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Innovationspolitik: Was man tun und was man unterlassen sollte
Innovationspolitik: Was man tun und was man unterlassen sollte

Innovationspolitik: Was man tun und was man unterlassen sollte

Die Schweiz gilt als eine der innovativsten Volkswirtschaften der Welt. Sowohl im Global Innovation Index als auch im Innovation Union Scoreboard der EU belegt die Schweiz auch 2015 wiederum den ersten Rang. Solch gute Resultate verleiten jedoch zu Überheblichkeit und Nachlässigkeit, besonders in der Wirtschaftspolitik. Aber auch politischer Aktivismus kann gefährlich sein, besonders im Sinne des beliebten Benchmarkings, bei welchem das Verhalten anderer Länder ohne kritische Analyse kopiert wird. Im Gespräch erläutert Peter Moser, seit August 2015 wieder Professor für Volkswirtschaftslehre an der FH Graubünden, welche Rolle die Innovationspolitik für die Stärkung der Innovationsfähigkeit eines Landes spielt. Peter Moser war 2011 bis 2015 Berater für Wirtschaftspolitik bei Bundesrat Schneider-Ammann und hat sich in dieser Funktion intensiv mit diesen Fragen auseinander gesetzt.

Text: Flurina Simeon / Bild: FH Graubünden

Warum ist Innovation wichtig für ein Land?
Die im globalen Vergleich sehr hohen Schweizer Löhne können nur dadurch verdient werden, dass die Unternehmen Produkte und Dienstleistungen für eine internationale Kundschaft entwickeln, die an der Neuartigkeit und Einzigartigkeit der Schweizer Produkte interessiert ist und auch bereit ist, hierfür einen hohen Preis zu bezahlen. Die meisten Unternehmen in der Schweiz stehen deshalb in einem Qualitäts- und Neuerungswettbewerb. Dies setzt eine hohe Innovationsfähigkeit dieser Unternehmen voraus, d. h. sie müssen fähig sein, bedeutende Produkt- oder Prozesserneuerungen oder neuartige Geschäftsmodelle besser und schneller als die Konkurrenz hervorzubringen. Zudem müssen sie damit sowohl auf nationalen als auch auf internationalen Märkten erfolgreich sein.

Es kommt hinzu, dass mit der erfreulichen Ausdehnung der Globalisierung zum einen viele Menschen weltweit zu Wohlstand gekommen sind, zum andern diese Personen auch hungrig nach wirtschaftlichem Erfolg sind. Auch sind sie zunehmend gut ausgebildet. Der internationale Wettbewerb zwischen den Regionen hat sich und wird sich noch weiter intensivieren.

Warum ist die Schweiz gemäss internationalen Vergleichen derart innovationsstark?
Innovation entsteht aus einem interaktiven Prozess: Unternehmen (Anbieterinnen, Kunden, Zulieferer etc.), Forschungseinrichtungen und Behörden tauschen sich gegenseitig aus. Die Schweiz weist offenbar ein Innovationssystem auf, in welchem diese Zusammenarbeit zu sehr starken Leistungen führt.

Welches sind dann aus Ihrer Sicht die Besonderheiten des Schweizer Innovationssystems?
Aus meiner Sicht sind folgende Merkmale charakteristisch für das Schweizer Innovationssystem:

