Unterwegs zum revolutionären Akkordeon
Der Weg von der ersten Idee bis zur erfolgreichen Umsetzung im Markt ist steinig. Während das Entwickeln bzw. Erkennen einer Idee oftmals vom Zufall geprägt ist, kann das Umsetzen einer Idee erlernt werden. Betriebsökonomie-Studierende der FH Graubünden lernen Methoden des Innovationsmanagements kennen und wenden das Erlernte an einer konkreten Idee an. Die Ideen stammen von Unternehmen, Verbänden, Vereinen oder Privatpersonen, welche oftmals nicht über genügend Zeit oder Ressourcen verfügen, um die Umsetzung der Idee anzupacken.
Text: Prof. Dr. Patricia Deflorin / Bild: Aristea Zachariadi, FH Graubünden / Film: Aristea Zachariadi
Warum unterscheiden wir zwischen Idee und Innovation? Eine Innovation ist eine zielgerichtete Durchsetzung von neuen technischen (Produkte, Prozesse, technisches Wissen), organisatorischen (Strukturen, Kulturen, Prozesse, Systeme), wirtschaftlichen (Branchenstruktur, Marktstruktur, Spielregeln) und sozialen (Politik, Lebensstile, Sozialtechnologie) Problemlösungen (Hauschildt, 2004). Eine Erfindung oder sogenannte Invention ist eine notwendige Vorstufe der Innovation. Sie beschränkt sich auf den Prozess der Wissensgenerierung durch Forschung und Entwicklung und beschreibt die erstmalige, technische Lösung einer Idee. Dagegen ist unter Innovation die erstmalige wirtschaftliche Anwendung einer Idee zu verstehen.
Das Innovationsmanagement umfasst die Prozesse und Methoden – von der Entwicklung der Idee bis zur wirtschaftlichen Umsetzung der entsprechenden Innovation. Diese Methoden und Prozesse werden den Studierenden im letzten Jahr des Bachelor-Studienganges in Betriebsökonomie vermittelt; anhand einer Idee aus der Praxis wird das Gelernte angewendet. Während die Studierenden die Möglichkeit haben, ihr Wissen in die Praxis umzusetzen, profitieren die Auftraggebenden von den Analysen, Interpretationen und Diskussionen durch und mit den Studierenden.
Personalisierte Klangwelt
Kessler & Söhne aus dem bündnerischen Masein ist einer dieser Auftraggebenden. Valentin Kessler ist leidenschaftlicher Musiker und tritt seit Jahren mit seinem Akkordeon als Berufsmusiker auf. Seine Leidenschaft für die Musik hört jedoch nicht beim Spielen auf; seine handwerklichen Fähigkeiten haben dazu geführt, dass er an seinen Akkordeons einige technische Verbesserungen entwickelt und eingebaut hat. Der Erfolg dieser akustischen Veränderungen, wie zum Beispiel die Entwicklung einer qualitativ hochstehenden Mikrofonierung, haben bei Valentin Kessler das Interesse verstärkt, die Technik des Akkordeons zu revolutionieren und neue Klangerlebnisse für Musikliebhaber und -liebhaberinnen zu entwickeln. Die Akkordeon-Leidenschaft des Vaters, Valentin Kessler, kombiniert mit den technischen Fähigkeiten der beiden Söhne Hans und Luzi Kessler, bildet den Grundstein für die Geschäftsidee. Als Beispiel können zwei Ideen skizziert werden: das personalisierte Akkordeon Kessler & Söhne sowie das E-Akkordeon.
Die erste Idee zielt auf die Entwicklung eines personalisierten Akkordeons ab. Die Personalisierung erfolgt einerseits durch den Klang, andererseits durch die Ergonomie des Akkordeons. In dieser Erlebniswelt des Akkordeons werden, in Zusammenarbeit mit den Musizierenden, in erster Linie der individuelle, eigene Sound sowie die Ergonomie definiert. Sobald der persönliche Klang mit der Kundschaft bestimmt worden ist, wird das Akkordeon fertiggestellt. Dieser Ansatz ist für den Akkordeonmarkt neu – und eröffnet so noch nie dagewesene, kundenspezifische Möglichkeiten.
Das E-Akkordeon ermöglicht, dass neue, bisher unbekannte Klänge erzeugt werden können. Dabei wird, ähnlich wie bei einer E-Gitarre, der Klang selber erzeugt und durch Tonabnehmer und Boxen verstärkt. Die Musizierenden erhalten so die Möglichkeit, ihren eigenen Groove zu erzeugen. Dadurch werden die Möglichkeiten eines traditionellen Akkordeons wesentlich erweitert, indem die eigenen Gefühle authentisch durch die Musik transportiert werden können, ohne durch die Technik des traditionellen Akkordeons in Grenzen verwiesen zu werden.
Potenziale und Herausforderungen
Zwei Studierenden-Teams der Bündner Fachhochschule haben sich während eines Semesters vertieft mit der Analyse der Potenziale und Herausforderungen dieser beiden Ideen auseinandergesetzt. Die Aufgabenstellung umfasste einerseits die Beschreibung der Innovation, deren Beurteilung sowie die Auswirkungen auf bestehende Geschäftsprozesse. Der zweite Teil der Aufgabenstellung umfasste die Erarbeitung der Umsetzungsplanung anhand des Stage-/Gate-Prozesses.
