Als Mutter einer erfüllenden Tätigkeit nachgehen
Thuc Lan Tran ist Programmleiterin des Joint Program Tourism der FH Graubünden mit der SUES (Shanghai University of Engineering Science) und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Tourismus und Freizeit. Sie erzählt, wie sie Familie und Beruf unter den sprichwörtlich «einen Hut» bringt.
Text und Bilder: Thuc Lan Tran
Das Wichtigste ist … viel Glück
«Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf» hat eine ganze Menge mit Passgenauigkeit zu tun – die persönlichen Rahmenbedingungen, verständnisvolle Vorgesetzte und eine Arbeitgeberin, die die Voraussetzungen dafür schafft, gehören dazu. Denn nach wie vor ist sie, die viel gelobte und viel zitierte «Vereinbarkeit», ein Privileg von ziemlich wenigen …
Was bedeutet sie für mich? Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht es mir, dass ich mit gutem Gewissen zur Arbeit gehen, eine sinnvolle und mich erfüllende Tätigkeit ausüben und Qualitätszeit mit meiner Familie verbringen kann – ohne dass es in Stress ausartet, wenn mal etwas «aus der Reihe tanzt».
Ich arbeite sehr gerne. Die Vielfalt meiner Tätigkeit, die zahlreichen Möglichkeiten mich einzubringen und die Arbeit mit den Studierenden begeistern mich. Obwohl ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Programmleiterin einer internationalen Kooperation fast Vollzeit arbeite (80 %-Pensum) und von St. Gallen nach Chur pendle, habe ich von Anfang an – schon lange vor Corona – teilweise von zuhause aus gearbeitet. Dieses Zugeständnis von Seiten der Fachhochschule hat mich sehr bestärkt.
Am Institut für Tourismus und Freizeit bin ich für den reibungslosen Ablauf der Kooperation zwischen den beiden Universitäten verantwortlich, betreue die chinesischen Studierenden, die bei uns ihren Bachelor absolvieren, und bin ihre erste Ansprechperson für alle akademischen Belange. In normalen Jahren fliege ich mindestens einmal nach China, um mit der Institutsleitung an der SUES Zertifikate zu verleihen, Gespräche zu führen und neue Absprachen in die Wege zu leiten. Darüber hinaus bin ich auch in der Lehre tätig und leite unterschiedliche, sehr spannende Dienstleistungs- und Forschungsprojekte, wie etwa momentan ein Gemeinschaftsprojekt mit Graubünden Ferien und der Fachhochschule Nordwestschweiz – ich kann mich kaum an einen Tag erinnern, an dem ich ungern zur Arbeit gegangen wäre.
Vereinbarkeit – ein Privileg
Ich bin gleichzeitig auch begeisterte Mutter von zwei Söhnen: Der ältere geht in die erste Klasse und der jüngere besucht das zweite Kindergartenjahr. Kinder sind fantastisch, sie haben verrückte Ideen, Energien im Überfluss, zanken ständig und lachen eine Sekunde später. Klar, es ist nicht immer «Wolke sieben» und die rosarote Brille habe ich abgelegt, als der Schlafmangel chronisch wurde. Aber die Familie ist es wert und ich bin mehr als froh, dass ich die nötige Unterstützung habe – durch meinen Mann, durch unsere Familien, die von fern anreisen, um da zu sein, wenn ich mal fort bin, und natürlich durch eine flexible Kinderbetreuung in der Kita und im Hort. Die erweiterte Familie, unsere Freunde und Nachbarn – sie sind Teil dieser Rahmenbedingungen, die das Ganze zum Laufen bringen.
Dank meiner persönlichen Situation kann ich Familie und Beruf miteinander vereinen – aber für sehr viele berufstätige Mütter sieht es im Allgemeinen düster aus:
In der Erhebung zu Familien und Generationen des Bundesamts für Statistik (2019) steht, dass
- 75 % der Frauen mit Tertiärabschluss der Meinung sind, die Geburt eines Kindes würde sich negativ auf ihre berufliche Karriere auswirken, und
- bei knapp sieben von zehn Paaren im Alter von 25 bis 54 Jahren mit Kindern (69 %) die Hausarbeit hauptsächlich von der Frau erledigt wird.
Es ist also noch längst nicht Normalität, dass Frauen – denn meistens sind es immer noch sie, an denen Kinderbetreuung, Haushalt und die Care-Arbeit hängen bleiben – ihrem erlernten Beruf nachgehen können. Sie hadern oftmals mit dem Mental Load und dem tradierten Frauenbild, das nach wie vor in der Gesellschaft vorherrscht. Meiner Meinung nach steht am Anfang ein Arbeitgeber bzw. eine Arbeitgeberin, der/die offen für individuelle Arbeitsformen und flexibel in puncto Arbeitszeit und -ort ist. Gerade an der Hochschule können solche Voraussetzungen geschaffen werden, wie etwa die Infrastruktur fürs Homeoffice – was uns in Zeiten wie diesen sehr zugute kommt. Corona ist ein Augenöffner in vielfacher Hinsicht. Lange Präsenzzeiten scheinen doch nicht ausschlaggebend für Leistung und Output zu sein.
Homeoffice und Homeschooling vertragen sich nicht
Die Coronapandemie ist nach wie vor ein einschlagendes Ereignis mit bis heute nicht fassbaren Auswirkungen. Für die, die das Privileg haben, zuhause im Homeoffice arbeiten zu können, kam während des Lockdowns, als die Schulen schliessen mussten, noch Homeschooling dazu. Die Karten wurden neu gemischt …
Denn eines ist sicher: Homeoffice und Homeschooling vertragen sich nicht – eines davon wird immer vernachlässigt. Ich selbst musste mich zwar nicht mit Homeschooling auseinandersetzen, dafür sind unsere Kinder noch zu klein. Doch bereits, als sie «nur» zuhause spielten, war konzentriertes Arbeiten nur bedingt möglich. Bei uns sah es damals ganz ähnlich aus wie auf den unzähligen Fotos, die in den sozialen Medien kursierten: Ein mit Spielzeug übersätes Zimmer, in welchem eine Mutter oder ein Vater vor dem Bügeltisch sass, um an einer Videokonferenz teilzunehmen. Die Herausforderung: sich anzupassen, neu zu orientieren und einen Freiraum zu suchen. In meinem Fall bestand die kreative Lösung darin, meine Arbeitszeiten in die frühen Morgen- oder späten Abendstunden zu verlegen und mich mit meinem Mann bei der Kinderbetreuung und -bespassung abzuwechseln.
Man kann und muss es nicht allen recht machen: Während über den zuhause bleibenden Müttern und Vätern das Damoklesschwert fehlender Pensionskassenbeiträge schwebt, müssen arbeitende Mütter – denn der Vater hat nach wie vor die Ernährerrolle inne – sich oft anhören, dass Kinder (v. a. im Vorschulalter) leiden, wenn ihre Mütter ausser Haus tätig sind. Wie man sein Familienleben lebt und gestaltet, dazu haben viele eine dezidierte Meinung. Schlussendlich bedeutet die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ... nun ja, auf jeden Fall für jede Einzelne und für jede Familie etwas anderes.
Ich freue mich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für mich kein leeres Versprechen ist – aber die Entscheidung «für oder gegen den Beruf» bzw. «für oder gegen die Familie» muss jedermann bzw. «jedefrau» für sich selbst treffen.