  1. Die Schweiz weist eine grosse Vielfalt sowohl in der Branchen- als auch in der Grössenstruktur der Unternehmen auf: Sie verfügt über eine ausgewogene Mischung aus einigen global operierenden Konzernen und einer Vielzahl von KMU mit einer starken Unabhängigkeit und einer hohen Innovationsorientierung.
  2. Die Schweiz ist klein und übersichtlich. Diese Eigenschaften gelten sowohl für das Land selbst als auch für die Wirtschaft. Verbunden mit einer hohen Dezentralität schafft dies kurze Distanzen und räumliche Nähe. Das fördert gut funktionierende formelle und informelle Netzwerke. So ist das Wechselspiel zwischen Innovatorinnen, Vermarktern und finanzkräftigen Kapitalgebenden in zahlreichen Fällen gut. Dieses Merkmal hat aber auch den Nachteil, dass Strukturen oft komplex und schwer durchschaubar sind und dass die kritische Grösse fehlt. Dieser Nachteil zeigt sich beispielsweise bei der Marktgrösse, aber auch bei den Forschungsfeldern.
  3. Die fehlende Grösse wird jedoch durch die starke internationale Verflechtung von Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft wettgemacht. Diese Verflechtung wurde dank der Migration im Zuge der Personenfreizügigkeit mit der EU noch intensiviert. Heute ist die Schweiz überdurchschnittlich stark in den europäischen Binnenmarkt integriert.
  4. Die Schweiz hat einen flexiblen Arbeitsmarkt mit einer im internationalen Vergleich hohen Erwerbsbeteiligung und Arbeitsdisziplin. Gleichzeitig sind die Beziehungen sozialpartnerschaftlich geprägt, was die Flexibilität erhöht. Dies führt trotz hoher Löhne in mehreren Geschäftsbereichen auch zu international wettbewerbsfähigen Lohnstückkosten. Die hohe Flexibilität hat zum Beispiel dazu beigetragen, die Auswirkungen der jüngsten Wechselkursverwerfungen zu mildern.
  5. Das duale Bildungssystem ist ein grosser Vorteil für das Schweizer Innovationssystem. So werden dank des nachfrageorientierten Berufsbildungssystems Nachwuchskräfte nahe am Bedarf der Wirtschaft ausgebildet. Zudem ist das Bildungssystem sehr durchlässig. Dadurch wird weder der praxisorientierte noch der allgemeinbildende Weg privilegiert. Sackgassen in der Qualifizierung werden vermieden, ein Wechsel zwischen unterschiedlichen Wegen ist möglich.
  6. Zu den Stärken zähle ich auch die politische Stabilität mit relativ moderaten, aber kontinuierlichen Reformen. Oftmals wird diese Stabilität beklagt. Aber sie ermöglicht Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit. Eine wichtige Konstante der Innovationspolitik ist, dass sie «bottom-up» organisiert ist und dass auf Schwerpunkbildung weitgehend verzichtet wird. Zudem wird vielfach übersehen, dass die Schweiz dank des Föderalismus ein Versuchslabor ist. Die Kantone haben viele Kompetenzen in für die Innovation wichtigen Bereichen (Bildung, Forschung, Infrastrukturangebote, Unternehmenssteuern, Wirtschaftsförderung): Dieser Spielraum wird genutzt und es finden ein Wettbewerb und ein gegenseitiges Lernen statt.

Das tönt alles gut und recht, aber viele Unternehmen beklagen einen Fachkräftemangel. Bedroht dieser Mangel die Innovationsfähigkeit der Schweiz?
Tatsächlich ist dieser Mangel eine grosse Schwäche des Schweizer Innovationssystems. Dank der Personenfreizügigkeit konnte dieser Nachteil in den letzten Jahren jedoch mehr als kompensiert werden. Die Unternehmen konnten im Rahmen des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU europaweit die besten Personen rekrutieren. Seit Annahme der Masseneinwanderungsinitiative wird diese Rekrutierungsmöglichkeit in Zukunft jedoch beschränkt sein. Das ist wohl das grösste Risiko für das Innovationssystem, denn es betrifft nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Hochschulen.

Aber es gibt auch andere wirtschaftspolitische Baustellen. So ist der Wettbewerb in wichtigen Bereichen des schweizerischen Binnenmarkts wenig intensiv, vor allem dort, wo staatliche Unternehmen dominieren. Dazu gehören die Post, die Telekommunikation, die Strombranche, der öffentliche Verkehr und auch das Gesundheitswesen. Und diese Bereiche spielen eine gewichtige Rolle und dürften in Zukunft eine noch grössere Rolle im Innovationssystem der Schweiz spielen.

Unternimmt die Schweiz genug für die Förderung von Start-ups?
Die Schweiz hat durchaus gute Bedingungen für Neugründungen in einigen Bereichen (Biotech/Pharma, Medtech, Uhren, MEM-Industrie). Für potenzielle Gründer und Gründerinnen steht eine Vielzahl von Förderprogrammen bereit (KTI, Hochschulen, Technoparks, Kantone). Dennoch ist die Gründungsrate im internationalen Vergleich relativ niedrig. Das hat mehrere Gründe, etwa die Risikoaversion in der Schweiz oder auch die hohen Opportunitätskosten in Form von «sicheren» und hohen Löhnen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Sektor. Es gibt in der Schweiz genügend Kapital (z. B. bei den Pensionskassen), aber diese investieren im Vergleich zu amerikanischen Investoren und Investorinnen weniger in Venture-Kapital. Es sind nicht staatliche Vorschriften, die solche Investitionen verunmöglichen, sondern es braucht bessere Anlageprodukte. Es gibt nun zahlreiche private Anstrengungen, die Situation zu verbessern. Entscheidend ist, dass der Staat nicht mit eigenem Geld in Start-ups investiert. Weder verfügt er über besseres Wissen als die privaten Investorinnen und Investoren, noch kann er in der politischen Wirklichkeit Risiken besser tragen als Private. Eher das Gegenteil trifft zu!

