Projekt auf einen Blick
Der Kanton St.Gallen will die Qualität und Finanzierbarkeit seiner Spitäler langfristig sichern. Zu diesem Zweck konzentriert er das stationäre Angebot auf die Standorte Grabs, Uznach, Wil und St.Gallen. Die bisherigen Spitäler Altstätten, Wattwil, Flawil und Rorschach werden in ambulante, auf die regionalen Gegebenheiten abgestimmte Gesundheits- und Notfallzentren (GNZ) umgewandelt. Das Spital Walenstadt wird Teil des Kantonsspitals Graubünden.
Projekt
Weiterentwicklung der Strategie der Spitalverbunde des Kantons St.Gallen – GesamtprojektleitungLead
Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung (ZWF)Projektleitung
Engler Busa Monika Mehr über Engler Busa MonikaForschungsfelder
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Mehr über Arbeitsmarkt- und SozialpolitikAuftrag/Finanzierung
Kanton St. GallenDauer
September 2018 – Dezember 2021
Ausgangslage
St.Gallen wies bis Anfang 2021 eine engmaschige Spitalversorgung auf. Neben den Zentrumsspitälern (Kantonsspital St.Gallen, Ostschweizer Kinderspital) waren im Kanton acht Regionalspitäler mit einem breiten stationären und ambulanten Grundversorgungsangebot tätig. Daneben konnte sich die Bevölkerung in diversen Privatkliniken oder – wie es für rund ein Fünftel der St.Galler Patientinnen und Patienten der Fall war – in einem der zahlreichen ausserkantonalen Spitäler behandeln lassen.
Diese Struktur stiess zunehmend an ihre Grenzen. Der medizinisch-technische Fortschritt stellt heute grundlegend andere Anforderungen an Personal und Einrichtungen, als herkömmliche Spitalstrukturen bieten können. So erhöhen neue Diagnose- und Therapiemethoden zwar die Heilungschancen der Patientinnen und Patienten, bedingen aber auch oftmals den Beizug verschiedener Spezialistinnen und Spezialisten – eine adäquate Behandlung nur aus einer Hand ist immer seltener möglich. Ebenso werden einst stationär durchgeführte Behandlungen zunehmend ambulant vorgenommen, wofür die bestehende Infrastruktur nicht ausgelegt ist. Schliesslich führt der Fortschritt dazu, dass für eine zeitgemässe Ausstattung die medizintechnischen Geräte und Einrichtungen in immer kürzeren Abständen ersetzt werden müssen.
Diese Entwicklungen treffen kleinere und peripher gelegene Spitäler besonders hart. Mit kleineren Fallzahlen, einer schmaleren Angebotspalette und weniger Fachdisziplinen sind sie für viele Fachkräfte nicht die erste Wahl. Entsprechend schwierig ist es für kleinere Spitäler, ausreichend Fachkräfte zu finden – zumal für eine an 365 Tagen und rund um die Uhr besetzte Stelle fünf bis sechs Personen notwendig sind. Gleichzeitig können bei geringen Fallzahlen weder Personal noch Infrastruktur und Apparaturen genügend ausgelastet werden.
Dies führt zwangsläufig zu wirtschaftlichen Problemen, die sich – verschärft durch regulatorische Vorgaben und Tarifeingriffe – in erheblichen strukturellen Defiziten äussern. So rechnete der Kanton St.Gallen im Fall einer Weiterführung des Status quo mit Defiziten von bis zu CHF 70 Millionen pro Jahr bei den öffentlichen Spitälern und daraus resultierenden Liquiditäts- und Solvenzproblemen. Dass diese Prognosen nicht aus der Luft gegriffen waren, wurde im Projektverlauf – auch unabhängig von der Pandemiesituation – durch laufend sich eintrübende Finanzzahlen und einen ersten Notkredit an die Spitalregion Fürstenland Toggenburg deutlich.
Mindestens so bedeutsam sind indes qualitative Bedenken. Wenn Fachkräfte fehlen, können weder Behandlungsqualität noch ein geordneter Betrieb aufrechterhalten werden. Auch hier wurde der Kanton während des Projekts mehrfach von der Realität eingeholt: So mussten u. a. am Spital Walenstadt im Winter 2019/2020 infolge Personalmangels die Operationstätigkeit reduziert und die Geburtshilfe aufgehoben werden. Auch an anderen Spitalstandorten mussten Angebote reduziert werden. Doch selbst wenn die Fachkräfte vorhanden sind, müssen diese für gute Leistungen ihr Wissen regelmässig anwenden können. Fehlen ausreichende Fallzahlen, leidet die Behandlungsqualität. Die wissenschaftliche Evidenz zeigt diesbezüglich ein klares Bild.
