Fremdsprachenunterricht für Prosumers
Heute ist alles immer innovativ: Produkte sind innovativ, Unterrichtsmethoden sind innovativ, Lehrbücher sind innovativ, Visionen sind sowieso innovativ. Kann ein Lehrbuch im Sprachunterricht gut sein und für ein Niveau angemessen, ohne innovativ zu sein? Und überhaupt: können Unterrichtsmethoden, die heute noch auf Büchern basieren, innovativ sein?
Text: Prof. Harald Löhndorf / Bild: Marcel Bäni, Prof. Harald Löhndorf, Somedia
Wikipedia definiert «Innovation» wie folgt:
«Das Wort ist vom lateinischen Verb innovare (erneuern) abgeleitet. In der Umgangssprache wird der Begriff im Sinne von neuen Ideen und Erfindungen und für deren wirtschaftliche Umsetzung verwendet. Im engeren Sinne resultieren Innovationen erst dann aus Ideen, wenn diese in neue Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren umgesetzt werden, die tatsächlich erfolgreiche Anwendung finden und den Markt durchdringen.»
Wikipedia
Neues muss also nicht unbedingt innovativ sein, sondern es erweist sich rückblickend erst dann als innovativ, wenn es auch erfolgreich anwendbar war. Für den Fremdsprachenunterricht an der Bündner Fachhochschule gilt diese Definition von Innovation entsprechend – und auch mit den entsprechenden Einschränkungen, denn jedes Semester ist «live» und keine Teststrecke für neue Konzepte.
Sieben Weltsprachen in Chur
Die FH Graubünden bietet zurzeit insgesamt 55 Fremdsprachenkurse in acht Studiengängen an. Das Sprachenangebot reicht von Englisch über Spanisch und Französisch bis hin zu Italienisch, Russisch und Chinesisch sowie Deutsch als Fremdsprache. Dabei werden in Englisch die Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (CEFR) B2 bis C2 abgedeckt. In den anderen Fremdsprachen richtet sich das Niveau in der Regel nach den Vorkenntnissen der Studierenden, abhängig von der kantonalen oder geografischen Herkunft, meist von A1 bis C1. Die Fremdsprachen-Kurse werden von insgesamt 14 Lehrbeauftragten und Dozierenden unterrichtet, die in den meisten Fällen als Muttersprachler und Muttersprachlerinnen mit einer hochprofessionellen Didaktik-ausbildung ihre Kulturen in Wort und Schrift im Unterricht vertreten.
Alle Fremdsprachen-Kurse an der Bündner Fachhochschule sind zielorientiert und richten sich nach den neusten Erkenntnissen der Sprachdidaktikforschung. Um dies zu garantieren, nehmen alle Sprachdozierenden regelmässig an von der Hochschule geförderten, externen Weiterbildungsveranstaltungen teil. Zusätzlich zum externen Angebot finden jeweils zu Beginn des neuen akademischen Jahres interne Weiterbildungstage statt, die von externen Referenten und Referentinnen durchgeführt werden und die den Bedürfnissen der Dozierenden «auf den Leib geschneidert» werden. So wurden in den letzten Jahren Workshops zu Themen wie «Interaktives Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht», «Fremdsprachen lehren und lernen heute: aktuelle Ansätze der Fremdsprachendidaktik» und «Stimmtraining» durchgeführt.
Zusätzliche, regelmässige Treffen aller Sprachdozierenden zu aktuellen Anliegen haben über die Jahre zur Bildung eines motivierten Teams geführt, dessen Unterrichtsphilosophie weitgehend homogen ist und in dem niemand die in Lehrerkreisen so häufig anzufindende «Einzelkämpfermentalität» aufweist. Vielleicht kann man den unterrichtsphilosophischen Ansatz der Sprachabteilung mit Delano, Riley und Crookes Aussage beschreiben:
«An innovation in a second language teaching program is an informed change in an underlying philosophy of language teaching/learning, brought about by direct experience, research findings, or other means, resulting in an adaptation of pedagogic practices such that instruction is better able to promote language learning as it has come to be understood.»
