Betreuungsroboter werden auf Herz und Nieren getestet
Alters- und Pflegeheime sind aufgrund der Überalterung der Gesellschaft mit veränderten Pflegebedürfnissen konfrontiert und wegen des Fachkräftemangels auf innovative Lösungen angewiesen, um auch zukünftig eine hochwertige und effiziente Altenbetreuung sicherstellen zu können. Roboter könnten hier eine Unterstützung sein.
Text: Nadine Hergovits, Andreas Ziltener / Bild: F&P Robotics AG, Fachhochschule Graubünden
Die Servicerobotik bietet in der Altenbetreuung ein vielversprechendes Potenzial. In der Grundlagenforschung ist vor allem eine technikgetriebene Prototypenentwicklung zu erkennen. Sobald die im Labor entwickelten Systeme jedoch im realen Umfeld eingesetzt werden, sind sie mit zahlreichen Herausforderungen (Mensch, Technologie, Wirtschaftlichkeit, Recht) konfrontiert. Für den erfolgreichen Einsatz von Servicerobotern in der Altenbetreuung braucht es daher nebst einer Betrachtung der Technik auch eine Orientierung an den Bedürfnissen und Lebensrealitäten der betroffenen Anspruchsgruppen (Betagte, Pflegefachkräfte, Angehörige). Im Rahmen eines durch die Innosuisse geförderten Projekts wird nun im Service Innovation Lab (SIL) der Fachhochschule Graubünden und im Altersheim Haus Viva in Altstätten der Einsatz solcher Serviceroboter getestet. Die erfolgversprechendsten «Helfer» sollen dann in einem neuen Leistungsangebot durch den Wirtschaftspartner F&P Robotics umgesetzt werden.
Vom Labor ins Altersheim
Zu Beginn des Projekts muss das interdisziplinäre Team die Probleme und Herausforderungen der Anspruchsgruppen verstehen. Hierzu werden unterschiedliche Methoden wie Beobachtungen, Interviews und eine quantitative Umfrage bei Schweizer Alters- und Pflegeheimen Einsichten liefern. Aus der Vielzahl an Problemstellungen werden schliesslich jene herausgefiltert, die für die Nutzerinnen und Nutzer von hoher Relevanz sind, mit Robotik gelöst werden könnten, sich im Rahmen des rechtlich Erlaubten bewegen, wirtschaftlich sind und nicht bereits mit alternativen Lösungsmöglichkeiten besser gelöst werden können. In einem zweiten Schritt werden dann pro Problemfeld unterschiedliche Lösungsansätze identifiziert und die besten ausgewählt. Zurzeit denkbare Einsatzfelder sind beispielsweise alltägliche Dinge wie die «Begleitung der Bewohnerinnen und Bewohner», ihre «Aktivierung und Unterhaltung» oder auch «Trink- und Terminerinnerungen» sowie «Rundgänge/Überwachung während der Nacht».
Mittels geeigneter Methoden werden pro Einsatzfeld Technologien ausgewählt, welche die gewünschte Wirkung entfalten. Dabei werden einerseits eigenständige Robotersysteme beschafft, andererseits aber auch Applikationen für die bestehenden Assistenzroboter des Wirtschaftspartners entwickelt. In einer ersten Testreihe wird anschliessend ein Teil der Infrastruktur des Altersheims (Betagtenzimmer, Gang, Serviceraum, Bad, Stationszimmer) 1:1 im Labor nachgebaut. Wichtig ist hierbei, dass die Physik der Infrastruktur analog zu jener im Altersheim ist (Materialien, Abstände, Türen, Wände). Ansonsten würden sich die Robotersysteme in der realen Umgebung nicht zurechtfinden. Sobald diese Infrastruktur bereitgestellt ist, werden die Einsatzfelder mit Studierenden getestet. Im Zentrum dieser Tests steht immer die Frage, ob das betreffende Einsatzfeld «wünschbar», «machbar», «wirtschaftlich» und «rechtskonform» ist (vgl. Abbildung 1).
