persönlichkeiten anspruchsvoll. Doch sie meisterten ihre Aufgabe gekonnt. Es war gerade das experimentelle Setting, das ihre Neugier geweckt hatte. Alle waren Feuer und Flamme für das Projekt und liessen sich begeistert auf das Abenteuer ein. Diese Freude war beim 3-D-Erlebnis an der OLMA spürbar.
Zufrieden und auch ein bisschen stolz beobachten Reto Spoerri, Petra Hasler und Marcel Näf die Menschen mit den schwarzumrandeten Brillen, die alle gebannt in dieselbe Richtung schauen und dem angeregten Gespräch der Bündner Persönlichkeiten lauschen. Während der Entwicklungsphase hatten sie sich ausgemalt, wie das 3-D-Erlebnis wohl sein würde. Doch es kam noch besser: «Das Resultat und das Interesse des Publikums übertreffen unsere hohen Erwartungen sogar noch», sagt Projektleiter Reto Spoerri mit einem Lächeln.
Die Gesprächsteilnehmenden im Erlebnisraum der FHGR an der OLMA 2022
- Marie Louise Werth, Sängerin und Profi-Musikerin, erreichte im Jahr 1989 mit ihrer Gruppe «Furbaz» und dem Lied «Viver senza tei» – einem rätoromanischen Song – am Eurovision Song Contest den 13. Platz. Im Dezember 2022 ist sie mit ihrer Band auf CH-Weihnachtstour und 2023 erscheint ihr neuestes Album.
- Marc Berthod, Ex-Skirennfahrer und zweifacher Bronzemedaillengewinner an den Ski-Weltmeisterschaften, kommentiert heute als SRF-Experte Ski Alpin die Weltcuprennen und ist sportlicher Leiter am Sportgymnasium Davos.
- Tonia Maria Zindel, Schauspielerin, ist aus der TV-Serie «Lüthi und Blanc» sowie Spielfilmen wie «Schellen-Ursli» oder «Amur senza fin» bekannt.
- Arno Camenisch, Bestsellerautor, schreibt Romane sowie Gedichte und Prosa für die Bühne und ist aktuell mit dem neuen Roman «Die Welt» auf Tournee.
360°-Video des OLMA-Begegnungsraumes
Das Video simuliert das Erlebnis im Raum, aber ohne 3-D-Tiefenwahrnehmung. Für ein 3-D-Erlebnis benötigen Sie eine VR-Brille (z. B. Oculus Quest) oder eine Google Cardboard und ein Smartphone. Link zum 3-D-Video
Beitrag von
Petra Hasler, Dozentin, Institut für Multimedia Production