Quelle: Delano, L., L. Riley, und G. Crookes, The meaning of innovation for ESL teachers (1994)
Innovation im Fremdsprachenunterricht
Innovation im Fremdsprachenunterricht bedeutet nicht die unkritische Implementierung neuester technischer Errungenschaften im Unterricht, sondern zielt darauf ab, eine zeitgemässe Veränderung in der Grundhaltung gegenüber dem Erlernen von Fremdsprachen zu bewirken, und zwar in klarer Abhängigkeit von den Lernzielen und Motivationsanreizen der Studierenden. Wir sind nicht innovativ, nur weil wir jetzt ein iPad im Unterricht benutzen. Auch den Fremdsprachenfächern liegt die Grundfrage allen Unterrichtens zugrunde:
«Was will ich lehren und mit welcher Methode, Technik und Sozialform kann ich das Lernziel am effizientesten erreichen?»
Die aktuelle Motivationsforschung bei Lernenden hat eine klare Präferenz interaktiver Unterrichtsformen gezeigt, weit weg von traditionellen, passiven Wissensvermittlungsszenarien. Prosumers (producer-consumers) bereiten ihren eigenen Lernstoff auf oder mischen neue Inhalte mit bestehenden und schaffen so etwas Neues in einer praktisch-orientierten, erfahrungsbasierten Lernumgebung.
Fallstudie Französisch B2
Bertrand P. unterrichtet Französisch in einem Kurs mit 19 Studierenden auf dem Niveau B2. Beim Betreten des Kursraumes sitzen die Studierenden bereits an ihren Plätzen mit ihren Laptops vor sich und den Kopfhörern daneben. Zu Beginn der 90 Minuten zeigt Bertrand auf seinem iPad eine PowerPoint-Folie mit Fragen zum heutigen Thema «Indirekte Rede», das die Studierenden in der letzten Woche online vorbereitet haben. Sie hatten sich auf der Moodle-Kursseite ein kurzes Video über ein Interview mit einem prominenten Umweltschützer angesehen. Dabei hatten sie auch die Vokabeln mit Quizlet eingeübt. Bertrand hatte für die Grammatik auf Blendspace eine Seite mit Regeln, Beispielen und Videos von Youtube und Vimeo platziert, die die Studierenden in einer Art Lernpfad erarbeitet hatten. Bertrand verweist die Studierenden zu einer Aufgabe auf Moodle, in der sie ihr Wissen über die indirekte Rede anwenden können. Nach einem kurzen Blick auf die Statistik ihrer Ergebnisse greift Bertrand offensichtliche Probleme bezüglich dieses Themas auf und beantwortet die direkten Fragen der Studierenden. Danach zeigt Bertrand einen kurzen Film auf Youtube und parallel dazu stellen die Studierenden auf TitanPad ihre Kommentare online, so dass am Ende des Films, für alle sichtbar, eine Reihe von sehr unterschiedlichen Meinungen zum gezeigten Thema auf der Leinwand verzeichnet ist.
In Kleingruppen sortieren die Studierenden nun die Kommentare nach Relevanz und persönlicher Wertigkeit und sprechen dazu einen Kommentar auf Voicethread. Diese Kommentare werden dann auf Moodle für die Gruppe zugänglich gemacht und die Hausaufgabe ist, in einem Moodle-Assignment die Gruppenstatements schriftlich zu vergleichen und am Ende mit einer persönlichen Meinung abzurunden. Die gespeicherten Texte werden dann von Bertrand im Laufe der Woche kommentiert. Bertrand ist mit dem Unterricht zufrieden, weil das zum Lernen verwendete Unterrichtsmaterial überwiegend von den Studierenden selbst erstellt worden ist. Die gesteigerte Motivation wurde deutlich spürbar.
Alle erwähnten Webseiten, Techniken und Inhalte werden in Fremdsprachenkursen an der FH Graubünden verwendet, allerdings auf keinen Fall in dieser Ballung und Ausschliesslichkeit. Diese Fallstudie zeigt, was heute schon möglich ist.
Ziel jeglicher Innovation sollte es sein, diese Motivation noch weiter zu steigern, zu einer intrinsischen Motivation zu machen, denn:
«By adulthood people are self-directing. This is the concept that lies at the heart of andragogy … Andragogy is therefore student-centred, experience-based, problem-oriented and collaborative very much in the spirit of the humanist approach to learning and education … The whole educational activity turns on the student.»
