Der Stall
Mit dem neuen Zweitwohnungsgesetz und der Diskussion bezüglich der inneren Verdichtung verschärft sich die Frage nach ungenutzten Ställen in den Dörfern. Viele Ställe stehen leer und haben ihre ursprüngliche Funktion verloren. Lassen sie sich umnutzen?
Text: Robert Albertin, Noëlle Bottoni / Bild: Gianni Peng
Einige der leerstehenden Ställe stehen an prominenten und schönen Lagen in den Dörfern. Sie gehören zum Ortsbild und schaffen somit Identität für die ansässigen Bürgerinnen und Bürger. Mit der Annahme der Initiative «Stopp der Zersiedelung» im Jahre 2013 und der da-raus entstandenen Anpassung am kantonalen Raumplanungsgesetz im Jahre 2014 hat jedes Dorf nun eine Siedlungsstrategie für sein Siedlungsgebiet und dessen Bauzonen zu erstellen. In diesem Zusammenhang werden neu auch die ortsbildprägenden Bauten definiert respek-tive ausgewählt. Ausserdem dürfen ortsbildprägende Bauten laut Zweitwohnungsgesetz un-ter Umständen umgenutzt werden: als Zweitwohnungen. Werden nun Ställe als ortsbildprä-gend eingestuft, was durchaus möglich und sinnvoll ist, wirft diese neue Ausgangslage die Frage nach dem Mehrwert ihrer Umnutzung für die jeweilige Gemeinde und die Öffentlich-keit auf. Nebst diesen Überlegungen zur Nutzung bzw. Umnutzung ergeben sich auch Fragen hinsichtlich des gestalterischen Ausdrucks und der Wirkung auf das Dorfbild.
Vorschläge von Studierenden: der «Fall Fürstenau»
Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit haben sich die Architekturstudierenden der FH Graubünden ge-meinsam mit ihren Dozenten Robert Albertin und Michael Meier mit diesen Fragen ausei-nandergesetzt. Es ging dabei konkret um den Stallumbau zwischen Schloss Schauenstein und dem bischöflichen Schloss in Fürstenau.
Bei dieser Aufgabenstellung ging es nicht nur um den gestalterischen Ausdruck der Umnut-zung eines Stalles. Es wurde auch auf dessen Nutzung und Funktion auf einem Grundstück in denkmalgeschützter Umgebung geachtet; so mussten die Studierenden sich mit möglichen Nutzungen auseinandersetzen und einen adäquaten Gebrauch des umgenutzten Gebäudes vorschlagen. Das Projekt wurde unter realistischen Rahmenbedingungen erarbeitet, welche zusätzlich detaillierte Materialisierungsvorschläge im Innen- und Aussenbereich erforderten. Ferner galt es auch, auf eine konstruktive und ökonomische Umsetzung zu achten – was der Alltag einer/eines engagierten Architekturschaffenden ist.
Die Umnutzung von Stallbauten im alpinen Raum ist oftmals eine grosse Herausforderung. Zum einen darf die Gebäudehülle nicht zu stark verändert, sprich modernisiert werden, sonst könnte der Bau seine ursprüngliche Identität verlieren. Zum anderen gilt es, eine zeit-gemässe und adäquate Architektursprache zu finden. Im Verlauf der Suche nach umsetzba-ren Ideen und ihrer effektiven Bachelorarbeit konnten die Studierenden der FH Graubünden durch ihre intensiven Entwurfsarbeiten eine Vielfalt unterschiedlicher Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Es liegen nun Vorschläge für ein Weingut, angelehnt an den kleinen Rebberg, ein Fürstenbad, eine Sattlerei, eine Meisterschule bzw. für Theaterräume und Wohnungsbauten vor.