Projektziel
Nachdem der Verwaltungsrat der St.Galler Spitalverbunde im Frühsommer 2018 sein Grobkonzept zur Reduktion der Spitalstandorte vorgestellt hatte, initiierte die St.Galler Regierung das Projekt «Weiterentwicklung der Strategie der Spitalverbunde des Kantons St.Gallen». Ziel war die Erarbeitung eines Lösungsvorschlags für die künftige Spitalversorgung; diese sollte der St.Galler Bevölkerung weiterhin eine qualitativ gute Gesundheitsversorgung garantieren und den Spitalverbunden gleichzeitig unternehmerische Sicherheit bieten. Für die verschiedenen Spitalstandorte sollten alternative Nutzungskonzepte entwickelt werden, die dann zu gesamtkantonalen Strategievarianten zusammenzufassen und in Bezug auf medizinisch-versorgungsbezogene, betriebswirtschaftlich-finanzielle und gesamtwirtschaftlich-politische Kriterien zu beurteilen waren. Gleichzeitig sollten zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten und Potenziale für betrieblich-organisatorische Massnahmen ermittelt werden, die ergänzend zu den Strukturanpassungen zur Zielerreichung beitragen konnten. Das Projekt wurde durch einen Lenkungsausschuss mit drei Regierungsmitgliedern und zwei Verwaltungsratsmitgliedern der Spitalverbunde geführt. Mit der Projektleitung wurde Monika Engler beauftragt.
Umsetzung
Das Projekt wurde in drei Projektphasen unterteilt: Die erste Projektphase fokussierte auf die Beantwortung der seitens Regierung, Kantonsratskommission und Gemeinden formulierten Fragen zum Grobkonzept des Verwaltungsrats und zum angestossenen Strategieprozess. Die Fragestellungen betrafen gesundheitspolitische, versorgungstechnische, finanzpolitische, volkswirtschaftliche, rechtliche und betriebliche Aspekte und wurden in verschiedenen Zwischenberichten zusammen mit den relevanten Datengrundlagen erörtert. Weitere Arbeiten in der ersten Projektphase betrafen die Einholung von Erwartungen und Lösungsvorschlägen seitens der verschiedenen Anspruchsgruppen – darunter die Spitalstandortgemeinden, die niedergelassene Ärzteschaft sowie die nicht direkt in den Strategieprozess involvierten Spitalmitarbeitenden. Die erste Projektphase wurde im April 2019 abgeschlossen.
In der zweiten Projektphase wurden mögliche Strategievarianten in Bezug auf die Ausgestaltung pro Spitalunternehmen und Standort ausgearbeitet. Dies beinhaltete einerseits die Konkretisierung des Lösungsvorschlags des Verwaltungsrats und andererseits die Entwicklung von alternativen Nutzungskonzepten mit ambulanten und/oder stationären Angeboten für die Standorte Altstätten, Flawil, Rorschach, Walenstadt und Wattwil in Zusammenarbeit mit externen Expertinnen und Experten. In jedem Teilprojekt erfolgten pro Standort die Definition des künftigen Geschäftsmodells mit Kernaktivitäten, Ressourcenanforderungen und Umsetzungsplanung sowie die Berechnung der finanziellen Auswirkungen für die Spitalunternehmen und den Kanton mittels einheitlichem Finanzmodell. Die zweite Projektphase wurde mit dem Grundsatzentscheid der Regierung zur künftigen «4plus5»-Spitalstrategie und der Erarbeitung der Vernehmlassungsvorlage im Oktober 2019 abgeschlossen.
Die dritte Projektphase beinhaltete die Finalisierung der Sammelvorlage auf Basis der eingegangenen Vernehmlassungsantworten mit Anträgen an den Kantonsrat für die notwendigen Beschlüsse. Die parlamentarische Beratung fand im Herbst 2020 statt; die vorgeschlagene Strategie wurde mit deutlicher Mehrheit unterstützt. Im Juni 2021 stimmte die Bevölkerung der vorgeschlagenen Strategie in zwei obligatorischen Abstimmungen und einer über ein fakultatives Referendum zustande gekommenen Abstimmungsvorlage ebenfalls zu.
Resultate
Die St.Galler Spitallandschaft wird gemäss der «4plus5»-Strategie umgebaut. Die Zentrumsversorgung mit spezialisierten und hochspezialisierten Leistungen wird unverändert durch das Kantonsspital St.Gallen sichergestellt. Die stationäre Grundversorgung wird an den vier Standorten St.Gallen, Grabs, Wil und Uznach konzentriert. Die früheren Spitalstandorte Rorschach und Flawil (Schliessung 2021), Wattwil (Schliessung 2022) und Altstätten (Schliessung 2027) werden zu ambulanten, auf die regionalen Gegebenheiten abgestimmten Gesundheits- und Notfallzentren (GNZ) umgebaut. Das Spital Walenstadt wird seit dem 1. Januar 2023 vom Kantonsspital Graubünden weitergeführt.
Informationen zur Spitalstrategie und zur aktuell stattfindenden Umsetzung an den einzelnen Standorten sind hier zu finden.