Quelle: Gary Motteram (ed.), Innovations in learning technologies for English language teaching, British Council (2013)
Top-Qualität aus Graubünden
Die FH Graubünden fördert schon durch ihr Primat der externen Sprachzertifikate die Motivation. In Englisch und in einigen Studiengängen auch in den zweiten Fremdsprachen sind externe Sprachzertifikate Pflicht. Das fördert die Anstellbarkeit der Studierenden auf dem Arbeitsmarkt nach Abschluss des Studiums, denn immer mehr Arbeitgebende verlangen von ihren Bewerberinnen und Bewerbern internationale Sprachabschlüsse. Dies beweist darüber hinaus die Qualität der Lehre aufgrund einer externen Beurteilung. Gerade externe, international anerkannte Sprachdiplome sind für viele Studierende ein Grund, in Chur zu studieren, und bestimmen nicht zuletzt das gute Image der Bündner Fachhochschule nach aussen.
2014 hat EF Education First in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen die FH Graubünden zusammen mit insgesamt 1 940 Studierenden aller deutschsprachigen Hochschulen in der Schweiz in Bezug auf ihr Englischniveau geprüft. Das Ergebnis spricht für sich:
Ein weiterer Grund für die Spitzenleistungen im Bereich Englisch ist das Engagement der Englisch-Dozierenden als externe Prüfer in Cambridge-Prüfungen. Daher können unsere Studierenden aufgrund persönlicher Erfahrungen aus den Prüfungen optimal auf diese vorbereitet werden. Feedback von Studierenden zeigt immer wieder, dass Englisch-Kurse von Cambridge-Prüfern und -Prüferinnen dieses kleine Informations-Plus liefern, das für das wichtige Gefühl sorgt, wirklich gut vorbereitet zu sein. Dies wiederum senkt die Nervosität und erlaubt bessere Leistungen.
Im Bereich Spanisch ist die FH Graubünden die einzige Hochschule in der Schweiz, die über ihr eigenes Cervantes-Prüfungszentrum verfügt. Wir führen seit 2004 in enger Zusammenarbeit mit dem Cervantes Europazentrum in Lyon, aber in eigener Regie, bei uns im Haus sehr erfolgreich Spanischprüfungen durch, wie die aussergewöhnlich hohen Teilnahmezahlen und Erfolgsquoten unserer Studierenden zeigen. Da auch hier die Dozierenden ebenfalls Prüfende sind, ergeben sich gleiche Synergien wie im Bereich Englisch.
Die gleiche Kooperation gilt für Italienisch, wo wir die externen Prüfungen ebenfalls von Dozierenden der FH Graubünden in unseren eigenen Räumen durchführen können.
Innovation ist Interaktion
Die Sprach-Dozierenden tragen eine mehrfache Verantwortung bezüglich Innovation an der FH Graubünden. So müssen sie laufend die aktuellsten methodischen und didaktischen Entwicklungen verfolgen und gleichzeitig kurzfristige Trends von langfristigen, effektiven Innovationen unterscheiden. Zudem hinterfragen sie kritisch das Angebot an als innovativ vermarkteten Lehrmitteln, -technologien und -methoden und entscheiden danach, welche Innovationen die eigenen Lernziele besser unterstützen. Um diese Entscheidungen fällen zu können, müssen die Dozierenden diese Mittel, Technologien und Methoden ausprobieren, möglichst ohne Effizienzverlust für die Studierenden. Und: zu guter Letzt sollen sie auch weiterhin externe Erfolge verzeichnen.
Innovation um der Innovation willen wird nicht zum Erfolg führen. Wirkliche Innovation ist ein Prozess, nicht nur ein weiterer Teil der Infrastruktur. Wirkliche Innovation ist Interaktion.
Angebot an Sprachen
- 55 Sprachkurse
- 14 Sprachdozierende
- 2 Prüfungszentren: Cervantes (Spanisch), Firenze (Italienisch)
- Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch, Deutsch als Fremdsprache
- Niveaus laut Gemeinsamem Europäischem Referenzrahmen für Sprachen: A1 – C2 (d.h. alle, aber unterschiedlich in den jeweiligen Sprachen)