In einem ersten Schritt wurden das Erfolgspotenzial der Innovation analysiert sowie das Risiko diskutiert. In dieser ersten Phase war zu analysieren, wie hoch der Competitive Innovation Advantage ist. Der Competitive Innovation Advantage ist eine im Wettbewerb überlegene Leistung, die ein für die Kundschaft wichtiges Nutzenmerkmal betrifft, das vom Kunden und von der Kundin auch so wahrgenommen wird, von der Konkurrenz nicht leicht eingeholt werden kann und im Umfeld wohl kaum ausser Kraft gesetzt wird (Trommsdorff & Steinhoff, 2009).
Um eine Aussage treffen zu können, wie hoch der Wettbewerbsvorteil der Innovation ist, führten die Studierenden eine Markt- und Konkurrenzanalyse durch. Die entsprechenden Untersuchungen zeigten auf, dass der potenzielle Wettbewerbsvorteil, hier am Beispiel des E-Akkordeons, als hoch eingestuft werden konnte. Dies vor allem aufgrund der Erkenntnis, dass das E-Akkordeon für den Markt neu ist und dass dieses Klang-Erlebnis das Instrument deutlich von bestehenden Angeboten abhebt. Ein weiterer wichtiger Analyseschritt umfasste das Risiko der Innovation. Eine hohe Kenntnis der zu entwickelnden Technologien und der Märkte – in Kombination mit einem hohen Competitive Innovation Advantage – reduziert das Risiko eines Misserfolgs. Die bereits bestehenden Fähigkeiten der drei Unternehmer bezüglich der technischen Entwicklung sowie die langjährige Erfahrung in der Musikindustrie, gepaart mit dem erwarteten hohen Competitive Innovation Advantage, reduzieren das Risiko der Innovation und erhöhen die Chancen der erfolgreichen Marktimplementierung.
Von der Idee zur Innovation
Die erste Analyse des Innovationspotenzials des E-Akkordeons sieht somit erfolgsversprechend aus. Welche Aktivitäten sind nun von den Unternehmern Valentin, Hans und Luzi Kessler durchzuführen, bis die Idee als Innovation – und damit erfolgreich im Markt – umgesetzt ist? Die Umsetzungsplanung erfolgte anhand des Stage-/Gate-Prozesses von Robert G. Cooper. Dieser Prozess umfasst Stages und Gates. Während bei den Stages die Aktivitäten beschrieben werden, welche für die Umsetzung der Idee notwendig sind, beschreiben die Gates die Entscheidungen. Innerhalb der Gates wird aufgezeigt, welche Kriterien erfüllt werden müssen, damit die Innovation weitergeführt werden kann. Die Definition der Aktivitäten innerhalb der Stages und die Erarbeitung der Go-/No-Go-Kriterien (Gates) reduzieren das Risiko eines kostenintensiven Abbruchs der Innovation. Je mehr Ressourcen für die Entwicklung der Innovation geflossen sind, desto weniger sind Unternehmer und Unternehmerinnen bereit, die Innovation trotz grösserer Schwierigkeiten aufzugeben. Die Definition klarer Stages und Gates erhöht die Transparenz in jeder Entwicklungsstufe und reduziert die Gefahr, dass eine Entwicklung trotz Warnhinweisen weitergetrieben wird.
Die angehenden Betriebsökonomen und Betriebsökonominnen erarbeiteten die zentralen Schritte, die für die Umsetzung des personalisierten Akkordeons und E-Akkordeons notwendig sind, und entwickelten Entscheidungskriterien. Zusätzlich konnten aufgrund der Markt- und Konkurrenzanalyse bereits erste Schritte für die Umsetzung erarbeitet werden.
Betriebswirtschaftliches Know-how aus Studierendenhand
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Studierendengruppen den Ideen von Kessler & Söhnen ein hohes Innovationspotenzial attestierten. Mit der Umsetzungsplanung wurde den Unternehmern ein Werkzeug an die Hand gegeben, das sie bei der Umsetzung unterstützen wird.
Valentin, Hans und Luzi Kessler sprühen vor Ideen. Der Erfolg dieser Ideen tritt jedoch erst ein, wenn die Entwicklungen erfolgreich im Markt vertrieben werden. Dieser Weg ist lang – anhand der Methoden des Innovationsmanagements kann jedoch aufgezeigt werden, wie die Umsetzung zu strukturieren ist. Valentin Kessler hebt hervor, dass die Analysen und Gespräche mit den Betriebsökonomie-Studierenden geholfen haben, zu verstehen, welche Aktivitäten für eine Markteinführung notwendig sind.
Zurückblickend hält Valentin Kessler fest: «Wir haben im letzten halben Jahr vor allem gelernt, was Investoren und Investorinnen von uns erwarten. Während wir fit und gerüstet sind für die technologischen Herausforderungen unserer Innovationen, war die Unterstützung der FH Graubünden hilfreich für uns, um unser Wissen in den betriebswirtschaftlichen Fragestellungen weiterzuentwickeln.» Kessler & Söhne wurde zudem bewusst, dass für die erfolgreiche Umsetzung ihrer Geschäftsidee eine Verstärkung ihres Teams notwendig ist. Als neuer Partner, zuständig für das Business Development, konnten die Unternehmer Christopher Jacobson, einen Absolventen der Bündner Fachhochschule, gewinnen.
In Anlehnung an den von den Studierenden erarbeiteten Umsetzungsplan haben sich die Unternehmer nun gerüstet, um ihre Idee möglichen Investoren zu präsentieren. Wir wünschen ihnen auf dem weiteren Weg bis zur erfolgreichen Markteinführung viel Erfolg!
Beitrag von
Dozentin für Innovationsmanagement, Schweizerisches Institut für Entrepreneurship (SIFE)