Nachhaltiges San Bernardino
Alternativszenarien zum «Business as usual» für die Destination San Bernardino: Die Entwicklung eines nachhaltigen Destinationsmodells in einem systemischen Forschungsansatz haben sich Studierende des Instituts für Tourismus und Freizeit ITF zu ihrem Lernthema gemacht.
Text: Prof. Dr. Tobias Luthe / Bild: Prof. Dr. Tobias Luthe / Grafik: Kenny Stadelmann
Die Studierenden des Minors «Sustainable Tourism Management» im Bachelor-Studiengang Tourismus haben das Projekt San Bernardino zu ihrem Lernthema gemacht. Basierend auf Vorlesungen, Beiträgen aus verschiedenen Gastreferaten, Literatur- und Internetrecherchen sowie einer Exkursion nach San Bernardino und Diskussionen mit dem Tourismusdirektor, haben die Studierenden dazu beigetragen, völlig neue Ideen für San Bernardinos wirtschaftliche Zukunft innerhalb des ersten Moduls zu entwickeln.
Das Confin Skigebiet am Dorfrand von San Bernardino ist seit Frühling 2012 geschlossen, der Wintertourismus eingebrochen, einige Hotels sind unrentabel und brauchen neue Investitionen. Der Mangel an Wintergästen sowie eine generelle Abwanderung führten zu einem ökonomisch und sozial schwierigen Zustand. Es fehlt an einer gemeinsam getragenen Zukunftsvision und an frischen Ideen.
Zusammen mit San Bernardino Tourismus hat sich das ITF zum Ziel gesetzt, unter Einbezug der Bevölkerung die Entwicklungsmöglichkeiten für San Bernardino generell zu überdenken und in einem systemischen Ansatz Modelle eines qualitativen Wirtschaftsansatzes partizipativ zu entwickeln und zu simulieren.
Alternative, nachhaltige Destinations-Entwicklungsmöglichkeiten orientieren sich an den Ideen eines qualitativen Wachstums, bei dem ein Mehr nicht unbedingt nur durch eine quantitative Zunahme von Hotelbetten oder Ersteintritten in das Skigebiet, sondern durch ein zwar ausreichend hohes, aber qualitativ speziell entwickeltes Angebot bestimmt werden kann.
Weitere Pfeiler eines nachhaltigeren Destinationsmodells sind die Schwarmintelligenz mit dem Fokus auf WeQ anstatt nur IQ; eine Sharing Economy, gesteuert vermehrt durch Besucherströme und -bedürfnisse; und eine Kreislaufwirtschaft nach dem Vorbild natürlicher Systeme. Dieses auch «Blue Economy» genannte Wirtschaftsmodell fasst Unternehmen zu neuen Clustern zusammen, bei denen der Output der einen der Input für die andere Unternehmung ist. Sie sind im Fall von San Bernardino auch in Branchen wie dem produzierenden Gewerbe zu suchen.
Für die Entwicklung eines nachhaltigen Destinations-Entwicklungsmodells ist ein transdisziplinärer Ansatz zu wählen, bei dem Methoden aus der Nachhaltigkeitswissenschaft und der Komplexitätsforschung kombiniert werden. Dabei müssen ein existierender «Top-down»- Ansatz der Infrastrukturentwicklung und Investorensuche aus einem Leadership-Netzwerk der Destination mit einem «Crowdbased Bottom-up»-Ansatz der partizipativen Bedarfs- und Ideenentwicklung aus der Bevölkerung, mit Gästen und Unternehmen kombiniert werden.
Vier Bausteine können ein solches Projekt skizzieren. Nach einer detaillierten Situationsanalyse werden im ersten Modul spezielle Ideen zu einer möglichen Zukunft der Destination gesammelt – auf unterschiedlichen Kanälen. Dieses kreative Ideennetzwerk lässt sich strukturell modellieren und visualisieren, um Muster und sogenannte Hebelpunkte zu identifizieren, beispielsweise stark vernetzte Ideen, die sich besonders auf das Gesamtsystem auswirken können. Die Visualisierung der Hebelpunkte erlaubt die Definition von Leitlinien und Impulsen für die weiteren Projektschritte.
Um Partizipation und Neuerungen gezielt steuern zu können, sind Struktur und Qualität der Zusammenarbeit in der Region durch eine soziale Netzwerkanalyse (SNA) im zweiten Modul zu eruieren. Ziele einer SNA sind die Identifikation von Mustern und Beweggründen der (Nicht-) Zusammenarbeit aller Akteurinnen und Akteure sowie von Vernetzungen mit anderen Wirtschaftssektoren.
Im dritten Modul und basierend auf den Resultaten der vorangegangenen Schritte müssen dann konkrete Visionen in ihrem kombinierten ökologischen Fussabdruck, dem Wertschöpfungspotential und der Machbarkeit simuliert und quantifiziert werden. Fortlaufend muss neues Vertrauen bei Stakeholdern, insbesondere den lokalen Unternehmen, der Bevölkerung und auch den Zweitwohnungsbesitzern und -besitzerinnen, aufgebaut werden, um deren Engagement und Wille zur Partizipation zu fördern. In Modul vier würden dann spezifisch die Ergebnisse des «Bottom- up»-Prozesses mit dem «Top-down»-Ansatz integriert werden. Neue Projektideen, die Mehrwert auch ohne Skilift generieren (Hundeschlitten, Snowkiting etc.), würden testweise umgesetzt und wären auch medial sehr interessant.
In solchen transdisziplinären Projekten müssen in einer frühen Phase Forschende und Praktiker als Team zusammenfinden. Studierende ermöglichen es mit ihrer Arbeit, mit wenig finanziellen Mitteln und einer geringen Einstiegshürde bei den Stakeholdern Vertrauen aufzubauen und gemeinsam praxistaugliche Stossrichtungen und erste Ergebnisse zu entwickeln. Dies schafft die Grundlage für externe Projektmittel und ermöglicht den Studierenden einen wertvollen Lernprozess.
Für ihre Diplomarbeit im Master-Studiengang Business Administration Major Tourism hat Barbara Anastasi mehr als 20 lokale und regionale Tourismusakteure innerhalb des Moduls 2 befragt, um das Potenzial für ein Crowdfunding des Confin-Skigebietes zu analysieren. Alle Mitwirkenden signalisierten die Bereitschaft zur Partizipation an der Sanierung des Skigebietes. Es mangelt jedoch an Vertrauen und einer gemeinsamen Vision. Nun braucht es weitere quantitative und qualitative Studien, um San Bernardino in der Neuausrichtung zu unterstützen. Es bleibt zu hoffen, dass die Beteiligten und auch die Politik die Chance für ein wirklich anderes Destinationsmodell innerhalb der nächsten angedachten Projektschritte ergreifen und dies unterstützen.
Beitrag von
Tobias Luthe, Prof. Dr.
Leiter Forschung und Dienstleistung, Institut für Tourismus und Freizeit (ITF)