«Qualität der Architekturausbildung in Chur»
Das Architekturstudium an der FH Graubünden ist auf die Architektur im alpinen Raum fokussiert. Infolgedessen werden nicht nur Grossprojekte besprochen, sondern auch kleine Bauvorha-ben wie z. B. der Stall in Fürstenau. So schulen die Studierenden auch ihren Blick fürs Detail, der bei ihrer zukünftigen Berufstätigkeit als Architektin bzw. Architekt von grossem Vorteil ist. Die Entwurfs- und Konstruktionsaufgaben an der FH Graubünden zielen darauf ab, alle Vorga-ben einer praxisorientierten Ausbildung zu erfüllen.
Um dem Anspruch in Bezug auf die Entwicklung und Förderung interdisziplinärer Fähigkeiten gerecht zu werden, sind u. a. Lehrbeauftragte im Einsatz, die eine profunde Praxiserfahrung mitbringen. Sie verfügen über aktuelles Know-how und geben oft direkt vor Ort Einblick in Praxisbeispiele, um konkrete Aufgabenstellungen mit den Studierenden zu bearbeiten. Dank der interdisziplinären und anwendungsorientierten Ausbildung können die Studierenden optimal auf die bevorstehenden beruflichen Herausforderungen vorbereitet werden und erfüllen das anspruchsvolle Anforderungsprofil von Fach- und Führungskräften.
Nach der Abgabe und Besprechung ihrer Bachelorarbeit nahmen einige Studierende am «Arc Award Next Generation», einem nationalen Architekturwettbewerb, teil. Es gab Projektein-reichungen seitens aller Schweizer Hochschulen. Prof. Christian Zimmermann, einer der drei Juroren, lobte alle eingereichten Arbeiten der FH Graubünden als «durchwegs sauber geplant, konstruktiv richtig und funktional umgesetzt». Man könne jede der eingereichten Arbeiten respektive die Studierenden, die sie konzipiert und gestaltet hatten, in der Praxis um- bzw. einsetzen. «Sie wiederspiegeln in einem hohen Mass die Qualität der Architekturausbildung in Chur.» Alle Arbeiten der FH Graubünden erreichten die Schlussrunde, bevor der erste Preis ver-geben wurde – zur grossen Freude der Studierenden und Dozierenden.
Ausstellung und Podiumsgespräch
Das hohe Qualitätsniveau sämtlicher Bachelorarbeiten veranlasste Dozent Robert Albertin, diese Arbeiten einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. In Zusammenarbeit mit der Stiftung Johann Martin v. Planta in Fürstenau sowie dem Kunsthistoriker Christof Kübler und dem Stiftungspräsidenten Rudolf Küntzel wurde eine Ausstellung konzipiert, die alle Ergeb-nisse der Bachelorarbeiten im Stoffelhaus Fürstenau präsentiert. Die Ausstellung bleibt für ein halbes Jahr im geschichtsträchtigen Stoffelhaus geöffnet. Inzwischen gab es erste Anfra-gen seitens anderer Gemeinden bezüglich der Ausstellung dieser Exponate in ihren Dörfern.
Die Fragen rund um die Ställe in den Dörfern interessieren nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner, sondern auch viele Mitglieder der lokalen Gemeindebehörden. Aus diesem Grund wurde – zusätzlich zur Ausstellung – ein Podiumsgespräch mit Gion A. Caminada, Ste-fan Engler und Michael Meier zu diesem Thema organisiert. Der volle Saal und die hohen Besucherzahlen der Ausstellung verdeutlichen das grosse Interesse an dieser Fragestellung und an den möglichen Antworten. Es ist offensichtlich, dass es keine «einzige Wahrheit» und kein «richtiges Vorgehen» diesbezüglich gibt. Entscheidend dabei ist, sich mit dem jeweiligen Dorf und dessen Entwicklung zu beschäftigen und genau hinzuschauen.
Beitrag von
Dozent, Projektleiter, Institut für Bauen im alpinen Raum (IBAR)
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Bauen im alpinen Raum (IBAR)