«Wir glauben an die enge Zusammenarbeit zwischen Bildungsstätten und Industrie»
Die EMS-CHEMIE und die Fachhochschule Graubünden verbindet eine lange Geschichte. Ohne das Bündner Unternehmen stünde die Bildungsstätte nicht dort, wo sie heute steht. EMS-Chefin Magdalena Martullo-Blocher setzt auch in Zukunft auf einen gemeinsamen Weg.
Interview: Luzia Schmid / Bild: EMS
Frau Martullo-Blocher, die FH Graubünden und die EMS-CHEMIE verbindet eine lange Tradition. Die damaligen «Emser Werke» waren 1964 federführend beim Aufbau des Abendtechnikums Chur. Sie engagierten sich nicht nur mit Geld, sondern stellten auch Dozierende und Räume zur Verfügung. Was steckt hinter dieser langjährigen gemeinsamen Geschichte?
Die EMS brauchte bereits in den 60er-Jahren Ingenieure. Im Rheintal gab es keine und den Unterländern war Domat/Ems zu abgelegen. Es war schwierig, Ingenieure zum Umzug nach Domat/Ems zu bewegen. So entschied sich die EMS, ein eigenes Abendtechnikum in Chur auf die Beine zu stellen. Die Studierenden arbeiteten tagsüber bei der EMS und wurden am Abend von eigenen Spezialistinnen und Spezialisten ausgebildet. Dank der attraktiven Kombination von Arbeit und Ausbildung zog man auch junge Leute aus dem Unterland an, die später bei der Firma blieben. Bei der Gründung der Fachhochschule stellte die EMS einen finanziellen Beitrag von 100 000 Franken sowie komplett ausgerüstete Labors zur Verfügung. Die Dozierenden in Technik, Chemie, Verfahrenstechnik und Maschinenbau stellte die EMS zu Beginn noch selbst. Noch heute unterrichten Dozierende der EMS an der FH Graubünden.Auch im Hochschulrat war ein «EMSer» dabei.
Seit dieser ersten Zusammenarbeit hat sich vieles verändert. Aus dem Abendtechnikum wurde eine offizielle Fachhochschule und die EMS-CHEMIE zu einer der grössten Arbeitgeberinnen und Ausbildnerinnen für Lernende in Graubünden. Wo gibt es heute noch Berührungspunkte?
Wir glauben an die enge Zusammenarbeit von Bildungsstätten und Industrie. So besuchen etwa die Photonicsstudierenden der FH Graubünden den Werkplatz Domat/Ems. Mit einzelnen Forschungsgruppen stehen wir im direkten Austausch, beispielsweise mit dem Photonics Lab für optische Messmethoden. Auch für unser Bündner Science-Center, das EMSORAMA, hat die FH Graubünden gemeinsam mit der EMS ein beliebtes Experiment, das Hologramm, entwickelt. Leider setzte die FH Graubünden zwischenzeitlich auf weniger Technik, sodass wir uns vermehrt auf andere Fachhochschulen wie Buchs oder Rapperswil abstützen mussten. In Rapperswil haben wir einen Lehrgang «Kunststofftechnologie» eingeführt. Auch dort engagieren wir uns in den Gremien.
Wie sehen Sie als Chefin der EMS-CHEMIE die Bedeutung der FH Graubünden für die Region? Und was für eine Bedeutung hat sie konkret auch für Ihr Unternehmen?
Viele unserer langjährigen Kadermitarbeitenden haben vor 30 bis 40 Jahren am Abendtechnikum in Chur studiert. Heute stellen wir jährlich 10 bis 20 Fachhochschulingenieure und -ingenieurinnen neu ein. Die hochtechnologische Bündner Industrie braucht Nachwuchs-Ingenieure und -Ingenieurinnen mit einer soliden Ausbildung in den Grundlagenfächern Chemie, Thermodynamik, Mechanik, Verfahrenstechnik oder Werkstoffkunde; diese Kompetenzen können dann «on the job» weiterentwickelt werden. Leider vermittelt die FH Graubünden diese Fächer heute nicht mehr. Neue Angebote wie Photonics und Mobile Robotics sind zwar wieder ein erster Schritt in Richtung Ingenieur-Basiswissen, aber das genügt noch nicht.
