Projekt auf einen Blick
Im Forschungsfeld Siedlungsplanung und Ortsbildentwicklung wurde ein Instrument für Baubehörden, Planerinnen/Planer und Bauherrschaften entwickelt, welches die Frage der ästhetischen Qualitäten einer Siedlung analytisch und ortsspezifisch beantworten kann. Das inzwischen in mehreren Gemeinden zum Einsatz kommende Baumemorandum ist ein Gestaltungswerkzeug, das dabei hilft, Siedlungsbilder zu erhalten, zu stärken und weiterzuentwickeln.
Projekt
Baumemorandum, ein Instrument zur OrtsbildentwicklungBeteiligte
Mazetta & Menegon Partner AGTeam
Wagner-Jecklin Christian Mehr über Wagner-Jecklin ChristianForschungsfelder
Siedlungsplanung und Ortsbildentwicklung Mehr über Siedlungsplanung und OrtsbildentwicklungAuftrag/Finanzierung
Diverse GemeindenDauer
Seit 2012
Ausgangslage
Der bauliche Veränderungsdruck in den bestehenden Siedlungsgebieten steigt – die Gemeinden sind seit dem revidierten Raumplanungsgesetz dazu angehalten, eine Entwicklung nach innen zu fördern und gleichzeitig die wichtigen baulichen Kulturwerte des Ortsbildes zu wahren. Charakteristische Dorfbilder werden zunehmend als wichtige Standortmerkmale wahrgenommen.
Auf kantonaler Stufe ist die Gestaltung von Siedlungen und Dörfern im Gesetz jedoch nur generell formuliert – den Gemeinden bleibt somit ein sehr grosser Ermessensspielraum. Für Diskussionen über Architektur und Gestaltung fehlen den Gemeinden oftmals objektive, belastbare Argumente. Gebäudegrössen und -abstände, Nutzungsarten sowie die Anzahl Parkplätze sind im kommunalen Baugesetz geregelt. Ästhetische und gestalterische Fragen hingegen können mit diesen technischen Regeln nicht beantwortet werden. In vielen Gemeinden entstehen dadurch – speziell bei Bauprojekten in identitätsprägenden Dorfkernen – Unsicherheiten und Streitfälle bezüglich der Bewilligungspraxis.
Projektziel
Ziel ist es, Gemeinden und Investoren ein Instrument an die Hand zu geben, das ihnen aufzeigt, wie sich Um- und Neubauten in sensiblen Gebieten anhand von nachvollziehbaren Kriterien integrieren lassen. Anstatt Gestaltungsvorschriften im Baugesetz festzulegen, werden Gestaltungsprinzipien entwickelt und als kommunale Wegleitung eingesetzt. Identitätsstiftende Merkmale wie Fassadengestaltungen oder Gebäudesilhouetten werden systematisch dargestellt; Hinweise lenken die zukünftige Entwicklung. Diese gestalterischen Zielvorgaben definieren die Charakteristik der unterschiedlichen Siedlungsbereiche und stärken die lokalen, teilweise historischen Strukturen. Gestützt auf diese belastbaren Argumentarien (Objektivität und Vergleichbarkeit) können Baugesuche fundiert beurteilt werden. Der Vorwurf der Entscheidungswillkür der Behörden wird durch Baubewilligungsentscheide, die auf diesem Instrument basieren, entkräftigt.
Das Baumemorandum bildet ein Werkzeug für die gestalterische Lenkung von Bauaktivitäten im Hinblick auf das Ortsbild und ergänzt damit die baurechtliche Ebene. Über die Amtszeiten wechselnder Behördenmitglieder hinaus soll damit ein «roter Faden der Baukultur» sichergestellt werden.
Das Baumemorandum dient der Pflege der baukulturellen Werte. Eine präzise Darstellung der Qualitäten hebt das Instrument von anderen Gestaltungshandbüchern ab. Der Nutzen des Instruments zeigt sich auf unterschiedlichen Ebenen:
- Umsetzung einer konstanten Bewilligungspraxis zur nachhaltigen Entwicklung des Ortsbildes
- Meinungswandel in der Gesellschaft und Schaffung eines Bewusstseins für die lokale Baukultur
- Vermeidung kostspieliger Planungsänderungen im Bewilligungsprozess dank transparenter Kommunikation
- Steigerung des Immobilienwertes durch ein intaktes Umfeld
Umsetzung
Methodik des Baumemorandums
Analyse des Baubestands
Eine architektonische Analyse des Ortes in Bezug auf vertraute Bilder, Formen, Farben, Silhouetten, Materialien, Konstruktionen und Gebäudestellungen bildet die Grundlage für die Zielsetzungen zur gestalterischen Weiterentwicklung des Ortes.
Quartiermemorandum
Innerhalb der definierten Bereiche werden die vorhandenen historischen und neuzeitlichen Merkmale mit siedlungsprägendem Charakter ermittelt und zeichnerisch, fotografisch und textlich dokumentiert.
