Umnutzung des grössten Natureisfelds Europas
Den Gästen ein Erlebnis zu bieten steht heute im Zentrum touristischer Anstrengungen. Dabei nehmen neue Angebote einen wichtigen Stellenwert ein: Die Erwartungen der Gäste steigen, sie möchten stets Neues erleben. Die touristische Angebots- und Produktentwicklung ist stark mit den Bedürfnissen der Gäste verknüpft. Unter diesen Voraussetzungen wurde der Davoser «Eistraum» entwickelt, welcher seinen Ursprung in einer Studie des Instituts für Tourismus und Freizeit (ITF) hat.
Text: Christian Gressbach / Bild: Destination Davos Klosters / Marc Berendsen, snow-world / Marcel Giger, FH Graubünden
Zur Verwirklichung einer erfolgreichen Produktentwicklung ist eine auf die Gäste ausgerichtete Strategie notwendig: «Eine abnehmergerichtete Strategie ist ein langfristiger Verhaltensplan, der die Steigerung des Kundennutzens durch die Realisierung eines oder mehrerer Wettbewerbsvorteile im relevanten Markt zum Inhalt hat» (Meffert/Bruhn, 2015, S. 184). Zusätzlich muss jedoch die regionale Wertebasis identifiziert werden. Pechlaner et al. (2005) schlägt die strategische Produktentwicklung als Innovationsstrategie für die regionale Entwicklung vor. Als Innovationsquellen werden die Kernkompetenzen und identitätsstiftenden Werte aller regionalen Akteurinnen und Akteure im Bereich Tourismus betrachtet. Unter diesen Voraussetzungen wurde einerseits mittels Gästebefragungen und andererseits durch Gespräche mit den lokalen Akteurinnen und Akteuren die Idee des Davoser «Eistraums» entwickelt.
Quo vadis, Natureisfeld?
Ende 2014 beauftragte die Destination Davos Klosters das Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) damit, Nutzungsvarianten für das Natureisfeld Davos zu erarbeiten. Fredi Pargätzi, Leiter Sport & Kultur & Sportanlagen, war während des eineinhalbjährigen Dienstleistungsprojekts die Ansprechperson für die Projektgruppe des ITF. Die grösste Natureisbahn Europas mit ihren 1,800m² verzeichnete seit Jahren einen Besucherrückgang. Dies stellte die Verantwortlichen einerseits vor das Problem, dass das Eisfeld nicht kostendeckend geführt werden konnte, und andererseits vor die Erkenntnis, dass die Akzeptanz für die aufwändige Aufbereitung von verschiedenen Seiten fehlte. Vor diesem Hintergrund galt es, potenzielle Nutzungsmöglichkeiten zu identifizieren und näher zu beschreiben. Zusammen mit der Auftraggeberin wurden zu Beginn drei strategische Stossrichtungen definiert:
- Weiternutzung als Natureisfeld
- Umnutzung zur Kunsteisbahn
- Offener Ausgang
Innerhalb dieser Stossrichtungen wurden verschiedene Vorgehensweisen angewendet, um mögliche Nutzungsvarianten zu identifizieren.
Befragung der Nutzergruppen
Ende Winter 2015 wurden bei Davoser Gästen, Einheimischen und Leistungsanbietenden Befragungen durchgeführt. Bei der spezifischen Betrachtung der Eissportarten war eine gewisse Diskrepanz zwischen den Gästen, welche das Angebot als «eher unwichtig», und den Einheimischen, welche dieses als «eher wichtig» einstuften, erkennbar. Gleiches galt für die Leistungsanbietenden. Auch sie massen den Eissportarten eine hohe Wichtigkeit bei und waren gleichzeitig relativ zufrieden mit diesen. Von den Gästen wurde die Zufriedenheit in Bezug auf alle abgefragten Sportarten höher gewichtet als deren Wichtigkeit. Auch waren die Gäste mit dem Angebot an Eissportarten «eher zufrieden».
Das Natureisfeld in Davos wurde von nur knapp 15 Prozent der befragten Gäste genutzt, wovon 6 Prozent angaben, bei jedem Wetter auf das Eis zu gehen. Demgegenüber war die Nutzung durch die Einheimischen mehr als dreimal so hoch.
In einem weiteren Schritt wurde mit den Teilnehmenden der Befragung eine kreative Angebotsabfrage durchgeführt, um Ideen für die Nutzung des Natureisfeldareals zu generieren. Bei der Gästebefragung standen die Produktkategorien «Fun & Action» und «Eis-Event-Park» zuoberst auf der Liste. Von den Leistungsanbietenden sprachen sich 63 Prozent für ein «Leistungszentrum für verschiedene (Eis-)Sportarten» aus.
