Vom Planlesekurs für spanische Bauarbeiter zum Studienleiter
Schon als Kind besuchte Plácido Pérez mit seinem Vater spannende Bauwerke in der Schweiz und in Südspanien und lernte die Faszination von Tragwerken kennen. Dass auch sein Weg über den Bauzeichner zum Bauingenieur führen würde, war schnell klar. Heute ist der 55-Jährige Studienleiter des Bachelorstudiums Bauingenieurwesen an der Fachhochschule Graubünden und leidenschaftlicher Dozent.
Text: Luzia Schmid / Bilder: Lorena Sonder, Plácido Pérez
Die spanischen Wurzeln und das Temperament erahnt man sofort, wenn Plácido Pérez von seiner Vergangenheit erzählt. Seine Augen strahlen und er kommt ins Sinnieren. Schon früh wurde er von seinem Vater in die Kunst des Bauingenieurwesens eingeführt. Dieser hatte in Granada, Südspanien, in einem Ingenieurbüro für ein Elektrizitätswerk gearbeitet, bevor ihn ein Schweizer Bauingenieur 1962 nach Graubünden holte, um hier Projekte zu entwickeln und auszuführen. Dem vier Jahre später zur Welt gekommenen Sohn zeigte der Vater immer wieder, was er in der Sierra Nevada und in Graubünden alles mitgebaut hatte. «Diese raumbildenden Tragwerke hatten es mir angetan», sagt Pérez.
Den Wandel miterlebt
Und so übertrug sich sehr rasch auch die Leidenschaft des Vaters auf den Sohn. «Ich spürte, wie mein Vater sich mit den Bauwerken identifizierte, eine Verbindung zu ihnen hatte», sagt Pérez. Rasch war dann auch klar, dass der Sohn nach der Sekundarschule eine Lehre als Bauzeichner absolvieren wollte. Parallel zur Lehre bei der Rätia AG, einem Ingenieurbüro in Chur, besuchte Pérez die Berufsmittelschule – eine Möglichkeit, die es damals erst seit Kurzem gab und die ihm die Gelegenheit bot, danach ein Studium als Bauingenieur HTL zu absolvieren. Nach seinem Abschluss im Jahr 1992 haben sich die Wege von Pérez und der heutigen Fachhochschule Graubünden eigentlich nie mehr getrennt. Der Bauingenieur hat die Entwicklung der Bündner Hochschule fast 30 Jahre lang miterlebt. «Heute freuen wir uns auf das neue Fachhochschulzentrum – damals gab es noch nicht einmal das Hauptgebäude. Wir hatten in verschiedenen Gebäuden Unterricht, mussten am Abend studieren und tagsüber arbeiten.» Pérez hat aber auch den inhaltlichen Wandel miterlebt. «Wir mussten noch richtig zeichnen – von Hand – und uns überlegen, ob das, was wir skizzieren, auch wirklich umsetzbar ist.» Vorausschauendes Denken und mathematische Fähigkeiten seien sehr wichtig gewesen. Heute sind viele Arbeitsschritte durch den Computer abgelöst worden.
Bauwerke, die die Menschen ein Leben lang begleiten
An seinem Beruf faszinieren den Bauingenieur vor allem auch die Materialien und deren Eigenschaften – Stahl, Beton, Mauerwerk und Holz sind Dinge, die sich nicht ständig verändern. «Es gibt doch nichts Schöneres als die Erfahrungen, die andere zum Teil vor tausenden von Jahren gemacht haben, weiterzuentwickeln und sie neu umzusetzen.» Jedes Bauwerk sei zudem ein Unikat, hinter dem eine grosse intellektuelle Leistung stecke und das die Menschen ein Leben lang begleite. Als eines seiner wichtigsten und spannendsten Projekte bezeichnet Pérez den Bau des Ateliers von Peter Zumthor in Haldenstein. Die Zusammenarbeit mit dem Architekten sei ein sehr interessanter und befruchtender Prozess gewesen. Die gemeinsamen Entwicklungsschritte, die bei einer solchen Zusammenarbeit entstünden, seien fantastisch: «Am Schluss stehst du vor dem vollendeten Projekt und bist stolz.»
Als Bauingenieur habe man die Möglichkeit, der heute sehr normierten Welt auch mal ein Schnippchen zu schlagen. So erzählt Pérez, was es beispielsweise ausmachen kann, wenn man etwas einfach drei Prozent grösser oder kleiner plane und gestalte als gewohnt: «Die Wirkung ist sofort eine andere.» Dieses Kreative und Spielerische gefällt Pérez auch so sehr an seiner Arbeit. Als weiteres Beispiel erwähnt er einen Kindergarten, den sein Büro extra mit Arvenholz gebaut hatte – wegen des Geruchs. «Wir wollten, dass die Eltern riechen, in was für einer Welt sich die Kinder aufhalten.»
Als Junior-Dozent bei den Bauarbeitern
Nebst dem Bauen war die zweite grosse Leidenschaft von Pérez schon in jungen Jahren das Unterrichten: Mit 18 Jahren begann er, Freunde und Verwandte in deutscher Sprache zu unterrichten. Kurz darauf organisierte die Gewerkschaft Bau und Holz in Zürich und Luzern Kurse für ausländische Bauarbeiter, in denen sie lernten, Pläne zu lesen. Das Skript dazu verfasste der Vater von Plácido Pérez zusammen mit einem Kollegen. «Als die Bauarbeiter den Unterricht aufnahmen, durfte ich quasi als Junior-Dozent jeweils mit», erzählt der heutige Studienleiter.
Das Unterrichten liess ihn fortan nicht mehr los. Seit dem Jahr 2000 ist Pérez als Lehrbeauftragter und Dozent in verschiedenen Fächern an der FH Graubünden tätig. Den Aufbau des neuen Bachelorstudiums Bauingenieurwesen hat er in den vergangenen vier Jahren massgeblich mitgeprägt. Vor einigen Jahren gab es die Vorgabe, dass Bauingenieurwesen und Architektur nur von der FH Graubünden angeboten werden durften, wenn die Hälfte des Unterrichts in Form von gemeinsamen Veranstaltungen stattfand. «Das machte wenig Sinn. Die Inhalte sind teilweise zu weit voneinander entfernt», sagt der Bauingenieur. Später konnte man Architektur nur noch als Vertiefung im Rahmen des Studiums Bauingenieurwesen studieren. «Es war immer eine Gratwanderung.» 2017 startete ein Pilotversuch mit einem eigenständigen Studium Bauingenieurwesen – seit Herbst 2020 ist dieses Bachelorangebot jetzt eigenständig. Die Entwicklung dieses Angebots hat den Studienleiter fasziniert. «Heute haben wir mit den Bereichen «Naturgefahren» und «Erhaltung von Bauwerken» zwei Schwerpunkte, die schweizweit einzigartig sind.» Das Grundstudium absolvieren alle miteinander; danach haben die Studierenden die Möglichkeit, sich entweder im «konstruktiven Ingenieurbau» oder im Bereich «Naturgefahren und alpine Infrastrukturbauten» zu spezialisieren.
In Plácido Pérez Brust schlagen nach wie vor zwei Herzen: «Ich freue mich darauf, den Studiengang weiterzuentwickeln – und gleichzeitig bin in Bauingenieur aus Leidenschaft.» Ob man auf einer Strasse oder über eine Brücke fahre, in einem Gebäude sitze oder durch einen Tunnel rolle, immer stecke ein Bauingenieur dahinter.
Beitrag von
Luzia Schmid, Redaktionsleiterin und Projektleiterin Hochschulkommunikation