Fassadenmemorandum
Bei der Analyse der Bauten und des Baustils von ganzen Strassenzügen lassen sich Regelmässigkeiten ablesen. Diese Wiederholungen von ähnlichen Eigenschaften werden grafisch aufgezeigt und textlich erläutert.
Gestaltungsleitlinien formulieren
Abgeleitet von der Analyse werden ortsprägende und gestalterische Ziele definiert. Es werden Ordnungsprinzipien und wiederkehrende Gestaltungselemente in einfach verständlichen Darstellungen und Texten festgehalten.
Anwendung des Baumemorandums
Für Architektinnen und Architekten, Bauherrschaften und Baubehörden dienen die im Baumemorandum beschriebenen Ordnungsprinzipien als Orientierungshilfe bei Planungs- und Bewilligungsprozessen. Durch Einfügen der zu bewilligenden Fassadenpläne in die Fassadenabwicklung des betreffenden Strassenzuges kann zusätzlich überprüft werden, ob sich die Neubauten in das Ortsbild einfügen. Wichtige Bewilligungsentscheide kann das Bauamt quartierweise sammeln, um eine Nachvollziehbarkeit der Quartierentwicklung auch über die Amtszeiten von Mitarbeitenden hinaus sicherzustellen.
Resultate
Das Potenzial des Baumemorandums wurde 2012 mit dem 1. Rang des Stadt-Land-Preises gewürdigt. Die einfache, verständliche Darstellung der architektonischen Ordnungsprinzipien überzeugt die unterschiedlichen Anwenderinnen und Anwender. Die Gemeinde Disentis arbeitet schon seit 10 Jahren mit dem Baumemorandum und konnte bereits die Gestaltung diverser grosser Bauvorhaben mit diesem Instrument lenken.
Seitdem sind diverse Memoranden mit unterschiedlicher Charakteristik und Bearbeitungstiefe entstanden; sie wurden stets in Abhängigkeit von den individuellen Rahmenbedingungen der einzelnen Gemeinden entwickelt. Neben einem Baumemorandum für die Gemeinde Teufen und die deutsche Stadt Sonthofen wurde kürzlich auch ein Fassadenmemorandum als Teil der Bauleitplanung von Schwyz erarbeitet. Für Mels wurde der Aufnahmeperimeter des Baumemorandums erst im Jahr 2020 um einen ebenso grossen Perimeter erweitert. Hier wurden auch Aufnahmen ausserhalb des Dorfkerns gemacht, um die zukünftige Entwicklung des stark wachsenden Gebiets lenken zu können.
Beispiel Sonthofen
Aufgrund der in den vergangenen Jahren erlangten Bekanntheit der Methode liess auch die deutsche Gemeinde Sonthofen ein Baumemorandum durch die Bündner Denkfabrik erarbeiten. Die Herausforderung bestand hier in der Adaption des Memorandums an die deutsche Gesetzgebung und in der Anpassung der Methode an die deutsche Bewilligungspraxis. Untersucht wurde im Projekt Baumemorandum Sonthofen auch die Allgemeingültigkeit der Methode bei unterschiedlichen Rahmenbedingungen und gesetzlichen Vorgaben. Der Bedarf und das Interesse an einem Baumemorandum Sonthofen wurden durch diverse Bauvorhaben im Dorfkern ausgelöst. Dabei stand unter anderem die Frage im Zentrum, wie sich der historische Dorfkern, der nicht mehr das wirtschaftliche Zentrum Sonthofens darstellt, weiterentwickeln soll. Welche Möglichkeiten es gibt, um eine Wiederbelebung des Quartiers zu erreichen, und welche gestalterischen Vorgaben hierbei zielführend sind, wurde in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde erarbeitet.
Das Produkt hat die Stadtverwaltung überzeugt. Die Erweiterung des Betrachtungsperimeters des Baumemorandums wurde in Sonthofen direkt nach Fertigstellung des ersten Perimeters in Auftrag gegeben und von der Bayerischen Staatsregierung finanziell unterstützt.
Präsentation der Fassadenabwicklungen in Sonthofen
Realisierte Baumemoranden
- Baumemorandum Mels, 2015-2016
- Weiterentwicklung inkl. Perimeter-Erweiterung, 2020-2021
- Baumemorandum Stadt Schwyz, 2017-2019; Erweiterter Perimeter 2019-2020
- Baumemorandum Teufen, 2017-2020
- Baumemorandum Memmingen Ost (D); Vorarbeit, 2019
- Baumemorandum Stadt Sonthofen (D), 2017- 2019; Erweiterter Perimeter, 2019
- Baumemorandum Rehetobel, 2016
- Baumemorandum Trun, 2014-2015
- Baumemorandum Flims, 2014-2015
- Baumemorandum Disentis, 201; Überarbeitung, 2015
Team
Die bisherigen Projekte wurden ausserdem von folgenden Personen unterstützt:
- Regula Dolfi, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
- Maria Rota, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
- Didier Brischoux, studentische Mitarbeit
- Manuel Stoll, studentische Mitarbeit
- Daniel Stokic, studentische Mitarbeit