Flankierend zu den Umfrageresultaten wurden Experteninterviews, eine ausführliche Literaturrecherche sowie Workshops mit einer aus Davoser Leistungsanbietenden bestehenden Projektgruppe durchgeführt. Daraus wurde einerseits das Nutzungspotenzial des Eisschnelllaufsports abgeleitet, und andererseits wurden neue Nutzungsmöglichkeiten diskutiert. Das Nutzungspotenzial des Natureisfelds in Bezug auf den Eisschnellauf ergab folgende Einstufung: Es bräuchte eine Umrüstung zur Kunsteisbahn und anschliessend internationale Wettkämpfe, um niederländische Breitensportler und Gäste nach Davos zu bringen. Laut einer Aussage der Royal Dutch Skating Federation (KNSB) frönen zwei Millionen Holländerinnen und Holländer (12,5 Prozent der Gesamtbevölkerung) dem Eisschnelllaufsport auf Eislaufbahnen. Die Logiernächtezahlen der holländischen Gäste im Kanton Graubünden haben seit 2008 jedoch abgenommen: von über 180 000 Hotellogiernächten im Jahr 2008 auf unter 100 000 im Jahr 2015. Für Trainingslager von nationalen Eisschnelllaufverbänden bräuchte es eine Halle, um nicht der Witterung ausgesetzt zu sein. Die meisten Europäischen Eisschnelllaufverbände führen ihre Vorbereitung auf die Saison zurzeit in der Eisschnelllaufhalle in Inzell (D) durch. Da dem Eisschnelllaufsport in der Schweiz kein grosses Wachstumspotenzial attestiert wird und das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht übereinstimmt, wurden weitere Umrüstungsmöglichkeiten sondiert. Das grösste Potenzial hatte schliesslich eine Bespielung des Natureisfelds, wobei die Davoser Eis-Tradition in die Inszenierung mit eingebaut werden sollte.
Davoser Eistradition inszenieren
Um eine Bespielung und permanente Inszenierung über einen längeren Zeitraum zu gewährleisten, muss sichergestellt werden, dass eine hierfür nutzbare Eisfläche witterungsunabhängig produziert werden kann. Dafür sind die Umrüstung eines Teilbereichs des Natureisfelds auf Kunsteis und die Aufwertung der Gastronomie wichtige Voraussetzungen. Verschiedene Optionen (ein kleines Kunsteisfeld vor dem Sportzentrum, eine Umrüstung der Eisschnelllaufbahn auf Kunsteis und eine Inszenierung mit diversen Kunsteisfeldern) wurden präsentiert, und schliesslich wurde ein «Winterwunderland» auf Kunsteis empfohlen. Als mögliche Elemente in diesem Eis-Park wurden eine Kinderzone, eine Romantikzone, eine Eis-Rutsche, ein Freestyle-Curling, ein Ice-Cross-Pump-Track, eine Eis-Disco, ein Eis-Kletterturm, eine Bühne und eine Tribüne vorgeschlagen.
Die erwarteten Effekte dieses Angebots sind sein Neuheitscharakter als innovatives Tourismusprojekt, ein grosses mediales Interesse, ein ökonomisch nutzbringendes Projekt (Angebot kann kostentragend geführt werden und Abstrahlungseffekte auf Logiernächte oder Tagesgäste werden erwartet), eine «Aufbruchstimmung Eissport» sowie diverse Ausbau- und Wachstumsmöglichkeiten. Der letzte Effekt ist ein grosser Pluspunkt, da gewisse Elemente des Eis-Parks Winter für Winter ersetzt werden können und das Angebot somit stets einen neuen Charakter aufweist.
Davoser «Eistraum» umgesetzt
In diesem Umnutzungsprojekt wurde sowohl auf die Bedürfnisse der Gäste als auch auf die identitätsstiftenden Werte der lokalen Akteurinnen und Akteure, bei welchen der Eissport einen hohen Stellenwert einnimmt, eingegangen. Nach dem Entscheid des Verwaltungsrats der Destination Davos Klosters, die Nutzungsvariante «Winterwunderland auf Kunsteis» konkret auszuarbeiten, wurde in Rekordzeit die Umsetzung vorangetrieben. Bereits vergangenen Dezember konnte das Angebot mit dem Namen Davoser «Eistraum» seine Türen öffnen. Inmitten von Davos soll der Davoser «Eistraum» zum Publikumsmagnet der Wintersportdestination werden, wie es das Best-Practice-Beispiel «Top of Europe Ice Magic» in Interlaken ist. Die Kunsteis-Erlebnislandschaft in Davos mit Attraktionen wie Ice-Cross-Bahn, Pond-Hockey und Eis-Disco soll 30 000 Gäste anziehen. Die Verantwortlichen der Destination wie auch die Projektgruppe des ITF sind gespannt, wie das neue Angebot sowohl bei den Gästen als auch bei den Einheimischen und den lokalen Tourismus-Akteurinnen und -Akteuren ankommt.
Literatur
Meffert, H. / Bruhn, M. & Hadwich, K. (2015): Dienstleistungsmarketing (8. Auflage). Wiesbaden: Springer Gabler Fachmedien.
Pechlaner, H. / Fischer, E. & Hammann, E. (2005): Leadership and Innovation ProcessDevelopment of Products and Services Based on Core Competences, in: Journal of Quality Assurance in Hospitality and Tourism, Vol. 6 (3/4), S. 31–59.
Beitrag von
Dozent für Dienstleistungs- und Tourismusmarketing, Institut für Tourismus und Freizeit (ITF)