Ihre Firma hat letztes Jahr den Nationalen Bildungspreis für ihre Verdienste in Sachen Berufsbildung bekommen und wurde als einer der besten Lehrbetriebe ausgezeichnet. Die EMS-CHEMIE macht sich für die Förderung des dualen Bildungswegs stark. Wieso ist das so wichtig?
Ohne unsere bestausgebildeten Mitarbeitenden, die zu 75 Prozent eine Berufslehre absolviert haben, wären wir nicht so innovationsstark. Viele unserer Ideen für neue Produkte und verbesserte Verfahren stammen von Berufsleuten, die einst ihre Lehre bei der EMS machten. Wir wollen unsere Berufslehre attraktiv gestalten – mit unserem internationalen Mobilitätsaustausch und einer vielfältigen praktischen Ausbildung schaffen wir das. Mit unseren MINT-Förderungsaktivitäten, wie den MINT-Camps, oder unserem Science-Center EMSORAMA motivieren wir bereits Primarschülerinnen und -schüler für naturwissenschaftlich-technische Richtungen.
Im Zentrum dieser Wissensplatz-Ausgabe steht die Technik. Die EMS-CHEMIE ist im Bereich der technischen Innovationen sehr erfolgreich unterwegs. Welche Innovationen braucht die Fachhochschule Graubünden in Ihren Augen, um mit der EMS-CHEMIE mitzuziehen?
Der Lebenszyklus von Produkten wird immer kürzer. Deshalb werden die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und deren Innovationskraft immer wichtiger. Auch die EMS musste sich im Verlauf ihrer über 80-jährigen Geschichte mehr als vier Mal komplett neu erfinden. Diese Anpassungsfähigkeit müssen sich auch Fachhochschulen aneignen. Heute werden Lösungen in interdisziplinären Teams entwickelt. Die Entwicklung optischer Messmethoden zur Qualitätskontrolle in unseren Produktionsprozessen ist so ein Beispiel. Diese erfordert ein enges Zusammenspiel von Forschung und Entwicklung, Engineering, Informatik und Produktion. Die naturwissenschaftlich-technischen Grundlagenfächer sorgen für eine gemeinsame Sprache. Die FH Graubünden sollte deshalb methodische Problemlöserinnen und -löser ausbilden, die sich dann in der Industrie zu Spezialistinnen und Spezialisten entwickeln können.
Der Bundesrat hat die FH Graubünden als achte öffentliche Fachhochschule der Schweiz anerkannt. Bildung, Forschung und Innovation sind sehr wichtig für den Kanton. Welches sind Ihrer Ansicht nach die Chancen – oder auch die Risiken – dieser Selbständigkeit?
Ich sehe deutlich mehr Chancen als Risiken. Die FH Graubünden kann schneller und besser auf die Ausbildungsbedürfnisse des Kantons Graubünden – der Industrie, des einheimischen Gewerbes oder des Tourismus – reagieren. Wenn sie Nachwuchskräfte für die Bündner Wirtschaft ausbildet, sinkt auch die Abwanderung.
Sie sind letzten Oktober als politische Vertreterin des Kantons Graubünden im Nationalrat bestätigt worden. Wie möchten Sie sich in Bern für die Bildung, Innovation und Forschung in Graubünden einsetzen?
Die duale Ausbildung hat für die EMS Priorität, seit der erste «Stift», Daniel Caluori, vor 76 Jahren die erste Laborantenlehre bei der damaligen Holzverzuckerungs AG absolviert hat. Seither haben wir über 3 000 Lernende ausgebildet. Als Bündner Vertreterin in Bern setze ich mich für das duale Bildungssystem ein und dafür, dass Kantone mit Fachhochschulen gegenüber Kantonen mit Universitäten oder eidgenössischen Hochschulen nicht benachteiligt werden.
Das Interview mit Magdalena Martullo-Blocher wurde schriftlich geführt.
Beitrag von
Luzia Schmid
Projektleiterin Hochschulkommunikation