Menu
Wissensplatz
«Regionale Zeitungen schaffen Identifikationsräume»
«Regionale Zeitungen schaffen Identifikationsräume»

«Regionale Zeitungen schaffen Identifikationsräume»

Larissa Margot Bieler, Chefredaktorin Bündner Tagblatt, gibt einen Einblick in die Themen Nachwuchs, Bachelor-Studiengang Multimedia Production an der FH Graubünden und über ihren Anspruch, eine qualitativ gute Regionalzeitung zu machen.

Text: Simone Janz / Bild: Manuela Eberhard

Larissa M. Bieler, was macht eine Chefredaktorin den ganzen Tag?
Sehr viel entscheiden. Es gilt, thematische Schwerpunkte zu setzen, Gewichtungen vorzunehmen, Prioritäten zu setzen und inhaltlich Entscheidungen zu treffen. Wir diskutieren über Inhalte in der Redaktion, arbeiten aber auch auf der sprachlichen Ebene und feilen an einzelnen Begriffen und Formulierungen. Ich leiste aber auch genau wie mein Team normalen Dienst und produziere mit. Ich selbst habe zudem auch repräsentative Aufgaben, die ich vor allem abends wahrnehmen muss. Administratives läuft eher nebenbei. Richtig planen kann man nie, oft geschieht Unerwartetes. Das alles macht es etwas schwierig, aber es ist gleichzeitig auch sehr spannend und lebendig.

Welche Ansprüche stellt das Bündner Tagblatt an den Nachwuchs?
Wir stellen hohe Ansprüche. Wichtig ist mir vor allem ein sehr grosses Engagement, es braucht auch Idealismus und vor allem eine realistische Vorstellung dieses Berufs, welche die meisten leider nicht haben. Wir brauchen Leute, die mitdenken können und arbeiten wollen. Es gibt viele, die das Gefühl haben, Journalismus sei trendy und man könne sich dabei selbst verwirklichen und sich medial inszenieren. Spätestens nach einem 12-Stunden-Tag merken sie aber, dass hier eine andere, viel tiefere Motivation gefragt ist. Das Handwerk kann man lernen, muss man auch lernen. Man muss wissen, wie man einen Artikel ausgewogen gestaltet, wie man mit einer Quelle umgeht. Hier können gravierende Fehler passieren, die fast nicht wieder gut zu machen sind und die Glaubwürdigkeit der Zeitung gefährden. Aber was natürlich auch dazukommt, ist, dass man sich seiner Verantwortung als Journalist oder Journalistin bewusst ist, dass man die Nase hat für Geschichten und aufmerksam ist, auch nach Feierabend.

 

Wo rekrutieren Sie Ihre Leute? Wo werden Sie auf neue Talente aufmerksam?
Bei uns arbeiten beispielsweise Leute von der Schweizer Journalistenschule MAZ, von der FH Graubünden und von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, die uns dann wiederum auf Leute aus ihren Netzwerken aufmerksam machen. Sehr viele melden sich aber auch direkt bei mir und schicken ihr Bewerbungsdossier.

Wie sind Sie selbst denn zu den Medien gekommen?
Ich war Flight Attendant bei Swissair und nach deren Grounding habe ich mich für eine Stelle bei der lokalen Wochenzeitung «Rhiiblatt» gemeldet. Die Faszination für den Journalismus kam dann über die lokale Politik.

Stichwort User Generated Content: Ist heute jeder ein Journalist, eine Journalistin?
Das ist sicher nicht so. Kompetenz ist unser Kerngeschäft. Unsere Hauptaufgabe ist das Einordnen von Ereignissen. Daraus müssen korrekte Information entstehen. Wir sichten, filtern und selektionieren. Wir müssen glaubwürdig sein.

Gibt es FH Graubünden-Studierende, die beim Bündner Tagblatt arbeiten?
Ja, Nadja Maurer etwa, die im 2014 ihr Bachelor-Studium abgeschlossen hat. Sie ist ein Glücksfall fürs Bündner Tagblatt. Engagiert, sorgfältig und stets wachsam. Und sie hat das Auge und das Gefühl für die visuelle Ebene, was auch künftig eine immer wichtigere Rolle spielt. Ich brauche Leute, die schreiben können, und wäre froh, wenn es an der FH Graubünden die Vertiefung Print gäbe. Der Wissenstransfer durch Leute aus Studiengängen wie Multimedia Production ist ein weiterer Aspekt. Es gibt die Jahrhunderte alten Regeln im Journalismus und jetzt plötzlich viele neue technische Möglichkeiten im Storytelling. Mit Studierenden in der Redaktion bleiben wir auch auf der Höhe der Zeit.

 

Wie sehen Sie die multimediale Kompetenz für das Bündner Tagblatt?
Diese erachte ich als enorm wichtig. Es braucht aber grosse Investitionen in die Technologie und Leute mit technischem Know-how. Viele Verleger und Verlegerinnen haben das unterschätzt. Der Begriff Konvergenz muss uns in Fleisch und Blut übergehen, genauso wie das neue Rollenverständnis des Journalismus. Es ist indes wichtig, Konvergenz nicht als Sparmassnahme zu sehen, weil sonst ganz klar die Qualität leidet.

Im neuen Medienhaus der Somedia werden auch die FH Graubünden mit dem Studiengang Multimedia Production ihr neues Quartier beziehen. Eine Möglichkeit, zusammen zu arbeiten?
Es ist davon auszugehen, dass es einen viel stärkeren Austausch geben wird. Ich hoffe, dass es dann zu Gesprächen kommt und dass für Studierende die Schwelle viel geringer sein wird, einmal in unsere Redaktion reinzuschauen. Unsere Türen sind immer offen. Wir sind im Graubünden auf Nachwuchs angewiesen, deswegen kann ich mir da nichts Besseres vorstellen.

Die Leserschaft bezahlt nicht mehr für News, sondern für eine starke, unabhängige Stimme. Wie stehen Sie zu dieser These?
Ich unterstütze diese These. Ich würde auch nicht mehr für News bezahlen. Die Lesenden wollen eine klare Haltung des Journalisten/der Journalistin und sie müssen davon ausgehen können, dass diese/r unabhängig ist, dass er/sie fachkompetent ist und ein Ereignis richtig einordnen kann. Die Leute bezahlen für den Meinungsbildungsprozess, die demokratiepolitische Funktion und für die Unverwechselbarkeit eines Mediums, also für die Fachkompetenz des Lokaljournalismus.

Sie sehen die Regionalität als Zukunft des Journalismus. Wie setzen Sie das um?
Lokalzeitungen werden klar unterschätzt. Sie sind ein Wachstumsmarkt. Das liegt an der Nähe und der Bindung, die wir zum Leser und zur Leserin aufbauen können. Wir sind in der Lage, Identifikationsräume zu schaffen, aber ebenso emotionale und soziale Orte. Darum muss die regionale Ebene ausgebaut werden. Über das Ausland können die grossen Qualitätsmedien berichten. Die Übersicht in diesem totalen Wirrwarr zu behalten, dem man heute ausgesetzt ist, ist extrem anspruchsvoll. Und der Anspruch der Leserschaft an die Zeitung wird immer höher. Zu Recht übrigens.

Beitrag von

Simone Janz