Alle Einsatzfelder, welche die erste Testserie gemeistert haben, den obigen Kriterien und somit den Anforderungen eines Human-Centred-Design-(HCD)-Ansatzes standhalten, werden anschliessend im Labor mit Betagten aus dem Altersheim getestet. Hierbei stehen vor allem Akzeptanztests, Bedienfreundlichkeit und Alltagstauglichkeit im Vordergrund. Einsatzfelder, welche die Kriterien nicht erfüllen oder rechtliche Risiken bergen, werden aus dem Projekt aussortiert. Anschliessend folgen Tests vor Ort. Alle Einsatzfelder, die im Labor erfolgreich waren, werden im Altersheim getestet. Hierzu werden alle Stationen, Abteilungen und Bereiche in eine Testanlage integriert. Die Beteiligten werden zuvor informiert und miteinbezogen. Anschliessend finden strukturierte Retrospektiven und Feedback-Loops statt. Der Umsetzungspartner wird parallel zum Projekt sein Leistungsangebot laufend anpassen, sodass nach Abschluss der Feldtests komplexe Assistenzroboter inklusive Dienstleistungspaket und Finanzierungsoption auf dem deutschsprachigen Markt angeboten werden können.
Eines der ersten Projekte in Europa
Eine im Vorfeld durchgeführte Recherche hat gezeigt, dass es zwar bereits ein gutes Dutzend Patente im technischen Geltungsbereich dieses Projekts gibt, diese jedoch nicht verletzt werden. Ebenso zeigte sich, dass das Projekt der FH Graubünden eines der ersten anwendungsorientierten Forschungsprojekte in Europa ist, das alle vier Bereiche ‒ Mensch, Technologie, Business und Recht ‒ untersucht.
Der deutschsprachige Raum zählt über 14 000 Institutionen mit jeweils über 100 Plätzen für betagte Menschen. Die Anzahl der zu betreuenden Personen wird sich bis zum Jahr 2040 verdoppeln und Schätzungen gehen von einem zunehmenden Bedarf an Pflegefachpersonal von knapp 40 Prozent aus. Das Haus Viva wird von den Einsatzfeldern direkt profitieren und als fortschrittliches Altersheim eine Pionierrolle in seinem Marktgebiet einnehmen. Der Wirtschaftspartner F&P Robotics kann von der oben beschriebenen Marktentwicklung profitieren und dieses Geschäftsfeld mittels eines innovativen Leistungsangebots erschliessen und besetzen.
Projektpartner
- Schweizerisches Institut für Entrepreneurship SIFE, FHGR (Hauptforschungspartner)
- F&P Robotics AG, Glattbrugg (Hauptumsetzungspartner)
- Haus Viva, Genossenschaft Wohnen im Alter, Altstätten (Umsetzungspartner)
- Interdisziplinäres Kompetenzzentrum Alter IKOA, FHSG (Forschungspartner)
- Institut für die Entwicklung mechatronischer Systeme EMS, NTB (Forschungspartner)
- Forschungsstelle für Informationsrecht FIR, UNISG (Forschungspartner)
Mit dem Service Innovation Lab (SIL) bietet die FH Graubünden Unternehmen die einmalige Chance, sich methodisch mit Produkt- und Dienstleistungsinnovationen sowie neuen Geschäftsmodellen auseinanderzusetzen und sich so für die Zukunft zu rüsten. Durch modernste Visualisierungs- und Prototyping-Techniken können Unternehmen im SIL abstrakte Konzepte erlebbar, greifbar und prüfbar machen. In Workshops kann die Welt des Design Thinking, Lean Start-up oder Business Model Canvas erlebt werden. Das SIL schafft aber auch Raum für Kreativität: Neue Ideen können dort realitätsnah visualisiert, ausprobiert, verglichen und optimiert werden.
Beitrag von
Nadine Hergovits
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Schweizerisches Institut für Entrepreneurship
Prof. Dr. Andreas Ziltener
Professor für Entrepreneurial Management, Schweizerisches Institut für Entrepreneurship