Was muss die Schweiz unternehmen, damit sie auch in 10 Jahren zu den innovativsten Volkswirtschaften zählt?
Für mich sind die folgenden drei Punkte zentral:

  1. Die Schweiz muss weiterhin Zugang zu den besten Köpfen haben. Die Innovationsfähigkeit steht und fällt mit den Menschen, die Neues entwickeln und erfolgreich vermarkten. Es ist also wichtig, dass die Personenfreizügigkeit möglichst weitgehend erhalten bleibt. Zudem müssen wir weiter in unser duales Bildungssystem investieren. Die Kombination von exzellenter Forschung und praktischer Umsetzung scheint ein Erfolgsrezept zu sein. Mit zur Bildung gehört die Weiterbildung. Angesichts der Fachkräfteknappheit, die auch europaweit zu beobachten ist, tun wir gut daran, auch in bestehende und bewährte Fachkräfte zu investieren, damit diese in neuen Betätigungsfeldern eingesetzt werden können. Eine besondere Rolle kommt dabei der Erhöhung der Erwerbstätigkeit der Frauen zu. Deren Erstausbildung ist unterdessen gleichwertig mit jener der Männer, aber noch immer sind viele Frauen im Laufe ihrer Berufskarriere weniger erwerbstätig und in weniger anspruchsvollen Positionen engagiert als Männer.
  2. Entscheidend ist die internationale Vernetzung auf allen Ebenen. So muss zum einen die Schweizer Forschung den Anschluss an die internationalen Forschungsnetzwerke, Forschungsorganisationen und Förderprogramme behalten und ausbauen. Zum anderen brauchen die Firmen einen konkurrenzfähigen Zugang zu globalen Wertschöpfungsketten und unterschiedlichen Absatzmärkten im In- und Ausland. Innovation heisst bekanntlich, die Neuerungen erfolgreich auf den Markt zu bringen. Deshalb ist der Marktzugang insbesondere zu den wichtigsten Absatzmärkten (Europa, USA und China) absolut zentral. Während die Schweiz dank des Freihandelsabkommens mit China dort einen Schritt weitergekommen ist, drohen in den USA und mit der EU relative Verschlechterungen. Sollten sich die USA und die EU auf ein Freihandelsabkommen einigen und die Schweiz die bilateralen Verträge mit der EU gefährden, dann wären Schweizer Unternehmen auf den für uns bei weitem wichtigsten Märkten deutlich benachteiligt.
  3. Wir müssen dafür sorgen, dass die Kommunikationsflüsse innerhalb des Innovationsystems noch besser funktionieren. Insbesondere ist der Austausch zwischen Hochschulen und Unternehmen zentral. Der KTI kommt hier eine wichtige Schlüsselrolle zu. Darüber hinaus ist es jedoch auch wichtig, dass Menschen im Laufe ihrer Karriere in verschiedenen Arbeitswelten Erfahrungen sammeln. So ist es wichtig, dass Forschungspersonal vermehrt zwischen den Hochschulen und der unternehmerischen Arbeitswelt wechselt. Hier sind gerade wir an den Fachhochschulen gefordert, diesen gegenseitigen Austausch zu fördern. Schliesslich ist der Schweizer Innovationspark ein weiteres Mosaikstück. Auch hier geht es letztlich darum, Räume zu schaffen, damit die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und, in diesem Fall, grossen, forschungsintensiven Unternehmen noch weiter gestärkt werden kann. Wichtig ist auch hier, dass der Staat sich auf die Rolle eines Katalysators beschränkt und die konkrete Ausgestaltung den Unternehmen und Hochschulen überlässt.

Beitrag von

Peter Moser, Prof. Dr.

Professor für Volkswirtschaftslehre, Projektleiter, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung ZWF